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E V E L Y N

Und da saß ich nun. Auf seinem Schreibtisch. Meine Beine baumelten hinunter und ich kaute neugierig an meiner Unterlippe herum. Er schien sich nicht konzentrieren zu können, dauernd flog sein Blick zu mir. Und ich wartete gespannt darauf ab, was er wohl zu sagen hatte und worüber mit mir reden möchte. Vielleicht würde es unserer Beziehung nach dem Gespräch besser  tuen?

Er wollte wahrscheinlich auch über die ganzen Komplikationen reden und über diese ganze verkorkste Geschichte. Nur wusste ich überhaupt nicht, was ich doch dabei sagen sollte. Ich hatte bereits alles gesagt - mir fehlten nur noch antworten seinerseits, die leider nie fielen. Doch nun war der perfekte Zeitpunkt gekommen.

Wir mussten nur noch eine Lösung für all dies suchen.

"Eins solltest du wissen. Ich habe deinem kleinen Schuljungen nichts getan." Ich schaute überrascht auf und schluckte den aufkommenden Kloß hinunter. Zachary hatte Dylan nichts angetan, obwohl er so oft seine Fantasien ausgesprochen hatte und kein Blatt vor den Mund gelegt hatte. Überglücklich nickte ich und schaute weiter gespannt zu ihm, war bereit auf alles.

"Dieses Praktikum solltest du nur machen, damit ich dich in meiner Nähe haben konnte. Ich wollte dich nicht aus den Augen lassen." Er stützte seinen Ellbogen auf die Knie und fuhr sich mit der rechten Hand durch das Gesicht. "Selbstverständlich kannst du nach der Schule etwas anderes machen, was dir auch Spaß macht. Du kannst in jede beliebige Richtung Erfahrungen sammeln."

Ich grübelte. Es war doch von Anfang an klar gewesen, dass ich die Stelle der derzeitigen Assistentin übernehmen würde. Und damit hätte ich doch auch eigentlich kein Problem gehabt. Vielleicht würde es mir auch hier gefallen? Schließlich würde ich immer in seiner Nähe sein. Wir würden gemeinsam zur Arbeit fahren und auch gemeinsam Nachhause fahren.

Vielleicht würde aus mir auch eine tolle Ärztin werden? Oder Kinderärztin? Zahnärztin?

"Ich habe dich wahrscheinlich unter Druck gesetzt. Evelyn, du sollst offen mit mir über alles reden. Ich will alles wissen. Und du wirst auch alles wissen. Das verspreche ich dir." Er erhob sich von der Coach und lief zu den Panoramaefenstern. Schaute auf New York hinaus und drehte sich daraufhin schräg zu mir hin.

"Erzähle mir von ihm."

"Von Dylan?" Geschockt sprang ich auf und richtete meine Kleidung. Schaute mit großen Augen zu ihm hinüber und schluckte dann überfordert. Ich sollte ihm von meinem Freund in der Schule erzählen, den er doch eigentlich Abgrundtief hasste? Was hätte er denn letztendlich davon?

Zachary seufzte auf und nickte dann. Er wollte wirklich etwas von Dylan wissen? Er ließ seine großen Hände in die vorderen Hosentasche gleiten und schaute dann hellhörig und gespannt zu mir. Unsicher trat ich auf mein anderes Bein auf und schwankte immer wieder unsicher hin und her.

"Du hast mir erzählt, dass er dich beschützt hat. Dass du ein Opfer seist. Kläre mich auf."

Ich sprintete schnell zurück zu seinem Schreibtisch und trank einen gewaltigen Schluck Wasser aus seinem Glas. Dann stellte ich mich wieder hin und kratzte nervös an meinem rechten Oberarm - und er wusste das tat ich immer, wenn ich mir unsicher war. Deswegen beförderte er mich wieder auf seinen Schreibtisch, auf den ich mich setzte und lautstark räusperte. Überlegte, ob ich ihm wirklich alles erzählen sollte.

Und das tat ich.

"Nun. Mich mag in der Schule nicht jeder so besonders." Ich räusperte mich wiedermal und senkte den Blick. "Es entstanden immer solche brenzligen Situationen. Wie dieses Video damals, auf dem Schulhof..." Ich stockte und gab mir einen Ruck. "Das haben meine Mobber in die Öffentlichkeit gesetzt, aber mittlerweile ist es ja verschwunden." Wieder trank ich einen Schluck Wasser und ignorierte dann das leere Glas. Nun musste ich ohne auskommen.

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