Kapitel 4

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„Verdammt Val!" mit einem hektischen Sprung versuchte sich mein schwarzhaariger Gegenüber vor dem Schlimmsten zu schützen, scheiterte jedoch kläglich. Das Ketchup hatte sich bereits seinen unerbittlichen Weg auf die, zuvor noch blütenweiße Reithose gebahnt. Ich selbst stand völlig nutzlos in Schockstarre da, unfähig mich zu bewegen oder gar überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. „Val?" Er kam einen weiteren Schritt wieder auf mich zu und rüttelte mich sanft am Arm, den ich immer noch in balancierender Pose vor mich hielt, als würden die Pommesteller noch auf meinen Händen liegen. „Val? Ich bin's, du kannst aus deiner Schockstarre erwachen!" beinahe mitleidig musterten mich Logans eisblaue Augen, die denen seines Zwillingsbruders so unglaublich ähnelten. Mit einem tiefen Seufzen ließ ich all die angestaute Luft entweichen, die ich zuvor angehalten hatte und schloss einmal kurz die Augen, um mich zu sammeln.

„Komm mit, ich muss mich erst einmal neu umziehen und du siehst aus, als könntest du eine Pause von dem ganzen Turnierrummel brauchen..." erneut streckte Logan seine Hand aus und zog mich mit sich. Nach ein paar Augenblicken hatten wir auch schon den golden glänzenden Truck der Fischer- Zwillinge erreicht. Er glich in einer exakten Kopie dem Alten, der damals in den Unfall verwickelt worden war, weshalb ein kalter Schauder über mein Rücken fuhr. Unwillkürlich schüttelte ich mich, um die aufsteigende Panik abzuschütteln, die bereits meine Kehle hochkroch und atmete einmal tief durch. Logan, der mein Zögern falsch verstand, raunte leise: „Keine Sorge, er ist gerade bei den Pferden und wir haben das Stallzelt am anderen Ende der Wiese bekommen, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen." Ich nickte lediglich und erklomm gleichzeitig die drei Stufen, die mich ins luxuriöse Innere des Trucks brachten.

Ein ausgedehnter Wohnbereich mit integrierter Küchenzeile, eine Tür hinter der sich das Badezimmer mit einer großen Dusche befand, sowie die Schlafkojen ganz vorne, direkt hinter der Fahrerkabine. Die Einrichtung kam mir so unglaublich vertraut vor, genauso wie die heillose Unordnung, die herrschte. „Was treibst du denn überhaupt hier?" Logans Stimme kam aus dem vorderen Bereich des Trucks, in dem auch die Schlafkojen lagen. Wahrscheinlich schälte er sich gerade aus der befleckten Reithose, um in eine neue, Fleckenfreie zu schlüpfen. „Charly meinte, ich sollte wieder einmal Turnierluft schnuppern..." gab ich vorsichtig zurück und blickte nebenbei auf die unzähligen gerahmten Bilder, die über der Sitzgruppe im Wohnzimmer aufgehängt waren. Viele der Pferde, die dort mit Logan oder London zusammen abgebildet waren, kannte ich nur zu gut. So entdeckte ich unzählige Bilder von Logans stattlichem Rapphengst Fire, der eigentlich den langen Namen Cos' I'm free trug, mit dem er unter anderem die Weltmeisterschaft der Jungen Reiter vor zwei Jahren gewinnen konnte, sowie Londons Stute Luftwaffe, die mit ihrem besonderen Braunton aus den ganzen Bildern herausstach. „Charly ist auch da?" fragte Logan mit einem hoffnungsvollen Unterton, bei dem er mir sofort leidtat.

Seit den schlimmen Anschuldigungen vor einem guten halben Jahr, die erst London auf sich genommen hatte, um seinen Bruder zu schützen, herrschte zwischen meiner besten Freundin und Logan eisige Funkstille. Und nicht nur das, ich hatte auch so das Gefühl, wie wenn Charly mit dem Kapitel Logan komplett abgeschlossen hätte. Dass dieser allerdings immer noch an ihr zu hängen schien, überraschte mich. Denn als ich vor zwei Jahren auf das Internat gekommen war, um an der Princess- Show teilzunehmen, die auf dem Gelände des Internats Rosenstein abgehalten wurde, wurde Logan seinem Ruf als der unnahbare Badboy und Herzensbrecher definitiv mehr als gerecht. Mit einem Lächeln dachte ich an die Anfangszeit zurück, an all die unbeschwerten Momente und die Momente, in denen ich damals dachte, dass ich sie nie überstehen würde. Hätte ich nur damals schon gewusst, was noch alles auf mich zukommen würde, dann hätte ich mich sicherlich nicht so in die ganzen Sachen hineingesteigert, dachte ich mit einem bitteren Beigeschmack auf den Lippen und drehte mich zu dem Springreiter, der in diesem Moment mit neuer Reithose aus dem Schlafzimmer kam und sich noch einmal durch die blauschwarzen Haare fuhr. Fragend blickte er mich an und versuchte gleichzeitig seine Anspannung zu verbergen. Schnell nickte ich also und gab allerdings direkt ein „Ich weiß aber gerade gar nicht, wo sie ist!" hinterher. Sollte er sich lieber um seinen anstehenden Ritt kümmern, als nach Charly zu suchen, die wahrscheinlich immer noch mit Lorenzo zusammenhing. Logan schien allerdings meine Lüge zu durchschauen und zog die Augenbrauen ärgerlich zusammen. „Val, bei allem Respekt, aber du kannst echt nicht lügen!" Prompt lief ich tomatenrot an und presste ertappt die Lippen aufeinander. Energisch schüttelte ich den Kopf, die Lippen immer noch zu einer festen Linie aufeinandergepresst. „Val!" Logan kam einen bedrohlichen Schritt auf mich zu. „Schau Chérie, es ist ja nicht so, dass Charly und ich noch zusammen sind, du kannst mir also sagen, wenn sie mit jemand anders unterwegs ist!" Dass er damit den Nagel auf den Kopf traf, versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, doch ich erkannte in seinen dunkel aufblitzenden Augen, dass es mir nicht gelungen war.

Mit unverhohlenem Zorn schlug er einmal auf den Wohnzimmertisch. Erschreckt stieß ich ein Quieken aus und blickte ihn mit großen Augen an. Dass er noch so an meiner besten Freundin hing, machte mich unglaublich traurig, da es mich auch gleichzeitig an meine Beziehung zu seinem Zwillingsbruder erinnerte. Trotz all der Lügen, trotz all der Verheimlichungen lag mir noch viel zu sehr an dem Springreiter und mein Herz stolperte einen Schritt nach vorne, als ich an all die großartigen Momente zurückdachte. London war immer da gewesen, in allen Momenten. Jeden Sieg hatte ich mit ihm zusammen gefeiert, in jede Niederlage hatte er mich begleitet und durch die dunkelsten Tage hatte er mich getragen. Plötzlich war ich es, die mit den Tränen kämpfte. Wuterfüllt ahmte ich die Geste seines Bruders nach und haute mit der Faust auf den Tisch, nur um danach schmerzerfüllt aufzujaulen. Ein stechender Schmerz jagte durch meine Faust und ich hüpfte auf der Stelle, während ich die lädierte Hand schüttelte, um sie zu kühlen. „Verdammt!" fluchte ich, während Logan ein Schnaufen entfuhr.

„Ich glaube, wir sind beide am Arsch!" schmunzelte er und unterdrückte ein Lachen. Ich schubste ihn nur spielerisch, bevor ich die Tür öffnete und wieder die Stufen des Trucks nach unten kletterte. Dann drehte ich mich wieder um, um Logan dabei zuzusehen, wie er die Tür zuknallen ließ, schnell abschloss und dann mit einem geübten Sprung die Stufen übersprang. Elegant landete er neben mir und grinste immer noch verschmitzt, während seine Augen jedoch dunkel glänzten. Gerade wollte ich ihm leise zuflüstern, dass alles schon wieder gut werden würde, als er mich fest in den Arm nahm, was ich völlig überrumpelt geschehen ließ. „Ach Val, das rocken wir wieder. Vor allem, wenn wir bald in die USA fliegen..." sein Satz blieb unvollendet, und ich wollte gerade fragend zu ihm nach oben blicken, da ich gar nichts von einem Ausflug in die USA wusste, als zwei schneidende Stimmen uns erschreckt auseinanderfahren ließen. „Logan?!" „Prinzesschen!?"

Oh shit. 

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