Kapitel 23

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Nachdem Alexandra uns nach weiteren 20 Minuten endlich einigermaßen zufrieden zunickte und sich mit einem kurzen „Reitet noch eine Runde schritt und versorgt dann eure Pferde gut!", von uns verabschiedet hatte, schnaufte ich einmal tief durch. Auch Olympio schien den abfallenden Druck zu spüren, denn auch er prustete und kratzte sich dann ausgiebig mit dem Kopf an einem Vorderbein- eine Angewohnheit, die ich nicht ausstehen konnte und unter normalen Umständen nicht durchgelassen hätte, aber nach dem heutigen Training war nichts mehr normal. Ich ärgerte mich. Und zwar hauptsächlich über mich selbst. Wie schaffte ich es immer wieder, die Aufgaben so zu vermurksen? Damals- ein unwillkürlicher Schauer rannte mir den Rücken hinunter, als ich an den Abend in Fontainebleau zurückdachte, der mich dazu gebracht hatte, Hals über Kopf das Internat und damit mein bisheriges Leben hinter mir zu lassen- hatte doch auch immer alles funktioniert! Frustriert fuhr ich mir mit der noch behandschuhten Hand übers Gesicht und bereute es sogleich, da ich nun wohl Karottenstückchen vermischt mit Olympios Speichel auf meinem Gesicht verteilt hatte. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht und warf einen Blick auf meinen Handschuh, auf dem besagte Dinge noch in Spuren zu erkennen waren- der Rest klebte mir im Gesicht. Seufzend stieg ich ab und zog die Steigbügel hoch. „Uff. Leute, ich bin sowas von nicht bereit für heute Abend!" gab Dana mit gerunzelter Stirn zu, während sie ihren PRE am dicken Schopf kraulte. Auch sie hatte sich schon aus dem Sattel geschwungen und blickte nun zu Ana und mir herüber. Auch die Russin hatte wieder Sand unter ihren Füßen und klopfte ihrem Fuchs den schlanken Hals. „Denkst du, ich freue mich auf heute Abend?" warf sie auch sogleich ein und ihre babyblauen Augen glitzerten sorgenvoll. „Ich glaube, die werden uns richtig einheizen!" schob sie direkt hinterher und runzelte ihre Stirn, sichtlich unzufrieden mit der Situation. „Val, wie war es für dich damals, hast du nie Sorge vor den Kürthemen gehabt?" Zwei fragende Augenpaare richteten sich auf mich und rissen mich aus meiner Lethargie. Ich zuckte lediglich die Schultern. Damals. Dasselbe Wort, doch dieses Mal erinnerte es mich an unbeschwerte Momente mit alten und neu gewonnenen Freunden, dem kribbeligen Gefühl der Anspannung und einem alles überstrahlendem Gefühl, das nur einer in mir auslösen konnte... „Doch natürlich! Aber dieses Mal wird es hart." Antwortete ich grimmig und stopfte die aufkommende Erinnerung resolut in eine Kiste ganz tief in meinem Gedächtnis.

„Leute, anschnallen nicht vergessen!" flachste Johann wenige Stunden später und ahmte die Tonlage einer überfürsorglichen Mutter nach, während wir uns in die Limousine quetschten. Fehlte nur noch, dass er uns übermütig in die Backe kniff. Ich unterdrückte ein Lächeln. Er, Ana, Daniel und ich hatten uns in einen der drei schwarzen Wägen gesetzt, die restliche Mannschaft verteilte sich auf die zwei weiteren Wägen. „Pass lieber auf, dass wir dich nicht zuhause lassen!" schoss Ana zurück und erntete einen entrüsteten Blick ihres Teamkollegen. „Ts, ts, ts, Anastasia! Das ist aber nicht sonderlich nett! Die Etikette verlangt aber etwas anderes!" Johann erhob spielerisch den Zeigefinger. Es war klar, dass er sich keinerlei Gedanken über den heutigen Abend zu machen schien. Aber für ihn steht auch nicht so viel auf dem Spiel! Flüsterte mir eine Stimme in meinem Kopf zu. Im Vergleich zu uns Dressurreitern wurde bei den Springern lediglich die Startfolge, also die Reihenfolge, in der das Qualifikationsspringen am Samstag stattfinden sollte, gelost. Für uns Dressurreiter stand alles auf dem Spiel. Würde das Kürthema passen? Würde mir etwas Großartiges einfallen? Diese und tausend weitere Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich realisierte erst, dass ich abgedriftet war, als ein lauter Knall mich hochschrecken ließ. Daniel hatte wohl die Gunst der Stunde genutzt, und sich in der kleinen Bar, die ebenfalls zur Ausstattung dieses Wagens gehörte, umgesehen. Nun hielt er stolz die geköpfte Schampusflasche in der einen und ein Glas in der anderen Hand und goss großzügig die goldene Flüssigkeit in das kristallklare Glas mit dem schlanken Hals. „Gute Idee!" Ana klatschte zustimmend in die Hände und erhielt auch direkt ein beinahe überschäumendes Glas. „Für die Dame!", schmeichelte Daniel und schenkte ihr ein unwiderstehliches Lächeln, das seine Wirkung scheinbar nicht verfehlte, denn Anas Wangen nahmen daraufhin eine süße zartrosa Färbung an. Ich unterdrückte ein Grinsen und schnappte mir ebenfalls eins der blubbernden Gläser. So würde ich zumindest den Abend überleben.

Und so hatte ich bereits zwei Gläser hinuntergestürzt, als die Limousine wenige Minuten später auch schon zum Stehen kam. Ich schaffte es gerade noch das Glas in die Barablage zurückzustellen, da wurde auch bereits die, von dunkler Folie getönte Tür geöffnet und so konnte ich einen Blick auf die mir gebotene Szenerie werfen. „Shit!" Auch Johann schien nun beeindruckt zu sein. Draußen war ein langer roter Teppich ausgerollt worden, dessen Rand links und rechts von roten Absperrungsseilen gesäumt wurde, die an goldenen hüfthohen Baken befestigt waren. Und die waren auch nötig, denn viele Leute hatten sich hinter diesen Seilen versammelt und fingen wie auf Kommando an zu jubeln, als Daniel ausstieg und ein strahlendes Lächeln aufsetzte. Auch dieses Mal verfehlte es seine Wirkung nicht, stattdessen war ein hohes Quietschen zu hören- wahrscheinlich von seinen jungen Fangirls, die gerade beinahe durchzudrehen schienen. Dennoch wartete er auf Ana und mich, und hakte sich dann galant bei mir unter, während Johann, der als letztes aus der Tür geklettert war, dasselbe bei Ana machte. Als ich ihm einen fragenden Blick zuwarf, beugte er sich leicht zu mir hinunter und raunte mir ins Ohr: „Schließlich sind wir das Team Österreich, nicht wahr?" Sein warmer Atem streifte mein Ohr und ich blickte überrascht zu ihm hoch. Er zwinkerte mir schelmisch zu, vertiefte sein gewinnendes Lächeln und schritt mit mir zusammen entlang auf dem roten Teppich, hinein in das große Glashaus, das prächtig erleuchtet vor uns aufragte.

„Herzlich Willkommen meine lieben Freunde des Reitsports. Ich freue mich heute außerordentlich, Sie endlich alle hier in Florida willkommen heißen zu dürfen. Ich darf mich noch kurz bei Ihnen allen vorstellen, mein Name ist Dennis Dauger. Als ich vor zwei Jahren mit großer Aufmerksamkeit die erste Ausgabe der Princess- Show in Deutschland verfolgte, kam mir die Idee einer Fortsetzung auf internationaler Bühne. Und so nutzte ich die letzten beiden Jahre, um Sponsoren für dieses ausgefallene Event zu finden, sowie alle Hebel in Bewegung zu setzen, wirklich die besten Sportler auszuwählen." Applaus ertönte, und der kräftig gebaute Mann mit dem schwarzen Schnauzbart und dem schütteren schwarzen Haar hielt einen Moment in seiner Rede inne. Ich nutzte den Moment, um meinen Blick über die kleinen Tischchen wandern zu lassen, die über den gesamten Saal verteilt waren. An jedem Tisch befanden sich sechs Leute, die alle mit mehr oder weniger gespannten Gesichtern den verschiedenen Rednern, die bereits den gesamten Abend über vor sich hin schwafelten, lauschten und an dem feinen Essen knabberten, dass von weißbehandschuhten Kellnern serviert wurde. Dieses Event stank einmal wieder nach viel Geld und auch die Dekoration war dementsprechend gehalten. Ein golden graviertes Schild wies meinen Tisch als Team Austria aus und so war es nicht verwunderlich, dass ich zusammen mit Daniel, Gerald und den jeweiligen Trainern am Tisch saß. Während Gerald und sein Trainer aufmerksam dem Redner zu lauschen schienen warf Dani immer wieder sehnsüchtige Blicke hinüber zur Bar, die auf der gegenüberliegenden Seite im direkten Anschluss an die Bühne angebaut worden war. Derzeit war dort kaum Betrieb- verständlich, da fast jeder, der zur Bar wollte, an der Bühne vorbei musste und so höchstwahrscheinlich missfallende Blicke von Presse und Fachleuten ernten würde. Das schien auch der großgewachsene Österreicher denken, dessen Blick erneut in Richtung der üppig gefüllten Bar glitt.

Wie von selbst folgte meine Augen seinem sehnsüchtigen Schmachten und scannten erneut den Raum ab. Kaum jemand schien groß Notiz von mir zu nehmen, stattdessen lagen alle Augen immer noch auf der Bühne oder vielmehr auf Dennis Dauger, der gerade die verschiedenen Turniermodi erläuterte. An mir rauschten alle seine Worte jedoch zunehmend unverständlich vorbei, der Kloß in meinem Hals, den ich den ganzen Abend bereits zu verdrängen versuchte, wurde von Sekunde zu Sekunde enger und plötzlich brach kalter Schweiß in mir aus. Atmen Val, atmen! Versuchte ich mich selbst zu instruieren und meine Augen hechteten beinahe hilfesuchend über die Menge. Jedoch konnte ich in der Menge weder Michi noch Charly entdecken. Gänsehaut kroch meinen Rücken hinauf und mein Kopf rauschte. Übelkeit lauerte in meinem Magen und das Blut pochte in meinen Schläfen. Meine Atmung verschnellerte sich und mein Blick wurde fahriger. Bis er an einem eisblauen Augenpaar hängen blieb, das sorgenvoll zu mir hinüber blickte. Der eisblaue Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. „Entschuldigt mich!" krächzte ich und schob hektisch den Stuhl zurück, die ärgerlichen Blicke der Leute ignorierend, die durch das Quietschen des Stuhls abgelenkt worden waren, und hastete aus dem Saal.

Ich brauche frische Luft.

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