Kapitel 29

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~London~

Das gesamte Stadion schien die Luft anzuhalten, als sie in das Stadion einritt. Der große Fuchs unter ihr trabte mit kadenzierten Tritten, die Ohren konzentriert nach hinten gestellt. Und sie? Sie schien voll im Tunnel zu sein, lenkte Olympio mit feinen Hilfen einmal um die weißen Gatter, die als Seitenbegrenzung aufgestellt worden waren und hinter denen auch noch bunt bestückte Blumenkästen aufgestellt worden waren. Doch das schien sie überhaupt nicht zu interessieren, den Blick hatte sie auf das weiß lackierte Häuschen hinter C gerichtet, in dem die Chefrichterin dieser Prüfung auf ihren Einritt wartete. Das Glöckchen läutete und sie fasste die Zügel nochmal kürzer- ein reiner Reflex aus ihrer langjährigen Turniererfahrung- und parierte zum Schritt durch. Dann hob sie die Hand und die ersten Takte von Falkos „Herr Kommissar" schallte aus den Boxen. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken- na klar, dass sie ihn ausgewählt hatte, besser hätte sie das Thema nicht wählen können. Und so tanzte Olympio bis in das Viereck und kurz bevor sie zum Halt parierte, schallte die bekannteste Zeile des Liedes aus den Boxen: „Alles klar, Herr Kommissar?". Nach einer kurzen Pause, in der sie Zeit hatte, zu grüßen wechselte die Musik und Rock me Amadeus begleitete sie im verstärken Galopp die Mittellinie hinunter.

Der massige Hengst flog nur so über den hellen Sand, als würde ihn alles keine Mühe bereiten und ließ sich danach sanft einfangen und tief in die Ecke lenken, um danach auf die Diagonale abzuwenden. Kurz sah ich, wie sich Val kaum merklich verspannte, bevor sie den ersten Wechsel auslöste. Ich runzelte die Stirn. Das kannte ich nicht, normalerweise bereitete ihr keine Lektion so große Sorgen, dass sie sich so stark verkrampfte. Doch Olympio reagierte gelassen und sprang die Dreier- Wechsel flüssig. Am Ende der Diagonalen klopfte sie ihr Pferd kurz ab, bevor sie erneut auf die Mittellinie abwendete und die Zick-Zack-Traversalen zeigte. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich verstohlen an meinem Daumennagel kaute, jedoch hatte ich mich so weit in das Dunkel des Tunnels unterhalb der Zuschauertribüne zurückgezogen, dass mich eigentlich keiner sehen konnte. Und schon gar nicht sie.

Wie von selbst wanderte mein Blick zurück zu den beiden, die inzwischen zum versammelten Schritt durchpariert waren und zu der slowed version von Out of the dark die halbe Diagonale entlangschritten und zwei halbe Pirouetten auf kleinstem Raum einbauten. Olympio schien sich sogar so zu entspannen, dass ein Prusten von ihm zu hören war. Ein weiteres ermutigendes Klopfen meiner Val, bevor die beiden wieder zurück in die Passage fanden. Ausdrucksstark und kadenziert schwang der Fuchs nun über den Sand, den Hengsthals erhoben und die Ohren konzentriert nach hinten gedreht. Bei C versammelte sie ihn noch weiter und der Hengst reagierte mit einer schönen Piaffe, vielleicht etwas sehr im Vorwärts angelegt. Doch dann ließ sie die Zügel durch die Finger rutschen und fast die gesamte Körperspannung fallen. Der Hengst ließ sich ebenfalls aus der Piaffe fallen und schritt gleich mit einer Selbstverständlichkeit im starken Schritt weiter, die Diagonale, direkt auf mich zu. Aus den Boxen dröhnte Falcos tiefe rauchige Stimme „Wer hat verloren, du dich? Oder ich mich? Oder wir uns?" Und genau das war der Moment, der mich bis tief ins Mark traf. Meinte sie damit etwa mich? Oder uns? Gänsehaut kroch meinen gesamten Oberkörper hinauf und elektrisierte mich bis in die Haarwurzeln. Mein Herz pumpte schmerzvoll und das Blut, das durch meine Venen schoss, fühlte sich kalt wie Gift an. Ich erschauderte.

Die restliche Prüfung rauschte nur so an mir vorbei, im Augenwinkel konnte ich noch erkennen, dass sie die Prüfung ohne große Patzer zu Ende geritten hatte und am Ende ihrer Runde mit schallendem Applaus belohnt wurde. Das laute Geräusch riss mich aus meiner Trance. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf Valerie, die gerade mit strahlendem Lächeln Olympio überschwänglich den dicken Hals klopfte und danach ins Publikum winkte, drehte ich mich um und verschwand in dem dunklen Tunnel.

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