Kapitel 21

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„Val, komm mach schnell!" Ana quengelte nun schon seit fünf Minuten, was ihr einen genervten Blick von Gerald einbrachte, der an dem kleinen Esstisch seinen Kaffee schlürfte. Auch ich zog nur unwillkürlich die Brauen zusammen- für so viel Aktivismus war es mir zu früh. Also schloss ich den Kühlschrank etwas zu geräuschvoll und ließ den Apfel zwischen meinen Händen hin und her springen. „In fünf Minuten kommt der Chauffeur und dann beginnt offiziell unser erster Schultag!" belehrte mich die quirlige Russin, die sich heute besonders herausgeputzt hatte. Ihr langes blondes Haar hatte sie in zwei kleinen Dutts nach oben gesteckt, die bei jedem anderen affig ausgesehen hätten, bei ihr allerdings herzig aussahen. Dazu trug sie eine weiße Bluse und einen karierten Rock, der wohl der letzte Schrei in der Modewelt der Reichen und Schönen war.

„Guten Morgen!" just in dem Moment betrat ein frisch geduschter Daniel die Küche, in dem modisch kurz geschnittenen Haar glänzten noch ein paar Wassertropfen und das Poloshirt klebte hauteng an seinem athletischen Körper- keine Frage, Daniel war heiß. Auch Ana schien das zu denken, ihr Mund stand nämlich ein klein wenig offen und sie hörte sogar auf, wie wild herumzuplappern. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und auch Gerald schien es nicht anders zu gehen, denn ich fing seinen amüsierten Blick auf, den er eine Sekunde später hinter seiner Kaffeetasse versteckte. Aha, in dem dunklen Vielseitigkeitsreiter steckte also doch etwas Emotion! Dachte ich bei mir und grinste vielsagend zurück. „Gehen wir los?" der blonde Österreicher schien gar nicht zu bemerken, was er gerade ausgelöst hatte und blickte sich nur fragend zu uns um und zog sich einen Smoothie aus dem Kühlschrank. „Ähm, ja, los geht's Leute!" Ana schien ihre Sprache wiedergefunden zu haben und schüttelte sich einmal kurz, bevor sie ihr strahlendes Lächeln wieder aufsetzte und sich bei Daniel unterhakte. Ich folgte den beiden grummelnd und schnappte mir noch meinen Rucksack, in dem nicht mehr als ein Block und ein Stift auf ihren Einsatz warteten.

Die Schule war- wie alles andere, was ich bereits in meiner kurzen Zeit in den States gesehen hatte- riesig und rund um das prächtige Schulgebäude erstreckten sich mehrere Hektar Land, das von einem weißen Zaun eingerahmt war. Das große Schultor hatte sich automatisch geöffnet, als unser Chauffeur am Morgen darauf zugefahren war und vor uns hatte sich der spektakuläre Hauptplatz eröffnet. Nun, nach den Vormittagsstunden und einer kleinen Mittagspause in der eigenen Kantine war mir klar, dass diese High School zwar äußerlich noch größer und prunkvoller wirkte, jedoch im Großen und Ganzen stark an das Internat Rosenstein erinnerte, in dem ich seit der Princess- Show gewohnt hatte. Und auch die Schüler waren nicht viel anders. Reich, verwöhnt und hochnäsig- egal ob Amerikaner oder Deutsche, in diesem Punkt waren sie alle gleich. Deshalb war ich froh, als ich mich auf den Weg zu meiner letzten Stunde machen konnte, auch wenn nun P.E., wie sie den Sportunterricht an dieser Schule nannten, auf meiner Liste stand. Seufzend durchquerte ich das Schulgebäude und reihte mich in den Strom an quatschenden Schülern ein. Langsam arbeitete ich mich bis zu dem Hinterausgang vor, der mich zum Stadion bringen sollte, in dem die heutige Sportstunde abgehalten werden sollte. Gerade schaffte ich es aus dem Strom wieder auszubrechen und die Tür aufzustoßen, blieb mir der Mund offen stehen. „Ach du je..." entfuhr es mir auf Deutsch und nun war ich es, der der Mund offen stehen blieb. Während die Sporthallen der Schulen in Deutschland oft alt und vor allem klein waren, war dieses Stadion hier riesig! Meterhoch ragten die Tribünen vor mir auf und sofort fielen mir die riesigen Flutlichter auf, die rings um das Stadium aufgestellt waren, um für die bestmögliche Beleuchtung zu sorgen. „Valerie?" Eine Stimme riss mich aus meinem Staunen und eine federleichte Hand legte sich auf meinem Arm ab. Dennoch wirbelte ich wie von der Tarantel gestochen herum. Doch es war nur Dana, die nette Mexikanerin, die seit gestern Abend mit in meinem Haus wohnte. Ihre braunen mandelförmigen Augen musterten mich freundlich und sie deutete auf das Stadion.

„Ganz schön groß, was?" Ich nickte bloß. Das war echt krass. „Ich glaube, wir müssen hier lang, um zu den Umkleiden zu gelangen!" fügte sie hinzu und zeigte mit dem Finger auf einen langen Gang zu dessen beiden Seiten jeweils eine Tür wegging. Zustimmend schulterte ich meinen Rucksack und den Beutel, den wir ganz zu Beginn des Schultages bekommen hatten und der sowohl die Schuluniform als auch die Sportsachen im Look der Schulfarben- violett und weiß- enthalten hatte. Glücklicherweise mussten wir Showteilnehmer heute noch keine Uniform tragen, weshalb man uns auf den Gängen noch leicht ausmachen konnte. Dann folgte ich Dana in die Umkleide. Viele Mädchen hatten sich bereits versammelt und wir beide suchten uns einen kleinen Fleck auf einer der Bänke, um unsere Sachen abzustellen. Das übliche Geschnatter und die altbekannten Deofahnen schwaderten durch den Raum und auf einmal kam ich mir nicht mehr fremd vor. Flugs zog ich mir das violette Oberteil und die weiße Sporthose an und schnürte mir meine Sportschuhe. Inzwischen waren die meisten Mädchen bereits in Richtung Stadion aufgebrochen und nur noch einzelne zogen sich ebenfalls noch ihre Schuhe an. „Ich muss noch auf die Toilette, du brauchst also nicht auf mich zu warten!" raunte Dana mir zu und verschwand dann auch prompt im angrenzenden Raum, dessen Tür es als Toilettenraum ausschrieb. Und plötzlich war die Nervosität wieder da. Unruhig knetete ich meine Hände und öffnete mit grummelndem Magen die Tür hinaus in den Flur. Draußen war es schon richtig still- die meisten hatten sich wohl doch deutlich schneller umgezogen. Und so quietschte der violette Linoleumboden unter meinen Sportschuhen, als ich den Gang entlanglief. Mein Herz raste. Oh man, warum hatte ich nicht einfach in der Umkleide auf Dana gewartet? Stattdessen lief ich den einsamen Gang entlang und ließ meinen Blick an den ganzen Vitrinen entlanggleiten, in denen sich Medaillen nur so türmten, gemeinsam mit vielen Bildern von den dazugehörigen und fett in die Kamera grinsenden Sportlern.

„Val?" Ohne es zu wollen, blieb ich stocksteif stehen. Schwere Schritte näherten sich und schon stand er neben mir. Sein Duft umfing mich wie eine alte, liebgewonnene Decke und als ich den Kopf leicht drehte sah ich sein Seitenprofil, als er noch konzentriert seinen Schuhbändel knotete. Er war dabei in die Hocke gegangen, und als er wenige Wimpernschläge sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete, musste ich wegsehen. „Wie war dein Tag bisher?" seine unbeschwert klingenden Worte trafen mich. Nach all den Wochen, nach allem was zwischen uns vorgefallen war?! „Bisher war er eigentlich ganz gut, bis ich deine blöde Visage gesehen habe!" Meine Worte schossen nur so über meine Lippen und kamen härter, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Einen Moment blieb ich vor Schreck wie erstarrt, die linke Hand hatte ich instinktiv auf meinen Mund geschlagen, doch bevor er noch zu einer Antwort ansetzen konnte, sprintete ich los, durch die Tür und hielt erst an, als ich im Stadion bei den anderen Schülern angekommen war. Der Sportlehrer warf mir einen ärgerlichen Blick zu und deutete anklagend auf seine Uhr, die er an einem Strick um seinem Hals gehängt hatte. Ich entschuldigte mich leise und versuchte gleichzeitig mein, wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Na das konnte ja was werden!

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