Kapitel 3

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„Auf gar keinen Fall!" ich stemmte meine Füße energisch in die Fußmatten von Charlys Mercedes. „Val! Du hast es versprochen!" ihre Stimme klang strenger als eine Mutter, die ihr Kleinkind vom Süßigkeitenregal abhielt. Ich ließ meinen Blick erneut störrisch zu der großen Halle schweifen, die in mir gemischte Gefühle hervorrief. „Schau, Val, hier hast du deine erste Kür mit Olympio gewonnen..." versuchte sie mich zu locken und deutete auf das große Turniergelände, das imposant vor mir aufragte. „Nein, Charly, ich kann das nicht! Nicht, nach der ganzen Sache mit Danci..." flehte ich und setzte ein leidendes Gesicht auf. Meine beste Freundin interessierte sich dafür aber herzlich wenig und ging in die Offensive, indem sie mich am Arm aus dem Wagen zog. „DU kommst jetzt mit und damit basta! Ich hab ja nicht umsonst Unmengen an Geld ausgegeben, nur damit wir nachher wieder im Auto sitzen und streiten!" sagte sie, während sie mich schnellen Schrittes in Richtung Eingang. Doch damit hatte sie ihre Rechnung ohne mich gemacht. Ich versteifte meine Füße und machte mich absichtlich schwer, sodass sie kaum eine Chance hatte, mich vorwärtszubewegen. „Val!" zischte sie und die Wut, die sie gerade unterdrückte, ließ ihren Kopf tomatenrot anlaufen.

Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht blickte ich meine beste Freundin hämisch an und zuckte nur mit den Schultern. „Also gut, du wolltest es nicht anders: Wenn du nicht gleich mit mir da reingehst, dann schreie ich ganz laut und lasse dich von den Securities abführen. Dann bist du mich und das Turnier zwar los, aber dann können dich deine Eltern erst einmal schön von der nächsten Polizeiwache abholen..." Nun war ich es, die ein entrüstetes Schnauben ausstieß. Das konnte sie doch nicht wirklich machen! Und während ich mich noch aufplusterte, nutzte Charly den Moment schamlos aus und riss mich förmlich mit sich, durch den Eingang hindurch, nicht ohne zuvor noch die Eintrittskarten vorzuzeigen. Mit einem freundlichen Nicken ließ uns der Security Mann passieren und ich wollte ihm noch hilflos zurufen, dass ich nicht freiwillig hier war, presste dann aber intuitiv die Lippen zusammen, als ich den warnenden Blick meiner besten Freundin auffing. Sie zog mich noch ein paar Schritte weiter, bevor sie mich endlich losließ und schwer durchatmete. 

„Mensch Val, wenn das jetzt immer so viel Kraft kostet, dann musst du dir wirklich eine andere beste Freundin suchen! Ich halte so etwas nicht mehr lange durch!" schnaufte sie und zeigte mit dem Finger anklagend auf mich. Ich wollte schon zurück schnappen, dass dieses Turnier auf gar keinen Fall auf meinem Mist gewachsen war, als in der überdimensionalen Halle ein aufmunternder Tusch gespielt wurde. Sofort zuckte Charlys Blick zu der Halle und sie packte mich erneut am Jackenärmel. „Los, die erste Prüfung fängt gleich an!" Seufzend beugte ich mich meinem Schicksal und tippelte hinter der verrückten Blonden her, die mich heute Morgen um 5 aus dem Bett geschmissen hatte, nur um jetzt ein paar Springreiter dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig die schnellste Runde abknöpften.BAls wir uns schließlich an durch das große Eingangstor quetschten, dass uns direkt zu den Tribünen bringen würde, schlug mir der Geruch nach Sand, Pferd und Pommes in die Nase- der unverkennbare Turniergeruch und für einen Moment war ich wie benebelt. Die strahlenden Lichter, der helle Sand, die großen Fahnen- all das erinnerte mich an jeden einzelnen Sieg, an jede einzelne Platzierung, die ich in den letzten Jahren errungen hatte. Völlig gebannt ließ ich mich von Charly zu unseren Sitzplätzen führen und atmete noch einmal tief den Geruch ein, der uns umgab, bevor ich tief durchatmete. Ein leises Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Es hatte sich gelohnt, sich von Charly durch halb Deutschland schleppen zu lassen, um Turnierluft zu schnuppern- ich hatte es vermisst.

Als ich eineinhalb Stunden später die Hände sinken ließ, mit denen ich zuvor noch den Sieger der S*- Springprüfung klatschend gratuliert hatte, grinsten Charly und ich uns an und riefen gleichzeitig: „Pommes!". Kichernd hakte sich meine beste Freundin bei mir unter und gemeinsam reihten wir uns in den dichten Strom Menschen ein, der aus der Halle strömte, bevor wir steil auf eines der kleinen Häuschen zusteuerten, das die besten Pommes auf dem Turniergelände versprach. Zumindest stand das auf dem großen Schild, dass direkt neben der kleinen Bude aufgestellt worden war. Zitternd stellten wir uns in die Schlange, die sich bereits einige Meter staute. Während ich mein Handy rauskramte und Michi zurückschrieb, der sich erkundigt hatte, wie es in Ankum denn nun sei, blickte Charly sehnsüchtig nach vorne und beschwerte sich gleichzeitig darüber, dass wir schon so lange anstehen mussten. Ich blendete sie und meine komplette Umwelt komplett aus und war so in mein Handy vertieft, dass ich den jungen Mann erst wahrnahm, als seine dunkle warme Stimme mich aus meinen Gedanken riss. „Charly, Valerie, ich hätte nicht erwartet, euch hier zu sehen!" Hektisch blickte ich hoch und blieb stocksteif stehen, während Charly völlig entzückt auf den italienischen Springreiter zu rannte, den sie in Fontainebleau auf der EM kennengelernt hatte. „Lorenzo! Me allegro de verte!" quietschte sie und vergaß dabei komplett, dass sie dem Italiener gerade Spanisch um die Ohren gehauen hatte. Ich verzog nur die Lippen zu einem kurzen Lächeln und nickte Lorenzo kurz zu. Doch er bemerkte mich kaum, sondern hatte seine schokoladenfarbenen Augen bereits wieder auf meine beste Freundin gerichtet, die sofort wie ein Wasserfall anfing zu plappern und nebenbei wild gestikulierte. Ich schüttelte nur leicht grinsend den Kopf. Jeder normale Mensch hätte bei so viel Verrücktheit sofort die Flucht ergriffen, doch der schwarzhaarige Italiener schien wirklich eine große Schwäche für meine beste Freundin zu besitzen, denn er nickte nur verständnisvoll und fuhr sich einmal über die Lippen. Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder meinem Handy zu, und hatte mich gerade wieder in Instagram vertieft, als ich unsanft am Arm gerüttelt wurde.

„Val, kannst du mir bitte Pommes mitbestellen? Lorenzo hier-" sie piekte dem Springreiter in den muskulösen Bauch, „...will mir die Stallzelte und seine Pferde zeigen, aber ich bin rechtzeitig wieder da, um gemeinsam mit dir zu essen!" versicherte sie mir und deutete auf die lange Schlange vor mir, die sich noch nicht wirklich verkleinert hatte. Dennoch sträubte es in mir, Charly einfach gehen zu lassen. Doch sie nahm mir die Entscheidung einfach ab, gab mir einen Schmatzer auf die Wange und quietschte: „Du bist die beste, danke dir!", bevor sie sich bei dem Italiener einhakte und an der Halle vorbeitrabte, um zu den besagten Stallzelten zu kommen. Ich stieß lediglich ein tiefes Seufzen aus. Hoffentlich waren die Pommes diese Warterei wenigstens wert- Ich hoffte es für sie.

„Verdammt Charly!" brummte ich eine halbe Stunde später, während ich zwei dampfende Pommesteller auf einem Arm balancierte und mir nebenbei noch mein Handy an mein Ohr hielt, um meine Beste Freundin anzurufen, dass sie schleunigst ihren Arsch herbewegen sollte, wenn sie noch warme Pommes haben wollte. Doch ich landete nur auf der Mailbox und während ich mir grummelnd ein Pommes in den Mund steckte und überlegte, fing es auch noch leicht an zu nieseln. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen warf ich einen Blick nach oben. Das dufte doch nicht wahr sein! Ich stand hier in der Eiseskälte, während sich meine beste Freundin mit einem gutaussehenden Springreiter vergnügte! Wütend setzte ich mich in Bewegung. Na warte, die konnte was erleben, wenn ich sie in die Finger bekam! Mit großen Schritten stiefelte ich an der großen Halle entlang, in der gerade noch der Boden frisch gefahren wurde und die Hindernisse für das nächste Springen aufgestellt wurden und überquerte eine dieser grässlichen Kabelbrücken, über die ich beinahe gestolpert wäre, bis ich schließlich vor dem ersten Stallzelt stand.

Da ich natürlich absolut keinen Schimmer hatte, in welchem der fünf Stallzelte Lorenzo seine Pferde eingestallt hatte und ich nicht an der Security vorbeikam, die vor jedem einzelnen der großen Zelte aufgestellt waren, musste ich wie ein Verbrecher um die Stallzelte herumschleichen, in der Hoffnung, dass ich entweder eines seiner Pferde durch die Fenster in der Rückwand erkannte oder vielleicht sogar die beiden selbst erwischte. Die leichten Tropfen waren zu einem Tröpfeln angestiegen und hatten sich schließlich zu einem ausgeprägten Nieselregen entwickelt, weshalb ich den Kopf einzog-da ich immer noch die Pommesteller in den Armen hielt, konnte ich mir meine Kapuze nicht über den Kopf ziehen. Grummelnd stapfte ich an den Stallzelten entlang, immer darauf bedacht, in keine Pfütze zu treten, oder über ein weiteres Kabel zu stürzen. Innerlich verfluchte ich Charly zum tausendsten Mal, als ich mit einem Mal gegen etwas großes stieß. Ein spitzer Schrei entfuhr mir, als die Pommesteller sich selbstständig machten und zusammen mit dem Ketchup, dass ich großzügig auf beiden Tellern aufgebracht hatte, über mein Gegenüber purzelten und wie der Regen an ihm hinunterprasselten. Ich wollte schon zu einer großen Entschuldigung ansetzen, als ich an meinem Gegenüber nach oben blickte und mich zwei eisblaue Augen entsetzt anblickten.

Shit. 

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