Kapitel 27

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Dunkles Wiehern begrüßte mich am Freitagmorgen, als ich um sechs die Stallungen betrat. Und trotz der frühen Uhrzeit herrschte in und um die Stallungen schon eine hektische Betriebsamkeit. Heute würden wir die Pferde in die Transporter laden und die wenigen Minuten bis zum Palm Beach International Equestrian Center fahren, wo wir am Wochenende in den unterschiedlichen Prüfungen gegeneinander antreten würden. Bei einer kleinen Erkundungstour, die Johann, Ana und ich in den vergangenen Tagen einmal gewagt hatten, war mir aufgefallen, dass neben dem großen Equestrian Center an der Pierson Road auch noch ein weitere große Anlage ganz in der Nähe als Showfläche diente, laut Angaben auf der Website aber ausschließlich für die Dressur genutzt wurde. Und doch würden die Showteilnehmer aller Sparten am Wochenende in der großen International Arena an den Start gehen. Diese Arena würde wahrscheinlich mit eine der größten sein, in der ich je geritten war, wenn die Maße stimmten, die ich auf einer Karte auf der Homepage des Veranstalters gesehen hatte. Und es würde das erste Mal sein, dass wir die Fans hautnah erleben würden. Laut Kelsey- die sich nach unserer Wasserschlacht wieder etwas beruhigt hatte- waren bereits alle Tickets für die Tribünen restlos ausverkauft. Und als wäre das nicht genug, explodierten seit den letzten Tagen die privaten Nachrichten auf meinen Social-Media-Kanälen. Fast ausschließlich handelte es sich dabei um Nachrichten, in denen die Absender mir erklärten, wie sehr sie mir am Samstag und Sonntag die Daumen drücken würden. Ich liebte es, jede einzelne Nachricht zu lesen und versuchte wirklich, auch allen zurückzuschreiben, doch scheiterte kläglich. „Das ist total normal. Bedanke dich einfach in deiner Story und schreib dem ein oder anderen zurück.", hatte Daniel schulterzuckend gemeint, als ich gestern Abend danach gefragt hatte, wie die anderen damit umgingen. „Außer, es ist ein heißer Reiter mit dabei, dann würde ich auf jeden Fall zurückschreiben!", hatte Gerald mit einem frechen Grinsen ergänzt und hatte sich schnell hinter der Sitzlehne seines Sessels versteckt, um dem von mir geworfenen Kissen auszuweichen. Ganz zu meinem Ärger war ihm das auch gelungen, weshalb ich ihm einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte.

„Morga, Val! Na, alles fit?" Michi trat neben mich und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich seufzte nur und stellte das Heunetz ab, um die Hände in die Hüften zu stemmen. „Puh, ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin.", gab ich ehrlich zu pustete entkräftet die Luft aus meinen Lungen. Der Trubel am frühen Morgen machte mich unheimlich nervös und ich war froh, nun den bärtigen Schwaben an meiner Seite zu wissen. Auch hier in Wellington strahlte er eine gelassene Zuversicht aus, die es mir fast unmöglich machte, weiterhin aufgeregt zu sein. „Ach na, na. Nun mach dir mal koine allzu große Sorga! Olympio isch a wahrer Schatz und kennt sein' Job gut!" Michi kraulte den Hannoveraner neben ihm hinter den Ohren, was Olympio mit einem zufriedenen Schnauben bekräftigte. „Na dann glaub ich dir mal! Dann lass uns mal den Sattelschrank einladen und dann fahren wir schon los, oder?" lächelte ich meinem Pferdepfleger dankbar zu und trat gleichzeitig einen Schritt zurück in Olympios Box, um der Pflegerin von Annas Fuchs Platz zu machen, die bereits schwer beladen die Stallgasse entlangkam und ihrerseits den Sattelschrank vor sich her schob. Ihr Schützling folgte ihr dicht auf den Fersen, an der Hand von Ana, die mir im Vorbeigehen zuzwinkerte. „Bis gleich, Val!", rief sie noch über die Schulter, bevor sie aus der Stallgasse ins Freie trat.

Nachdem die ersten Transporter bereits das Gelände in Richtung Turnierplatz verlassen hatten, wurde es merklich ruhiger auf der Anlage und ich schaffte es dann doch noch relativ zügig, mit Michis Hilfe alles für das kommende Wochenende einzupacken. Stiefel, Jackett, Helm und meine restlichen Kleidungsstücke hatte ich in einem kleinen Koffer bereits als erstes in den Truck geladen und nun folgte der schwere Sattelschrank, in dem etliche Schabracken, Sattelgurte, Bandagen, Gamaschen und Putzutensilien gestopft waren. Leicht schnaufend hatte ich das schwere Metallschiff bis zum Truck gerollt und war danach heilfroh, ihn nur noch an die elektronische Seilwinde hängen zu müssen, die den Schrank innerhalb weniger Wimpernschläge in den LKW gezogen hatte. Nun fehlte nur noch Olympio, der in der Zwischenzeit von Michi auf Hochglanz geputzt worden war. Auch den Schweif hatte er noch einmal gründlich gewaschen und die wenigen Haare am Fesselkopf, die deutlich länger waren als die Restlichen, etwas gekürzt. So konnte mein Hengst sich wirklich blicken lassen. Das kastanienbraune Fell schimmerte sanft in dem weichen Licht, das durch die Fenster in die Stallgasse fiel und seine Augen glänzten herausfordernd. Schnell zog ich mein Handy aus der Tasche und machte ein paar Bilder, um sie später auf Instagram hochzuladen. „Also jetzt hopp! Los geht's, Val, wir sind wieder welche von de' letschte, die losfahrad!" Michi klatschte aufmunternd in die Hände und reichte mir zeitgleich Olympios Stick, den ich am Halfter befestigte und meinen Hengst schnell hinter meinem Pfleger her in Richtung Truck führte. Draußen ließ Olympio ein donnerndes Wiehern vernehmen und blieb für einen Moment reglos stehen, den edlen Kopf hoch erhoben, und spielte mit den Ohren, als würde er auf eine ganz bestimmte Antwort warten. „Na komm!", lockte ich ihn mit weicher Stimme und führte ihn dann die kurze Rampe hinauf. Mit geübten Handgriffen band ich ihn schnell an und sprang dann schnell ins Fahrerhaus, während Michi noch die Rampe schloss. Als ich mich angeschnallt hatte, schoss der erste Schwung Aufregung mein Rückgrat hinunter und ich musste mich unwillkürlich schütteln.

Ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war?

Jedoch hatte ich überhaupt keine Zeit, über meine Entscheidung nachzudenken, da wir nach bereits fünf Minuten schon das Gelände des Palm Beach Equestrian Centers erreichten. Und ich musste neidlos eingestehen, dass das die größte Anlage war, die ich wahrscheinlich in meinem Leben gesehen hatte. Nachdem wir die Security passiert hatten, lenkte Michi den Truck geradeaus an einem langen Parkplatz vorbei, an dem massenweise LKWs bereits ausgeladen wurden. Im Hintergrund konnte ich bereits mehrere Stallungen sehen. Aufgeregt blickte ich aus dem Fenster und als der Wagen hielt, sprang ich sofort aus dem Truck und blickte mich um. Um uns herum herrschte hektisches Treiben, Michi hatte einen Parkplatz relativ nahe an den Stallungen gefunden, weshalb nun an uns Pferde vorbeigeführt wurden, Sattelschränke verschoben und Menschen zu Fuß oder mit einem E-Scooter durcheinanderwuselten. „Welcher Stall?", fragte ich Michi knapp und er deutete nur stumm auf ein großes Stallgebäude, das mit der Nummer 1 gekennzeichnet war. Ich nickte- wir verstanden uns blind, die letzten beiden Jahre zusammen hatten uns so eingeschweißt, dass wir nun ohne viel abzusprechen, Olympio abluden und den Truck ausräumten. Während ich mich also um Olympio kümmerte und ihn in die hellen und geräumigen Stallungen führte, arbeitete Michi weiter am Truck, um meine restlichen Sachen auszuladen. So schritt nur mein massiger Hengst neben mir her, seine Hufe klackerten im Gleichmaß über den Beton und seine Augen waren neugierig auf die Umgebung fokussiert.

Die Öhrchen gespitzt betraten wir die Stallungen, in denen ich direkt an den Boxen nach unseren Namen Ausschau hielt. Es schien, als wäre auch hier alles nach Ländern und nicht nach Disziplinen geordnet und ich war heilfroh, am Ende des Stallganges eine österreichische Fahne zu erblicken. „Val, hier drüben!" Daniel winkte mir aufmunternd zu und deutete auf die Box, die neben seinem Schimmel noch frei war. Dankbar lächelte ich ihm über den Tumult hinweg zu und löste den Strick von Olympios Halfter, als dieser seine Box für die nächsten drei Tage betrat. Neugierig blickte er sich in seiner neuen Box um und wandte sich dann aber Danis Wallach zu, der ihn freundlich anblubberte. „Na, schon aufgeregt?" Ein langer Arm schlang sich um meine Schultern und als ich fragend zu der Person nach oben blickte, erkannte ich, dass es Gerald war, der mich freundlich anlächelte. Ich seufzte nur unsicher. „Puh, aufgeregt ist überhaupt kein Ausdruck!", murmelte ich leise und rümpfte ärgerlich die Nase über meinen Pessimismus. „Ach, Papperlapapp, du vergisst, das wir das Team Österreich sind! Wir fliegen schon nicht so schnell raus! Keine Sorge, wir bleiben bis zum Finale zusammen!" Zwinkerte Dani verschwörerisch und blickte uns mit feierlicher Miene an.

Na, wenn er da bloß recht hatte...

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