Kapitel 18

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Wenige Stunden später stand ich mit gerunzelter Stirn vor meinem Spiegel in meinem Zimmer und begutachtete kritisch mein Erscheinungsbild. Meine Beine steckten in schwarzen Jeans und passten so zu dem weißen, tiefausgeschnittenen T- Shirt, das ich trug. Auch meine Haare hatte ich heute ausnahmsweise nicht in einem Zopf gebunden, stattdessen sie fielen mir locker über die Schultern. Ana, die sich zu mir ins Zimmer eingeladen hatte, damit wir uns gemeinsam für die Party fertig machen konnten, hatte mir auch leichtes Make-up aufgetragen, das meine Augenringe gut verdeckte. Ich musste gestehen, ich sah nicht schlecht aus. Dennoch krampfte mein Magen sich bereits den ganzen Nachmittag angstvoll bei dem Gedanken an all die Menschen zusammen, die ich in wenigen Minuten kennenlernen würde. Die letzten Monate hatte ich mich vor der Reitsportwelt versteckt und nun würde ich den Tribut dafür zahlen müssen. Ana hingegen war völlig in ihrem Element. Sie summte fröhlich eine Melodie vor sich hin, während sie sich selbst ebenfalls noch etwas schminkte. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich richtig gestylt, mit ihrem schwarzen Sommerkleid, das ihr ausgesprochen gut stand und genau die richtigen Stellen an ihrem kurvigen Körper betonte. Etwas neidisch verfolgte ich, wie sie die Mascara sinken ließ, mit der sie gerade noch ihre Wimpern bearbeitet hatte, und sich frech im Spiegel angrinste. Ihre babyblauen Augen glitzerten vor Abenteuerlust und sie drehte sich auf dem Hocker, der vor meinem Schminktisch stand.

„Ach Val, ich kann von hier aus sehen, dass du dir schon wieder Gedanken machst! Scheint eine richtige Krankheit von euch Deutschen zu sein! Das ist echt übel, ihr müsst das Leben einfach mehr genießen!" schimpfte sie beinahe liebevoll und knuffte mich freundschaftlich in die Seite, als ich zu ihr an den Tisch herantrat. Statt zu antworten füllte ich beide Schnapsgläser mit der klaren Flüssigkeit aus einer großen Flasche, die Ana vorhin mit in mein Zimmer mitgebracht hatte. Zauberwasser nannte sie die Flüssigkeit augenzwinkernd und auch wenn ich mir sicher war, dass es sich dabei um Vodka handelte, hatte ich nicht lange gemeckert und stattdessen bereits den ein oder anderen Shot mit ihr getrunken. Sie jedoch hatte mindestens das Dreifache getrunken und schien allerdings noch völlig normal, was mein Vorurteil bestätigte, dass Russen doch nochmals trinkfester waren, als ich es für möglich gehalten hatte. Und auch diesen Shot nahm sie grinsend an und hob gerade das Glas, um mit mir anzustoßen, als es an der Tür klopfte. Kurzfristig setzten wir beide die Gläser wieder ab und sie ließ die Flasche unauffällig verschwinden, während ich zur Tür ging und vorsichtig öffnete.

„Alkoholkontrolle!" drang eine ernste Stimme von außen und mein Herz rutschte in die Hose. Ich öffnete die Tür weiter und stand zwei Männern gegenüber, die sich ihr Lachen kaum verkneifen konnten. „Ach, ihr seid doch blöd!" schimpfte ich im nächsten Moment, prustete dann aber auch los, als ich erkannte, dass es Daniel und Gerald waren, die dort eine Alkoholkontrolle durchführen wollten. „Ja, gibt es denn jetzt auch was?" fragte Gerald neugierig auf Deutsch und schob sich dann an mir vorbei direkt auf Ana zu, die bereits zwei weitere Gläser aus ihrer Tasche gezaubert hatte und in Windeseile ebendiese mit ihrem Wunderwasser befüllte. „Los, Leute, lasst uns Anstoßen!" quietschte Ana und hob bereits ihr Shotglas. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und schnappten uns jeweils ein Glas. Einen Wimpernschlag später hatten alle ihr Glas erhoben. „Auf einen guten Abend?" sagte ich, nachdem mich drei erwartungsvolle Augenpaare gemustert hatten. „Auf einen guten Abend!" stimmten die anderen im Chor ein.

Wenige Minuten später hatten wir Johann und Sonja, die Vielseitigkeitsreiterin im russischen Team, ein unauffälliges Mädchen mit dunklen Haaren und Sommersprossen, in der Vorhalle aufgegabelt und uns dann anschließend alle in ein Golfcart gequetscht. Mit diesem waren wir vom Anwesen gerauscht und die fünf Minuten bis zum Haus der Franzosen hatte ich mich mit schweißnassen Händen an meinem Vordersitz festgehalten, was nicht ausschließlich an Johanns unglaublich rasantem Fahrstil lag. Nun, zwei Minuten später, hielt er mit quietschenden Reifen vor einer Einfahrt, dessen Tor bereits weit geöffnet war. Innen standen bereits zwei andere Golfcarts. Es waren also bereits alle da! Fuhr mir durch den Kopf und meine Nervosität stieg nochmals an. Peinlich berührt rieb ich meine schweißnassen Hände an meiner Jeans ab, während ich mit den anderen aus dem Gefährt stieg. Gerald schien zu bemerken, dass ich mich sorgte und zwinkerte mir aufmunternd zu. Generell war er in der vergangenen Stunde wirklich aufgetaut und hatte seine unnahbare Schale fallen lassen. Deshalb hakte er sich keck bei mir und Sonja unter und grinste spitzbübisch, als ich ihn fragend ansah. „Nicht, dass ihr zwei Hübschen denkt, ihr dreht wieder um! Mitgegangen, mitgefangen!" flötete er und ich blickte hilfesuchend zu der Vielseitigkeitsreiterin, die allerdings ebenso sorgenvoll zurückblickte. Es war offensichtlich, dass Johann sie bearbeitet hatte, mitzukommen, denn ich konnte erkennen, dass ihr Daumennagel deutlich abgekaut war. „Also Leute, los geht's! Nicht, dass die Party noch ohne uns losgeht!" lachte Daniel und deutete auf das große Haus, das sich zu unserem kaum unterschied. Hellerleuchtet lud es uns ein, einzutreten.

Laute Musik empfing uns, als wir die wenigen Stufen der Freitreppe emporklommen und Daniel, der Ana im Schlepptau hatte, die Tür öffnete. Drinnen war es noch lauter, allerdings war keine Menschenseele zu sehen, weshalb wir uns weiter vortasteten und am Speisesaal vorbeiliefen. Geradeaus ging eine weitere hohe Tür weg, hinter der lautes Stimmengewirr vermuten ließ, dass die anderen dort bereits kräftig feierten. Automatisch wurden meine Schritte langsamer, was Gerald zu merken schien, und mich aufmunternd noch näher an seine Seite drückte. Sonja war in der Zwischenzeit von Johann beschlagnahmt worden und dieser blickte sie beschwörend an, als könnte er sie so am Gehen hindern. Der Rest der Gruppe- bestehend aus Ana und Daniel schien dies allerdings gar nicht zu bemerken, die beiden Partymäuse waren bereits voll in ihrem Element und unterhielten sich prächtig. Kurz bevor Daniel es schaffte, die Tür zu öffnen, beugte sich Gerald zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: „Du siehst gut aus!" Als ich mich kurz versteifte und fragend zu ihm hochblicke, winkte er nur ab und beugte sich gerade runter, um mir nochmals etwas ins Ohr zu flüstern, als Daniel mit einem Ruck die Tür öffnete. Sofort zuckten alle Augenpaare im Raum zu uns und für einen Moment schien die Zeit stehen zu blieben. Das Discolicht schien sich langsamer zu drehen und auch die Musik wummerte nicht mehr in meinen Ohren. Doch viel zu schnell setzte alles wieder ein und ein ausgelassenes Gegröle war zu vernehmen, als Daniel die Arme hob. „Keine Sorge, ich hab' das mit London damals mitbekommen! War nicht schön!" erst jetzt bemerkte ich wieder, dass Gerald noch neben mir stand und ich blickte dankbar zu ihm hoch.

Gemeinsam mischten wir uns in die Menge und dort verstreute sich schnell unsere Gruppe, mit der wir zusammen hergekommen waren. Sonja hatte sich in ein Eck verkrümelt und beobachte alles mit gebührendem Abstand, Daniel und Ana waren ein festes Team und leerten einen Shot nach dem anderen an der Bar, während ich den Blick durch die Menge schweifen ließ. Ich hatte Charly nicht mehr erreichen können, und hoffte allerdings inständig, dass sie ebenfalls auf der Party war. Jedoch konnte ich nirgends ihren blonden Schopf in der Menge erkennen. Zu viele junge Menschen hatten sich bereits auf der improvisierten Tanzfläche versammelt und machten es so schwer, einzelne Gesichter zu erkennen. „Ich geh kurz was zu trinken holen, ja?" schrie mich Gerald über die Musik hinweg an und deutete auf die Bar am Ende des Raumes. Ich nickte schnell und hob den Daumen. Auch wenn es mir nicht behagte, nun allein zu sein, so wollte ich auch keine Last für den Vielseitigkeitsreiter sein.

Doch kaum hatte er sich durch die ersten tanzenden Menschen geschoben bereute ich meine Entscheidung und hob gerade unsicher meine Hand, um verstohlen an meinem Daumennagel zu kauen, als sich eine schwere Hand auf meine Schulter legte. Hektisch wirbelte ich herum und riss entsetzt die Augen auf, als ich in vertraute eisblaue Augen sah. Logan! „Val, ich hatte nicht gedacht, dass du auf die Party heute kommst!" stammelte er und seine Augen waren weit aufgerissen, sodass ich die roten Äderchen gut sehen konnte, die das Weiße in seinen Augen durchzogen. Gerade wollte ich mich von ihm losmachen, als sich der Griff an meiner Schulter verstärkte. „Val, es tut mir so leid, hätte ich das früher gewusst!" stammelte er zusammenhangslos, und ich runzelte verwirrt die Stirn. Was war nur mit ihm los? Was für Tabletten hatte er geschluckt, dass er so durcheinander war? Und vor allem, für was entschuldigte er sich? Fragend ließ ich den Blick durch die Menge schweifen, konnte jedoch nicht den Auslöser für sein komisches Verhalten finden. 

London schien doch gar nicht da zu sein. Warum machte er so einen Aufstand? Unsicher blickte ich in seine Augen, als sich eine deutlich leichtere Hand auf meine andere Schulter legte. „Sag mal, was ist denn heute los?" fluchte ich und drehte meinen Kopf, in die Richtung, in der ich die andere Person vermutete. „Charly!" rief ich einen Wimpernschlag erfreut aus und wollte gerade meine beste Freundin überschwänglich begrüßen, als ich die Sorge in ihren braunen Augen las. „Val, ich freu mich, dich zu sehen, aber wir müssen dringend nach draußen, ich muss dir was erzählen..." sie hatte ihren Satz noch nicht vollendet und warf allerdings Logan einen bestimmenden Blick zu, woraufhin mich beide sanft aber bestimmt in Richtung der Terrasse führten. „Was ist hier los?" fragte ich alarmiert und blickte sorgenvoll von einem zum anderen. Logan und Charly zogen zusammen an einem Stick und zickten sich nicht nur an? Irgendetwas konnte überhaupt nicht...

Mein Gedanke blieb unvollendet, als eine glockenhelle Stimme meinen Namen rief, die ich unter Tausenden wiedererkannt hätte. Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken.

„Hey Val, na, hast du mich vermisst?"

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