Kapitel 24

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„Logan, raus hier! Das ist die Mädchentoilette!" Die empörte Stimme eine meiner Konkurrentinnen durchbrach die angenehme Stille, die abgesehen von dem Papierhandtücher-rascheln und dem Rauschen der Toilettenspülungen die letzten Sekunden (oder Minuten?) über diesem Raum gehangen war. Ich zog meine Beine nochmals enger an meinen Körper und schlang meine Arme noch fester um sie. Das matte Schwarz der Toilettenkabine wirkte beruhigend auf mich und die klassische Musik, die leise im Hintergrund dudelte, und eine angenehme Atmosphäre schaffen sollte, übertönte zum Teil die Gedanken, die in mir schrien. „Ach was, Lucinda! Entspann dich! Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte! Erinnerst du dich?" Seine Stimme war weich, wie Honig, mit einem Hauch von Spott- er wusste genau was er tat. Ein Schnauben des Mädchens zeigte mir, dass sie das ebenfalls wusste. „Ach, ist doch egal! Wird mir eh zu blöd!" Klackernde Absätze waren zu hören und dann das satte Einrasten der Türklinke. Lucinda war weg. Ich ließ den Kopf rückwärts an die kühlenden Fliesen fallen. „Val?" Ich schloss die Augen. „Komm, ich weiß, dass du hier bist!" Seine Stimme klang lockend, doch ich reagierte nicht. Schwere Schritte näherten sich meiner Kabine. Ich zog die Augenbrauen zusammen, zwang mich jedoch die Augen geschlossen zu halten. Ein unerwartetes Geräusch ließ mich jedoch ebendiese entsetzt aufreißen. Was mich jedoch erwartete, ließ sich wohl ausschließlich mit dem Wort grotesk beschreiben. Unter der Toilettentür lugte Logans immer röter werdender Kopf hervor, während sein Mund zu einer breiten Fratze verzogen war. Logan Fischer kicherte. Er musste mein Entsetzen wohl auf meinem Gesicht abgelesen haben, denn eine erneute Kichersalve schien ihn zu schütteln, bevor er sich erklärte. „Hihi, jetzt weiß ich, warum die Amerikaner immer diese großen Abstände zwischen Tür und Boden einbauen! Damit die weglaufende Prinzessin von ihrem Prinzen doch noch gerettet werden kann! Hihi!" Er kicherte erneut. Ich blinzelte mehrmals. „Logan, bist du etwa drauf?" Fragte ich entsetzt und sofort wurde er ernst.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und irgendwie sah er sogar zerknirscht aus. „Hmm... ich bin wohl keine hilfreiche Ablenkung. Ich habe nur leider nicht so Erfahrung damit, heulende Weiber wieder aufzuheitern- normalerweise war ich immer eher schuld!" Jup- es war definitiv eine zerknirschte Miene. Ohne es zu wollen, entfuhr mir ein amüsiertes Schnauben. Ein Grinsen schlich sich auf Logans Gesicht und verwandelte seine bereits perfekte Erscheinung in eine Atemberaubende. „Ach komm, Val! Mach die Tür auf und dann reden wir drüber, okay?" Seine Stimme war weich und seine azurblauen Augen leuchteten fürsorglich. Innerlich rang ich mit mir. Konnte ich ihm vertrauen? „Wenn du nicht gleich diese beschissene Tür aufmachst, dann zwingst du mich, diesen teuren Smoking zu ruinieren!" Drohte er spielerisch, jedoch lag eine gewisse Ernsthaftigkeit in seiner Aussage. Er würde wirklich unter der Tür durchklettern, um zu mir zu kommen und mir zu helfen. Augenrollend fasste ich meinen Entschluss und lockerte meine Arme um meine Beine und tapste barfuß- meine High Heels hatte ich direkt ausgezogen, um meine Beine auf dem heruntergeklappten Toilettensitz anziehen zu können- zur Tür. Kaum hatte ich die Verriegelung geöffnet, sprang sie auf und Logan richtete sich wieder zu seiner vollen Größe aus. Er hatte wohl im Laufe des Abends seine Fliege gelockert, denn sie baumelte lose um seinen Hals und die obersten beiden Knöpfe seines blütenweißen Hemdes standen offen. Doch am meisten fesselten mich seine Augen. Sie waren allein auf mich gerichtet und in ihnen stand Sorge. „Darf ich dich umarmen?" Fragte er vorsichtig und ich blickte mit großen Augen zu ihm, bevor ich schwach nickte. Mit einem großen Schritt war er bei mir und schlang seine langen Arme um mich, drückte jedoch nicht fest zu, als sei ich zerbrechlich. In dem Moment, in dem seine Arme sich um mich schlossen, konnte ich ausatmen. Die Welt schien stehen zu bleiben. Logan war hier für mich. Er würde auf mich aufpassen. „Shhh! Alles gut!" Flüsterte er leise und ich merkte erst, dass ich meine Hände krampfhaft in sein Hemd gekrallt hatte und dicke Tränen aus meinen Augen quollen. Etwas unbeholfen tätschelte er mir auf den Rücken und allein diese Geste brachte mich dazu, aufzuschluchzen. Es war, als hätte seine Nähe alle Schleusen geöffnet, die ich seit Monaten zurückgehalten hatte. All meinen Schmerz, all meine Tränen hatte ich hinuntergeschluckt, bis sie schließlich überhaupt nicht mehr gekommen waren. Stattdessen hatten sich Angstattacken von hinten angeschlichen und mir fast täglich die Luft zum Atmen abgeschnürt. All die Erinnerungen, all die Wut- ich hatte alles zu lange in mich hineingefressen. Und nun hier, in einer zu kleinen Toilettenkabine auf einem der wohl rauschendsten Reitsportfeste des Jahres brach alles aus mir heraus.

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