Kapitel 1

659 55 21
                                    

Weißer Nebel stieg über dem Stallgebäude auf, als ich das Haupthaus verließ, die noble Freitreppe nach unten stieg und die kühle Nachtluft einatmete. Feine Wölkchen bildeten sich vor meinem, bereits winterlich blassen Gesicht und begleiteten mich über die kiesbestreute Auffahrt zu den edlen Stalltrakten, die zu dieser noch frühen Stunde verlassen dalagen. Obwohl es erst Mitte Oktober war, hielt uns der Herbst bereits fest mit seinen stürmischen Krallen umschlossen und auch der Winter streckte bereits seine eisigen Finger nach uns aus. Lediglich ein paar einzelne Sonnenstrahlen erinnerten an den vergangenen Sommer, wie die langsam verblassende Erinnerung an heiße Sommertage und Turniere. Seufzend schob ich diese Gedanken beiseite, die mich seither immer zu begleiten schienen und entriegelte die Stalltür.

Dunkles Brummen begrüßte mich sofort und ich erkannte, dass es mein Hengst war, der mir so fröhlich entgegenwieherte. „Olympio!" rief ich freudig aus und überbrückte die wenigen Schritte hin zu seiner Box und drückte einen fetten Schmatzer auf seine weichen Nüstern. Seine großen klaren Augen musterten mich neugierig und als er mit seiner Oberlippe fordernd in meine Manteltasche drückte, verstand ich auch, dass er die Möhre bereits gerochen hatte, die ich für ihn eingesteckt hatte. Schnell zog ich sie heraus und gab sie ihm. Mit einem beinahe triumphierenden Glanz in den Augen schnappte er sich die Leckerei und kaute genüsslich darauf herum, bevor er mich nach weiteren Leckereien absuchte. Währenddessen ließ ich meinen Blick eingehend über jeden Zentimeter seines immer länger werdenden Winterfells gleiten und suchte nach den Narben, die das schreckliche Feuer vor ein paar Monaten verursacht hatten. Mit einem Schaudern dachte ich an die schreckliche Nacht zurück, in der Londons LKW komplett ausgebrannt war- automatisch zog sich meine Kehle zusammen, als würde ein dickes Seil um meinen Hals liegen und mir damit die Luft zum Atmen nehmen. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, während ich nach Luft rang und mein hektisches Röcheln in den Ohren brannte. Mit zittrigen Fingern krallte ich mich in das Fell meines Fuchses, der mich daraufhin anstupste und mich aus meinem Anfall befreite. Mein Hals wurde wieder frei und die Sterne verschwanden vor meinen Augen. Erschöpft atmete ich die kalte Morgenluft ein und aus und ließ mich langsam an der Boxenwand hinabgleiten. Du solltest so langsam jemand von deinen Panikattacken erzählen! Flüsterte eine säuerliche Stimme in meinem Kopf. „Ich weiß! Aber ..." hielt ich mit leiser Stimme dagegen und zuckte zusammen, als das Stalltor ruckartig geöffnet wurde.

„Val? Bist du schon hier?" Charlys fragende Stimme brachte mich dazu, hektisch aufzustehen und mir einmal flüchtig übers Gesicht zu fahren, auf dem sich vereinzelte Tränen gesammelt hatten, die sich während meines Anfalls, wie ich ihn gerne betitelte, aus meinen Augen gestohlen hatten. „Ich bin hier!" krächzte ich mit brüchiger Stimme und hoffte inständig, dass meine Stimme fester klang, als sie in meinen Ohren geklungen hatte. Mit einem Schritt trat ich an die Boxentür um meine beste Freundin in Empfang zu nehmen. „Was machst du denn schon so früh hier?" fragte sie mich auch prompt, als sie mich und Olympio erreicht hatte und fuhr meinem Fuchs zur Begrüßung sanft über die Nüstern, bevor sie mich herzlich in ihre Arme schloss. Ihr, mir so vertrautes Parfüm und ihre feste Umarmung führten dazu, dass mir erneut Tränen in die Augen schossen, doch ich schaffte es, sie zurückzudrängen und löste mich schnell aus ihrer Umarmung. „Nun ja, dasselbe könnte ich dich auch fragen, schließlich stehst in den Ferien nie vor 10 auf und schon gar nicht, wenn du noch vier Stunden zu mir fahren musst..." wich ich ihrer eigentlichen Frage geschickt aus und dachte an all die unzähligen Stunden, die ich die vergangenen Nächte grübelnd in meinem Bett verbracht hatte, unfähig die Augen zu schließen, da jedes Mal, wenn sie mir doch zu fielen, die Bilder dieser verhängnisvollen Nacht in den Kopf stiegen. Jedes einzelne Mal fühlte es sich so an, als wäre ich wirklich dort. Ich roch den Gestank nach verbrannten Reifen, fühlte die immense Hitze, die von dem Truck abstrahlte und hörte das gellende Martinshorn der Einsatzkräfte in meinen Ohren. Alles wie in meiner Erinnerung. Doch dann tauchte jedes Mal aufs Neue Danci auf, meine wunderschöne Fuchsstute Danci, mit der ich schon so viele wundervolle Momente erleben durfte, und die mich erst in den Topsport gebracht hatte, und während die grellen Flammen auf ihrem kupferfarbenen Fell reflektierten und die blauen zuckenden Lichter sich ihren großen dunklen Augen widerspiegelten, blickte sie mich unverwandt an. Meine Füße schienen wie festgewachsen, doch schließlich schaffte ich es, meine Beine vorwärtszutreiben und auf sie zuzugehen, während sie wie angewurzelt stehen blieb. Mit großen Augen musterte sie mich jedes Mal, doch wenn ich meine Hand langsam ausstreckte, um ihr über ihr seidiges Fell zu streichen, drehte sie auf dem Absatz um und galoppierte in die immer dunkler werdende Nacht. Weg von mir.

„Val? Erde an beste Freundin? Ist jemand zu Hause? Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen!" Charlys Stimme riss mich zurück in die Realität und der Gedanke an meinen immer wieder kehrenden Traum hinterließ einen pelzigen Geschmack auf meiner Zunge. Doch um meine beste Freundin nicht zu beunruhigen kleisterte ich mir ein falsches Lächeln ins Gesicht und log: „Ach, mach dir keine Sorgen, ich bin nur müde..." Für einen kurzen Moment lagen Charlys braune Augen prüfend auf mir und es schien, als wolle sie ernst nachfragen, doch dann klappte sie ihren Mund wieder zu und hakte sich stattdessen spielerisch bei mir unter. „Na dann lass uns mal lieber reingehen und das grandiose Frühstück genießen, dass du jeden Tag bekommst. Außerdem muss ich dir noch die neuesten Sachen erzählen. Du glaubst gar nicht, was es im Internat Neues gibt, Sam hat sich endlich diesen heißen Springreiter aus unserem Spanischkurs gekrallt und fliegt nun mit ihm diese Woche auf die Bahamas, wo seine Eltern ein Anwesen besitzen! Ist das nicht krass?!" die dichte blonde Mähne meiner besten Freundin, die sie wie üblich in einem hohen Pferdeschwanz gebändigt hielt, wackelte eifrig hin und her und ihre Augen glänzten verschwörerisch. Meine beste Freundin liebte den Gossip und normalerweise erfreute ich mich auch, die neuesten Gerüchte aus dem Internat zu hören, seit ich vor zwei Monaten fluchtartig ausgezogen war, hatte sich viel getan und auch wenn Charly ein Thema- oder wohl besser zwei Personen- fein säuberlich ausließ, wusste ich, dass er ans Internat zurückgekehrt war. Beim alleinigen Gedanken an ihn machte mein Herz einen unbeholfenen Stolperer, nur um darauf schmerzerfüllt weiter zu pochen. „Val, du kannst dir nicht vorstellen, die Bahamas!" quasselte Charly fröhlich weiter, während wir das Stallgebäude verließen und ich nickte bekräftigend, um meiner besten Freundin das Gefühl zu vermitteln, dass ich auch wirklich zuhörte, wie ich es auch schon die letzten Wochen getan hatte- wie ich es getan hatte, seit Danci gestorben war. 
Ein letztes Mal drehte ich mich um und überblickte das breite Stallgebäude. Eine schwarzblau glänzende Krähe hatte sich auf dem Dachfirst niedergelassen und stieß ein krächzendes Kreischen aus, fast so, als wolle sie mich auslachen.

-----------------------------------------

Heyy du, 

ja, genau DU!
Danke, dass du dieses Buch liest- du hättest genauso gut nach dem ersten Teil aufhören können und die anderen wundervollen Geschichten auf Wattpad weiterlesen können, aber stattdessen hast du dich genau für dieses Buch, für diese Reihe hier entschieden- und dafür möchte ich danke sagen. Danke, dafür, dass ihr, dass du, dass jeder einzelne von euch mit Valeries Geschichte mitfiebert, mit ihr lacht, mit ihr weint und jede einzelne goldene Schleife zusammen gewinnt. 

Danke!
Und jetzt aber genug mit dem ganzen Süßholzgeraspel und viele erfreuliche Lesestunden.

Eure Honey Summer

EmpressWo Geschichten leben. Entdecke jetzt