36. Kapitel

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Ein sanfter, kühler Wind strich an meinem Gesicht entlang, als ich drei Tage später neben dem Koppelzaun des Reitinternats Federstein saß. Tief atmete ich aus und schloss die Augen, wie sehr hatte ich doch diese Ruhe vermisst. Die kleine Herde von Pferden die Nachts auf der Weide stand, war kaum fünfzig Meter von mir entfernte und graste ruhig im Mondschein. Mein Flug war ziemlich spät gegangen und bis Diana und ich uns durch den spätverkehr gekämpft hatten, war es schon fast komplett dunkel. Doch ich konnte einfach nicht gleich schlafen gehen, erst musste ich sehen, wie es Narvik ging. So hatte ich nur den kleinen Koffer in mein Zimmer geschleppt und war kurz darauf aus dem Fenster geklettert. So saß ich hier, mit dem Rücken an einen der dicken Holzpfeiler gelehnt, und genoss die Ruhe. Tatsächlich hörte man nur das gemächliche zupfen der Pferde die unter dem wenigen Schnee geduldig nach Gras suchten und hin und wieder ein Käuzchen aus dem Wald rufen. Sonst war es komplett still. Tief atmete ich durch und saugte die kalte, klare Nachtluft ein. Es war schön wieder hier zu sein.

Plötzlich sprang jemand von einem der noch wenige Blätter tragenden Bäume und kam dumpf auf dem Boden auf. Enttäuscht, dass die Ruhe gleich vorbei seien würde, öffnete ich langsam die Augen und blickte in die Richtung, von der, der jemand kam. Als ich diesen jemand doch erkannte, wünschte ich mir, niemals die Augen aufgemacht zu haben. Blonde Haare und diese verflucht grünen Augen, in denen ich mich immer wieder verlor. ,,Hallo Lea, schön dich wieder zusehen." Begrüßte mich Kjell ,,Tut mir leid, wegen deinem Großvater." Kurz wollte ich ihn verwirrt ansehen, erinnerte mich jedoch zum Glück rechtzeitig daran, dass ich offiziell ja zu der Beerdigung meines Großvaters gefahren war und murmelte nur ein ,,Schon gut." Und wollte verschwinden, doch er griff nach meinem Arm und hielt mich zurück ,,Warte! Bitte." Rief er, lies jedoch meinen Arm los, als ich ihn drohend ansah. ,,Was?" fragte ich und verschränkte abwehrend die Arme. ,,Bitte geh nicht. Können wir reden?" fragte er und sah mich so bittend an, dass ich augenrollend nachgab und mich auf den Holzzaun setzte ,,Also, was ist?" fragte ich, immer noch distanziert. ,,Es tut mir leid." Begann Kjell und ich sah in verwirrt an, ich hatte mit allem gerechnet, doch nicht damit ,,Während du weg warst, hab mich darüber nachgedacht, wie ich zu dir war und wie ich dir nachspioniert habe. Das war nicht richtig, Entschuldigung." Ich atmete aus ,,Schon okay." Ich seufzte ,,Vielleicht war ich auch nicht gerade nett zu dir." ,,Es ist nur," begann Kjell wieder ,,Kaum jemand weiß etwas über dich. Deine Freundinnen machen sofort dicht, wenn ich sie über dich Frage. Und die anderen aus der Klasse, wissen kaum etwas brauchbares über dich." Skeptisch sah ich ihn an, irgendwie wusste ich nicht was ich davon halten soll, auf der einen Seite fand ich es irgendwie cool, dass er sich so für mich interessierte, auf der anderen Seite, war es gefährlich. Gleichzeitig lobte ich mich für meinen Menschenverstand, Laila und Julia hatten dichtgehalten, und ihm nichts weitergesagt, was ich ihnen erzählt hatte. ,,Auch im Internet bist du ein Phantom, ich finde dich zwar bei Social Media, aber keine Bilder oder irgendetwas von dir." Fuhr er fort und ich grinste ,,Du hast mich gegoogelt?" ,,Äh, ja." Gab er verlegen zu und ich glaubte einen leichten roten Schimmer auf seinem Gesicht erkennen zu können. ,,Äh, ich... äh... wollte dir noch sagen, dass du im Team bist." Meinte Kjell. ,,Welches Team?" fragte ich verwirrt. ,,Die Schule geht doch auf ein paar Turniere und deswegen werden halt jedes Jahr, die besten Reiter ausgesucht um die Schule irgendwie zu vertreten." Erklärte Kjell ,,Zumindest hat mir das Tim so erzählt." ,,Ach so, klingt cool!" Erwiderte ich, doch als er nichts drauf antwortete, entstand eine peinliche Stimme. Unsicher sah er an mir vorbei auf der Herde und keiner schien genau zu wissen, was er sagen sollte. ,,Wieso bist du eigentlich noch so spät hier draußen?" fragte ich schließlich zögerlich. Augenblicklich verdunkelte sich Kjells Gesicht ,,Ich hab mit meinem... Vater telefoniert. Und konnte nicht schlafen. Mein Vater, ach... er... wir haben kein besonders gutes Verhältnis." ,,Warum?" Überrascht sah ich ihn an. ,,Er arbeitet als Skipper auf einem Forschungsboot und ist dauernd unterwegs. Gerade ist er, glaube ich, irgendwo in der Arktis. Es ist nicht so, dass ich es ihm nicht gönne, aber er interessiert sich einfach gar nicht für uns. Selbst wenn er mal eine Pause hätte, ist er viel lieber auf See. Er ist nie da, wenn man ihn brauch! Vor zwei Jahren war seine Mutter schwer krank, glaubst du er ist zu ihr her gekommen um sich um sie zu kümmern? Natürlich nicht!" Kjell schnaubte ,,Auch mich hat er seit Jahren nicht mehr gesehen, es ist, als wäre ihm alles egal. Meine Mutter, seine Familie, oder mich." Betroffen sah ich auf den Boden. ,,Klingt übel." Fand ich ,,Aber ich glaube nicht, dass es ihm alles egal ist. Ich glaube er liebt euch alle, mehr als man vielleicht denkt. Er brauch halt... Abstand." ,,Hm." Schnaubte Kjell nur ,,Ich wünschte, es wäre bei uns wie bei dir! Pferde züchten, jeder Arbeitet mit jedem Zusammen und man sieht sich jeden Tag." Er seufzte ,,Das klingt nach einem tollen Leben!" Ich schwieg. Auf der einen Seite hatte er recht, ich hatte meine Familie, auf der anderen war mein Leben viel eher eine Fernsehshow. ,,Und wieso bist du noch hier?" fragte er schließlich. ,,Ich musste zu Narvik, zuhause war es nicht unbedingt.... Entspannend." ,,Jetzt bin ich neugierig, hat ein Pferd auf den Hof gekackt?" ich grinste ,,So einfach war es nicht, leider. Es gab halt einfach Stress." Ausweichend sah ich auf den Boden. ,,Du hast ein Geheimnis oder?" fragte Kjell plötzlich offen, erschrocken sah ich ihn an ,,Ich..." begann ich, doch der blonde Junge unterbrach mich ,,Schon okay, du musst es mir nicht verraten. Las dir Zeit." ,,Danke," ich lächele und atmete tief durch ,,Ich denke, dass ist es was ich einfach brauche. Zeit." Kjell musste ebenfalls lächeln und sah mich einfach an ,,Gibt dir die Zeit, irgendwann weißt du selber, was du tun musst und was nicht." Verwirrt über seinen Ton sah ich ihn an ,,Ja, da hast du recht." Erwiderte ich zögerlich und schüttelte dann den Kopf, als könnte ich so meine Gedanken, die gerade meinen Kopf überrannten, geraderichten und sprang dann auf ,,Ich muss jetzt gehen. Bis morgen." Sagte ich etwas hektisch. ,,Bis morgen." Wiederholte Kjell und lächelte. ,,Bis morgen." Erwiderte ich und schüttelte dann den Kopf ,,Ich, äh, geh jetzt mal. Tschüss." Bevor er antworten konnte drehte ich mich schon um und schwang mich geschmeidig über den Zaun bevor ich mit schnellen Schritten in Richtung West Trakt. Was war denn das gerade? Dachte ich Talea, hör auf dich wie irgendein verliebter Teenager zu benehmen! Ich schüttelte wieder den Kopf, doch das Bild des lächelnden Kjell wollte meinen Kopf einfach nicht verschwinden.

ICE HEART - Reitinternat FedersteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt