6. Kapitel

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,,Und vergiss nicht wer du bist! Sonst endet das ganze schon bevor es angefangen hat und es gibt Schlagzeigen!" sagte Aegir schon gefühlt zum hundertstens Mal. Vor etwa einer Stunde war unser Flieger gelandet, danach hatten wir mein Gepäck und Narvik vom Tiertransport geholt. Nun holperte der unter falschem Namen gemieteter Anhänger hinter dem Auto her. Mein erster Eindruck von Deutschland war gut. Hamburg war wirklich eine schöne Stadt. Okay, vielleicht nicht so grün wie Oslo, doch es gab viele Alt aussehende Gebäude, die sich mit neuen mischten und allem in einem einen schönen Mix aus alt und neu gaben. Auch die Elbe, die durch Hamburg floss, gab dem Ganzen einen schönen Touch. Das einzige was das Bild störte, waren die Autos. Oslo hatte schon vor einigen Jahren, als erste Stadt überhaupt, ein Gesetzt erlassen, dass Autos hinderte viel durch Oslo zu fahren. Deswegen gab es selten viel Verkehr, die meisten Norweger nutzen öffentliche Verkehrsmittel, um in der Stadt herumzukommen. In Hamburg dagegen fuhr gefühlt jeder mit seinem eigenen Auto, mehrmals standen wir im Stau, aber vielleicht lag es ja auch dran, dass die Ferien zu Ende waren. Mittlerweile waren wir auf der Autobahn, denn das Reitinternat Federstein lag gut eine Stunde von Hamburg entfernt. ,,Talea, wie heißt du offiziell?" ries mich Aegir aus meinen Gedanken. ,,Lea Anderson, 16 Jahre, geboren bin ich in einem kleinen Dorf namens Gran, in der Nähe von Oslo." Leierte ich herunter ,,Allerdings sind meine Eltern von 11 Jahren nach Deutschland gezogen und züchten nun Sportpferde, daher hab ich Narvik." ,,Gut." Kam es von Aegir zurück ,,Rede aber trotzdem nicht so viel von deiner Vergangenheit oder von deinem Zuhause, sonst passiert es zu leicht, dass du dich in Wiedersprüchen verhängst und dann kommen blöde Fragen." Sagt der bullige Mann. ,,Ja, ja mach ich." Murmelte ich ,,wahrscheinlich bin ich nächsten Monat sowieso wieder zuhause." Fügte ich noch leiser hinzu, doch Aegir hatte mich gehört ,,Sag nicht sowas, gib dem ganzen eine Chance! Ich dachte du freust dich, mal weg von der Etikette zu sein!" ,,Tu ich auch, nur weiß ich nicht, ob es unbedingt nötig war, mich nach Deutschland zu schicken." Gab ich zurück. ,,Jetzt komm, Deutschland ist ein schönen Land, kuck doch mal aus dem Fenster!" Da hatte er leider recht, hinter einer dünnen Wand aus Bäumen, konnte man eine Sattgrüne Wiese entdecken, Blumen sprenkelten diese, wie bunte kleckse auf einem Bild. Und am Horizont war wieder nur Wald. ,,Ich weiß einfach nicht was ich davon halten soll." Sagte ich nach ein paar Minuten leise. ,,Freu dich auf neue, echte, Freunde! Und lass es auf dich zu kommen!" gab Aegir einfach zurück ,,Sein einfach du selbst!" ,,Manchmal denke ich, dass ich das gar nicht mehr kann, vor lauter Etikette." Antwortete ich leise. ,,Also wenn das nicht die wahre Talea war, die ich in den Sommerferien gesehen habe, dann weiß ich auch nicht." Lachte ,,Hm." Machte ich nur. Während ich schwieg erzählte Aegir munter weiter über Sehenswürdigkeiten in Hamburg, anscheinend war er schon öfter mit meinen Eltern hier gewesen. Ich schwieg, selten hatte ich Aegir so erlebt. Meist war er ziemlich ernst und brachte Dinge gleich auf den Punkt. Veränderte das Schloss auch ihn? Konnte er wirklich nur hier sein wahres Wesen zeigen? Wenn ja, war mir dieses Leben deutlich lieber als das Wesen er immer im Schloss hatte. Wenn ich genau darüber nachdachte, waren im Schloss alle anders, als in ihrem echten Leben. Viel Ernster irgendwie. Hört auf so viel zu denken! Ermahnte mich die Stimme in mir plötzlich Hmpf. Gab ich einfach zurück. Plötzlich rumpelte es, ich hatte gar nicht gemerkt, dass Aegir von der Autobahn abgefahren war und auf eine Landstraße abgebogen war. Diese war deutlich weniger eben als die Betonierte Autobahn, doch nach ein paar Humplern war es auch wieder ruhig, da wir eine Sandstraße entlangfuhren. Das Reitinternat Federstein lag weit außerhalb der Straßen und Wohnsiedlungen, was meinen Eltern, und natürlich auch mich, sehr gefiel, denn es würde den Paparazzi bestimmt schwerfallen, die richtigen Abzweigungen zu nehmen. Diese führten uns tief in den Wald und gerade als ich dachte, das Navi hätte uns in die Irre geführt, entdeckte ich ein Eisernes Tor. Es war offen und auf dem Rahmen stand in geschwungenen Buchstaben Reitinternat Federstein ,,Puh, ich dachte schon wir hätten uns Verfahren." Lachte Aegir und bog ab. Es ging etwa fünfhundert Meter eine Allee aus alten Eichen Entlang bis schließlich ein alt aussehendes Haus auftauchte, wobei Haus konnte man es schon gar nicht mehr nennen. Es war vielmehr ein Landsitz eines alten englischen Königs. Das Reitinternat Federstein war aus rotbraunem Backstein gebaut und schien aus drei Trakten zu bestehen. Der mittlere Trakt war etwas größer als die anderen beiden und hatte auf seinem Dach noch einen Raum. Das einzige was fehlte war der Stall und die Koppel, die auf der Broschüre und im Internet so gezeigt wurden, waren wir doch Falsch? Langsam fuhren wir den Sandweg entlang, bis wir vor der Tür zum Stehen kamen. ,,Glaubst du, wir sind hier richtig?" fragte ich meinen Begleiter. ,,Wir fragen einfach." Aegir zuckte die Schultern und lief mit zielstrebigen Schritten, auf das Haus zu. Es gab keine Klingel, nur einen alten Türklopfer, den Aegir gerade lautstark betätigte. Es krachte, als das Metall gegen die Holztür schlug. Eine Zeitlang passierte nicht, da öffnete eine Person, genauer gesagt eine ältere Frau, die Tür und blickte uns fragend an ,,Ja?" ,,Sind wir hier richtig im Reitinternat Federstein?" fragte Aegir und versuchte hinter der Frau vorbeizuschauen, was aber schlecht klappte. ,,Sind Sie. Sind Sie neu hier?" die Frau musterte mich stechend, sie war mir ganz klar unheimlich. ,,Ja, das ist Lea Anderson." Es sah irgendwie witzig aus, wie Aegir, ein großer, bulliger Mann, der Inbegriff eines Bodybuilders, gegen über der älteren rundlichen Frau, die ihn Streng musterte. ,,Ahh, der Spezial Fall." Wieder dieser Stechende Blick ,,Folgen sie mir, dort hinten können Sie langfahren, um ihr Pferd abzuladen." Ohne etwas Weiteres zu sagen, marschierte sie los und stieg in ein Golf Card, dass mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen war. Langsam folgten wir ihr, einen Weg, der hinter das Internat führte. Und dort waren die Ställe und die Koppeln, von denen man im Internat so viel sah. Außerdem gab es noch zwei Reithallen, ein Dressurviereck und einen Springplatz. Kurz darauf kamen wir zum Stehen und die schlechtgelaunte Frau stieg aus ihrem Wägelchen aus. Streng kuckend beobachtete sie, wie Aegir die Verladerampe öffnete und ich in die kleine Vordertür schlüpfte. Dahinter erwartete mich schon Narvik, der mich aufgeregt musterte ,,Sind wir da?" fragte er aufgeregt. ,,Sind wir." Lächelte ich. Nach ein paar Handgriffen führte ich ihn vorsichtig die Rampe runter, bis er schließlich wieder auf festem Boden stand. ,,Jemand da?" wieherte Narvik auch gleich und mehrere Ja's ertönten. ,,Manche Pferde bleiben den Sommer über bei uns, wenn die Schüler sie nicht mit nehmen können." Erklärte die Frau, als sie Aegirs Blick bemerkte. ,,Dankeschön, Frau..." er blickte sie fragend an. ,, Herzer." Beendete sie seinen Satz trocken. ,,Folge mir Mädchen, ich zeige dir, wo dein Pferd steht." Sagte sie zu mir, schon etwas netter und lief los, ich folgte ihr mit Narvik und Aegir. ,,Wow." Murmelte ich, als ich den Stall betrat. Die Boxen waren riesig, sogar noch größer als die in Narviks alten Stall. Jedes von ihnen hatte ein Fenster und einen Paddock. Die Boxen selber waren aus einem dunkeln Holz gemacht und zwischen jeder Box war eine Säule, die bis zur Decke ragte. Alles in einem sah es wunderbar aus! Als wir durch die Stallgasse liefen, wurden die Pferde auf einmal unruhig, manche fingen an zu tänzeln, andere reckten überrascht die Hälse aus ihren Boxen und betrachteten mich unsicher. Wahrscheinlich spürten sie, dass ich anders war. Am besten redete ich einmal mit ihnen in einem unbemerkten Moment. Narvik schien die Unruhe der anderen Pferde zu bemerken und wieherte ,,Alles gut Leute, ihr müsst euch nicht aufregen. Das ist nur meine Freundin." Und tatsächlich, die Pferde wurden ruhiger und starrten mich nun nur noch komisch an. ,,So, dein Pferd bekommt Box sechzehn." Frau Herzer deutete auf eine Box am Ende des Ganges ,,Gefüttert wird zwei Mal täglich, falls Ihr Pferd irgendein Zusatz Futter braucht, trage es einfach in der Liste, die bei der Sattelkammer hängt ein." Sie wies nach rechts, während ich Narvik in seine Box entließ. ,,Die Pferde kommen nachts auf die Koppel, wenn Sie das nicht wollen, wieder eintragen. Du kannst dein Pferd aber auch immer sonst auf die Koppel stellen. Den Rest wird ihnen Frau van Hechter erklären." Gelangweilt sah sie mich an ,,Okay." Sagte ich langsam. ,,Am besten bringen Sie ihr Sattelzeug jetzt einfach in die Sattelkammer und dann bringe ich Sie zu der Direktorin." Aegir nickte und folgte mir nach draußen zum Anhänger. Kurz darauf hatte ich das Sattelzeug in meinem neuen Spind verstaut und Frau Herzer marschierte wieder los. Diese mal jedoch durch einen wunderschönen Garten, mit Springbrunnen und vielen Blumen. Hoffentlich reagierten die nicht auch so auf mich, wie die Pferde! Doch zum Glück sah man auf den ersten Blick nichts und ich atmete erleichtert aus. Frau Herzer warf mir einen komischen Blich zu, beließ es aber dabei. Kurz darauf öffnete sie zwei dunkel Eichentüren und wieder einmal klappte mir der Mund etwas auf. Wir blickten in eine große Halle, die etwas altes Majestätisches an sich hatte. Zwar war die Halle eher in dunkleren Tönen gehalten, wirkte wegen den vielen Fenstern jedoch nicht finster. Sondern eher wie ein altes englisches Schloss, dass ich mit meinen Eltern mal besichtigt hatte. Frau Herzer führte uns ins Sekretariat, in dem noch ein Büro verbaut war. Direktorat Frau van Hechter. Stand in geschwungener Schrift auf dem undurchsichtlichem Glas. ,,Herein!" ertönte eine Stimme, nachdem Frau Herzer geklopft hatte. Die Sekretärin folgte der Bitte und betrat mit uns den Raum ,,Der Neuzugang." Sagte sie noch kurz, bevor sie verschwand. ,,Ah, Lea Anderson." Breit lächelnd stand Frau von Hechter auf und zwinkerte mir bei meinem vermeintlichen Namen zu. ,,Setzen Sie sich doch." Lächelte die Direktorin nachdem sie erst mir, dann Aegir die Hand geschüttelt hatte. ,,Ich hoffe sie hatten eine gute Fahrt?" ,,Hatten wir, Dankeschön." Aegir nickte. ,,So... Lea Anderson. Du hast Springen als Fach gewählt, richtig?" fragte sie, nachdem sie meine Akte heraus gekramt hatte. Ich nickte ,,Gut, das wird dann dein vertieftes Fach sein, natürlich wirst du auch einmal Dressur oder wenn du willst Vielseitigkeit haben, doch normalerweise wirst du springen." Erklärte sie mir ,, Ich sehe hier gerade, dass du laut Akte schon Englisch, Französisch und Spanisch sprichst. Ist das richtig?" ,,Ja." Ich nickte, Englisch hatte ich mehr oder weniger seit der ersten Klasse gehabt, denn ich war auf eine Englischsprachige Schule gegangen und hatte alle Fächer auf Englisch. Zuhause hatte ich dann auch noch Spanisch und Französisch gelernt. Denn je mehr Sprachen ich beherrschte, des zu besser war es für den Handelsmarkt, und da stand ein flüssiges Englisch ganz oben. ,,Wow alle Achtung! Nur haben wir jetzt ein Problem, was sollst du machen, wären die anderen, Fremdsprachen haben?" ,,Das ist kein Problem. Ich lerne mittlerweile Chinesisch, dafür habe ich ein Buch und eine App, ich könnte also im Unterricht auch lernen." Beeilte ich mich zu Fragen ,,Gut. Dann wäre das auch geklärt." Frau von Hechter nickte ,,Dann schlage ich einmal vor, dass ich Ihnen jetzt die Schule zeige und dann dein Zimmer." Aegir und ich nickten ,,Dann mal los!" rief die Direktorin und führte uns aus dem Zimmer.

Die Schule bestand aus nicht etwa drei, wie ich angenommen hatte, sondern vier Trakten, Jedoch war der Nord Trakt für uns Schüler Tabu, es sei denn ein Lehren wies uns an, von dort etwas zu holen. Im Süd Trakt, das war der Trakt in der Mitte waren die Klassenräume, der Nord Trakt waren die Zimmer der Lehrer und thronte ganz oben auf dem Süd Trakt. Der West und Ost Trakt waren die Schülerzimmer, insgesamt gab es etwa einhundert fünfzig von ihnen. Die fünft bis Achtklässler waren im Ost Trakt, die neunte bis zwölfte Klasse war im West Trakt. ,,Das Schloss gehört seid dem sechzehnten Jahrhundert meiner Familie, vor zwei Jahren haben wir es renoviert und die Schule aufgebaut." Erzählte Frau von Hechter ,,So das ist dein Zimmer." Sie lächelte, öffnete eine helle Holztür und deutete in einen recht großen Raum. ,,Du wirst dir dein Zimmer mit Laila Demir teilen, sie ist wirklich sehr nett und ist auch in deiner Klasse." Frau Hechter lächelte mich an, ich zwang mich zurück zu lächeln, auch wenn ich am liebsten das Gesicht verzogen hätte. Ein Zimmer teilen? Echt jetzt? Seit ich denken konnte hatte ich mein eigenes Zimmer, ein schönes, gemütliches Zimmer, an dem jeder anklopfen musste, wenn er reinkommen wollte. Und jetzt, sollte ich mir ein Zimmer teilen und jeden Morgen sehen wie mein Zimmernachbar sich die Unterhose anzog? Nein Danke! Langsam betrat ich den Raum, zumindest war das Zimmer gemütlich! Der Boden bestand aus rot, braunem Holz, die Wände waren weiß gestrichen und ich konnte durch das Fenster auf den Garten und den Stall sehen. Außerdem gab es zwei Schreibtische, ein kleines Bad und in einem etwas angetrenten Raum zwei Betten. Langsam rollte ich mit meinem großen Koffer herein. ,,Ich werde euch jetzt etwas allein lassen, wenn du irgendetwas brauchst, frag einfach. Heute Abend um sieben gibt es in der Mensa Abendbrot für dich." Sagte Frau von Hechter und verschwand. Anscheinend konnten die hier das wirklich gut! ,,Ich muss leider jetzt auch los. Um fünf muss ich im Hotel sein und ich fahre ja auch noch eine Stunde zurück." Er sah mich entschuldigend an ,,Wenn du irgendetwas brauchst, ruf an, bis morgen um elf bin ich noch da." Er lächelte mich an ,,Gibt dieser Laila eine Chance, okay? Oder wenn jemand blöd kommt, ruf mich an. Dann komme ich persönlich und zeige ihm wo der Hammer hängt!" auch wenn mir nicht zum Lachen zumute war, musste ich grinsen ,,Danke." Murmelte ich. ,,Genies es!" Aegir wollte schon gehen, da schien ihm etwas einzufallen ,,Ach, dass soll ich dir noch von deinen Eltern geben!" er reichte mir ein Päckchen ,,Dankeschön." Sagte ich ,,Sag ihnen das ich sie vermisse." ,,Mach ich." Aegir nickte. Plötzlich umarmte ich ihn, erst wich er überrascht zurück, dann erwiderte er die Umarmung. Den hochgewachsenen Mann mit den braunen Augen und Haaren kannte ich seit ich klein war, und auf Dauer war er irgendwie mehr als nur ein guter Freund geworden. Viel mehr ein Verbünderter. So plötzlich wie ich ich ihn umarmt hatte, so plötzlich lies ich ihn auch wieder los. ,,Na dann, Tschüss." Schwach Lächelte Aegir und schloss die Tür hinter sich. Ich war allein. Mein neues Leben hatte begonnen.

ICE HEART - Reitinternat FedersteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt