Kapitel 14

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„Uff, lange halte ich das hier nicht mehr durch, First Class hin oder her!" Sam, die eine Reihe vor mir saß, rieb sich mit zusammengekniffenen Augen über die Stirn. Ich konnte ihr mehr als zustimmen. Vor mehr als 5 Stunden waren wir in den Flieger gestiegen und seitdem brummte die Maschine in einem gleichförmigen Geschaukel über den großen Teich. Charly, die im Sitz neben mir saß, war die Einzige, die es geschafft hatte, einzuschlafen. Ob es ihr grundsätzlich tiefer Schlaf war, oder die zwei Schlaftabletten, die sie sich vor dem Flug reingepfiffen hatte, konnte ich nicht beantworten, dennoch lehnte ihr schwerer Kopf nun seit geraumer Zeit an meiner Schulter an. Ich persönlich hatte es die vergangenen Stunden auch versucht, in einen kurzen Schlaf zu fallen, allerdings hielten mich meine Gedanken, die in dieser bisherigen Zeit keine einzige Pause eingelegt hatten, wach und ließen mir immer wieder kalte Schauer den Rücken hinunterrieseln. Mit einem leisen schmerzerfüllten Brummen versuchte ich meinen Kopf etwas kreisen zu lassen, jedoch protestierte mein Nacken daraufhin mit einem brennenden Schmerz. Zu steif war ich die vergangenen Stunden gesessen. Außerdem musste ich dringend mal auf die Toilette, jedoch saß ich am Fensterplatz und da Charly immer noch wie ein Baby schlief, war es mir so gut wie unmöglich, meinen Platz zu verlassen.

Deshalb zog ich seufzend erneut mein Handy aus meiner Tasche und tippte auf das Instagram- Symbol auf meinem Home-Bildschirm. Direkt am Anfang dieses Fluges hatten alle Teilnehmer eine Nachricht auf ihr Handy geschickt bekommen, die ihre neuen Social-Media- Accounts aufzeigten. Mein privates Profil, auf dem ich normalerweise Sachen postete, war für die gesamte Zeit der Show gesperrt, sodass ich nur noch die Möglichkeit besaß, über das neue Profil Bilder und Storys hochzuladen. Und obwohl dieses Profil erst heute erstellt worden war, folgten mir bereits 20 000 Leute. Um meine neuen Follower besser kennenzulernen, klickte ich mich durch die Profile und gab hie und da auch ein Like oder gar ein Kommentar. Gerade hatte ich mich durch die ersten Duzend gearbeitet, als mir ein Profilfoto direkt in die Augen stach und mich scharf einatmen ließ. Beinahe reflexartig tippte ich auf dieses Profil und entdeckte genau dasselbe Bild in seinem Feed. Wut brandete in mir auf, als ich ihn erkannte, wie er lässig ohne Sattel auf seiner braunen Stute saß und frech in die Kamera grinste. „London!" fauchte ich, leider laut genug, um Sam dazu zu bringen, sich neugierig umzudrehen. „Dieses Bild habe ich von ihm gemacht! Das kann er doch nicht einfach so hochladen!" murrte ich anklagend und drehte mein Display so, dass die Rothaarige vor mir einen guten Blick auf mein Handy hatte.

Sams Blick lag eine Sekunde auf dem leuchtenden Bildschirm, bevor sie die Lippen mitleidig verzog. „Tja, meine Liebe, dann solltest du dir die Kommentare unter diesem Bild wohl schon zweimal nicht durchlesen!" Mit zusammengezogenen Augenbrauen zog ich mein I Phone wieder zurück und tippte auf die Kommentare, während Sam ein tadelndes Schnauben verlauten ließ. Und was ich dort las, drehte mir den Magen um. Kommentare wie „Hot, hott, hott" oder „erstmal schockverliebt" reihten sich aneinander. Doch als ich bei einer Userin den Kommentar „Ladies, zum Glück ist er wieder Single!" las, platzte mir der Kragen und ich konnte ein wütendes Schnauben nicht zurückhalten. „Ich hab dich gewarnt!" warf Sam vorsichtig ein und hängte sich halb über ihre Sitzlehne um einen Blick auf meinen Bildschirm zu erhaschen. „Was hast du gemacht?" mischte sich Charly schläfrig ein und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Sie sollte sich definitiv nicht die Kommentare unter Londons Bild ansehen, weil die Girls gerade massenweise durchdrehen!" fasste Sam die Lage nochmals zusammen und warf meiner besten Freundin einen wissenden Blick zu. Charly nickte bloß. „Jetzt lasst mich doch lieber in Ruhe mit eurem blöden Gefasel, ich muss sowieso schon länger aufs Klo!" versuchte ich mich aus der Situation zu retten und schob mich ziemlich grob an Charly vorbei und flüchtete förmlich in die Toilettenkabine.

Drinnen angekommen lehnte ich mich schwer atmend gegen die Falttür. Mein Handy presste ich fest an mich, während die Gedanken in meinem Kopf Karussell fuhren. Ich hatte London abgesägt. Er hatte mir wehgetan. Er hatte mir den Tod meiner Stute verheimlicht und mich ahnungslos auf die EM fahren lassen. Knirschend löste ich meine Kieferknochen voneinander was meine Zähne mit einem undankbaren Knirschen kommentierten. Im selben Moment fiel mein Blick auf den kleinen milchigen Spiegel, der über dem winzigen Wachbecken angebracht worden war. Eine hagere und ausgemergelte Version von mir blickte mich mit weinerlicher Miene daraus an. Ein Schreck zuckte durch all meine Glieder und ich wagte mich einen weiteren Schritt nach vorne und fixierte mit starrem Blick mein Spiegelbild. Meine Finger fuhren über meine Kieferknochen, die in den vergangenen Wochen immer mehr zum Vorschein gekommen waren. Durch meinen fehlenden Appetit hatte ich viel Gewicht verloren und das zeigte sich auch in meinem blassen Gesicht. „Das wird ein Neuanfang!" versprach ich meinem Spiegelbild. „Keine alten Fehler mehr. Die Vergangenheit ist Geschichte!" sprach ich mir eindringlich zu, mein Spiegelbild jedoch wirkte noch nicht ganz überzeugt. „Das wird ein Neuanfang!"

Genau diese Worte hallten noch in meinen Ohren nach, als ich weitere fünf Stunden später mit wackligen Beinen den Flieger verließ. Meine Schuhe quietschten unheilvoll auf dem glänzenden Boden und vermischten sich so mit den vielen Schritten der anderen. Die meisten in dem Flieger waren Reiter der Queen-Show oder Angehörige. Aus diesem Grund konnte ich mich in den Strom meiner Mitstreiter einreihen und musste nicht selbst hektisch nach dem Weg suchen. Genau denselben Gedanken schien auch Sam gehabt zu haben, denn sie schlurfte gedankenversunken neben mir her, die Augen in ihrem Handy. Auch Charly, die ihren Schlaf inzwischen für beendet erklärt hatte, trottete entspannt neben mir her. Ein paar Reihen vor uns konnte ich Logans schwarzen Haarschopf erkennen, direkt neben ihm erkannte ich die hagere Gestalt des schwedischen Springreiters Björn Larsson. Ihn hatte ich auf der Euro kennen gelernt, genauso wie die meisten anderen, die um mich herumliefen.

Lediglich das jeweilige Team der USA, Canada, Japan, Mexico und Schweiz würde ich erst im Camp kennenlernen. Neugierig war ich allerdings bereits durch die Social-media-accounts der jeweiligen Dressurreiter gescrollt. „Val, dein Reisepass! Wir sind gleich dran!" riss mich Charlys Stimme aus meinen Gedanken und ich blickte überrascht hoch. Ich war so in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass wir bereits an den Passkontrollen angekommen waren. Zügig verkleinerte sich die Schlange an Personen, die vor uns durch die Kontrolle gelotst wurden. Mit einem nervösen Seitenblick auf die Frau am Schalter kramte ich meinen Pass hervor. Uns war vor Abflug von unseren Reiseführern eingebläut worden, alles immer direkt parat zu haben, da die amerikanischen Behörden relativ strenge Reglements besaßen. Doch meine Sorge war unbegründet, denn als ich am Schalter ankam, schenkte mir die junge Frau nur ein kurzes professionelles Lächeln, bevor sie meinen Reisepass durchblätterte und mit konzentrierter Miene auf ihrer Tastatur herumhackte. Dann gab sie mir auch schon meinen Reisepass zurück und verabschiedete mich mit einem Lächeln. Ungläubig trat ich zwei Schritte vor und mit einem Schlag wurde mir klar: Ich war in den USA! Ich hatte es geschafft!

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