59. Ander und Eleanor

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Wir hatten alles geklärt und ich packte noch am selben Tag meine Tasche. Ich wusste, dass es dumm war, vor Problemen wegzulaufen. Ich hasste es, aber ich tat es trotzdem.

Am Abend erzählte ich meinem Vater davon, dem es schlichtweg egal war. Vermutlich, weil ich ihm schlichtweg egal war. Auch Katharina sagte nichts dazu.

Phoenix tauchte auch abends nicht auf und als ich am nächsten Tag in sein Zimmer ging, um mich zu verabschieden, war es leer. Dann halt nicht, dachte ich, merkte aber, dass ich ihn unheimlich gerne nochmal gesehen hätte, bevor ich am Mittwoch zurückkam.

Doch da ich meinen Zug nicht verpassen wollte, brach ich auf und fuhr mit der Straßenbahn zum Bahnhof. Ich hatte mir Kopfhörer in die Ohren gesteckt und schlief, bis mein Wecker mich weckte.

Dann stieg ich aus und wartete am Bahnhof, bis ich abgeholt wurde. Es war Mittag und ich hatte Hunger, also wo blieben sie.

Nach zehn Minuten fuhr endlich ein Auto vor und hielt vor mir an. Ander saß hinterm Steuer, Eleanor auf dem Beifahrersitz. Sie stieß die Tür auf und sprang mich an. Sie war ein paar Zentimeter größer als ich und ich schaute ein wenig zu ihr hoch, als sie ihre Umarmung löste.

>> Da bist du ja endlich <<, strahlte sie mich an und ich grinste, als ich die Augen verdrehte.

>> Ihr wart zu spät du Olchi. << Dann grüßte ich Ander, der noch im Auto saß. Anscheinend hatte er in den letzten Jahren seinen Führerschein gemacht. Er war glaube ich achtzehn, also durfte er allein fahren, aber ich fuhr ungerne bei Menschen mit, die nicht viel Erfahrungen hatten.

Aber er würde schon vernünftig fahren. Wenn nicht, würde ich einfach die Tür wieder öffnen und rausspringen.

Ander zeigte nicht wirklich Emotionen. Ich hatte ihn nur manchmal ausgelassen gesehen und das war nur, wenn er mit Eleanor rumalberte. >> Hey <<, kam es von ihm zurück und er lächelte sogar.

Er war riesig geworden und hatte definitiv mehr Muskeln als vor zwei Jahren, doch seine Haare lagen noch immer wirr und gelockt auf seinem Kopf. Er war ein verdammt hübscher Junge.

Aber niemals so schön wie Phoenix, das ist niemand, dachte ich verbissen und rutschte zusammen mit meiner großen Tasche auf die Rückbank.

Während Ander losfuhr, schnallte ich mich an und Eleanor drehte die Musik leiser.

>> Naaaaa, hast du Hunger? Wir haben Hunger. Wir fahren was essen. Und dir bleibt gar nichts anderes über, als mitzukommen, außer du willst im Auto bleiben. Das wäre uns ganz egal, wir würden trotzdem essen gehen. <<

Ich lachte und versicherte ihr, dass ich Hunger hatte. >> Fantastisch <<, sagte sie, wobei sie es betonte wie: „Fontostißch".

Das tat sie immer. Sie betonte Worte seltsam, weil sie Lust dazu hatte, nicht weil sie nicht wusste, wie es eigentlich ging. Ich hatte mich daran gewöhnt.

Ich sah Ander lächeln und beobachtete die beiden ein wenig, während sie sich um die Musik stritten und abwechselnd ein Lied vor und wieder zurückdrückten.

>> Biest <, gab sich Ander schließlich geschlagen, nahm ihre Hand von der Anlage, ließ sie danach aber nicht mehr los. Ich schaute von hinten auf ihre verschlungenen Hände, dachte mir aber nichts dabei.

Sie berührten sich immer und schienen es häufig gar nicht zu merken. Sie hielten Hände oder er hatte die Hand auf ihrem Bein, sie spielte mit seinen Haaren, sie kuschelten. All das waren auch Gründe, weshalb wir dachten, dass zwischen ihnen etwas war.

Doch so richtig realisiert hatte ich erst, dass es nicht so war, als Eleanor einen Freund bekommen hatte. Sie waren schon wieder getrennt, aber ein paar Monate waren sie zusammen gewesen.

Als wir schließlich auf einem Parkplatz hielten und ausstiegen hatte ich gerade beschlossen, das Ander ziemlich angenehm fuhr.

>> Wann bist du achtzehn geworden, Ander? <<, fragte ich, als wir uns an einen Tisch in der Ecke setzten und Eleanor auf Klo lief.

>> Ich werde erst in vier Monaten achtzehn. <<

Ich machte große Augen. >> Ähm und wieso fährst du dann bitte Auto? <<

>> Ich sehe sowieso schon älter aus. Und eigentlich mache ich das nicht. War das erste Mal, dass ich allein ohne Begleitperson gefahren bin. Aber wir konnten dich sonst nicht abholen. <<

Ich wechselte das Thema, bevor ich austickte. Wenn ihn die Polizei erwischte, war er sowas von am Arsch. Außerdem war es scheiße gefährlich. Nicht nur für Eleanor und ihn, auch für andere Menschen.

>> Macht das nie wieder <<, sagte ich zum Abschluss ernst und schaute ihn an, als wäre ich nicht nur ein knappes Jahr älter als er, sondern eine Autoritärperson.

Er nickte nur und sah dann an mir vorbei. Da ich keinen Meter vor ihm saß, konnte ich sehen, dass seine Pupillen größer wurden und er lächelte ein wenig. Keine Sekunde später setzte sich Eleanor neben ihn.

>> Rück mal, los, los, los! <<, scheuchte sie ihn weiter in die Bankmitte, bis sie richtig sitzen konnte. >> Ich glaube ich nehme mir eine Pizza UND Nudeln. Es wäre eine zu schwere Entscheidung. Ich mag beides <<, fuhr sie fort, faltete ihre Hände vor sich auf der Tischplatte und sah abwechselnd von Ander zu mir.

>> Lass mich raten, du hast wieder kein Geld mit und ich muss das zahlen? <<, fragte Ander und verdrehte die Augen.

>> Quatsch, ich habe... <<, sie durchsuchte ihre Tasche und zog dann einen zerknitterten fünfer aus der Tasche, um ihn auf die Tischplatte zu legen, >> fünf Euro. <<

>> Gratulation, dafür kannst du dir die Nudeln leisten. Ich nehme an Pizza und Cola darf ich auslegen? <<

Sie zog die Mundwinkel hoch. >> Wenn du das schon so nett anbietest, nehme ich dein Angebot gerne an. Danke Ander <<, kam es enthusiastisch von ihr, bevor sie mich ansah. >> Und du nimmst? <<

>> Ein belegtes Baguette <<, sagte ich sofort, obwohl ich keinen Blick in die Karte geworfen hatte.

>> Du bist komisch <<, kommentierte Ander.

>> Phoenix und ich holen uns immer Baguettes. << Ich grinste, als ich tatsächlich welche auf der Speisekarte finde konnte.

>> Dein Stiefbruder hast du gesagt, richtig? << Ich nickte und war irgendwie traurig darüber, dass er nicht hier war.

Vor allem als ich sah, dass Eleanor in den letzten Minuten wohl weiter zu Ander gerutscht war, sodass sich ihre Arme berührten und mit einem der vielen Festivalbänder an seinem Handgelenk spielte.

Ich wollte auch Körperkontakt.

Als wir zwei Stunden später bei Ander hielten und ausgestiegen waren, stand Casper, Anders Freund, auf dem Hof und wartete.

>> Moin du Arschgranate <<, begrüßte er seinen Kumpel, bevor er sich Eleanor und mir zu wand. >> Eleanor, lange nicht gesehen. Bestimmt vier Stunden. Und dich habe ich wirklich lange nicht gesehen, Alexis. Moin, Moin, Matrose. <<

>> Matrosin <<, verbesserte ich ihn, weil wir das zum Spaß immer so mit dem Verbessern machten und grinsend streckte er mir die Zunge raus.

>> Was auch immer, wir gehen skaten <<, sagte Ander und hob die Hand zum Abschied.

Eleanor zeigte ihm ihre Mittelfinger, was ihn seltsamerweise lächeln ließ, bevor sie nach meiner Tasche griff und sich umdrehte. >> Komm, wir gehen zu mir. <<

Ich trottete neben ihr her. >> Er skatet? << Skaten erinnerte mich an Phoenix. Alles erinnerte mich an ihn. Es tat weh.

>> Ja. Vor ein paar Jahren habe ich ihm ein Skateboard geschenkt. Seitdem liebt er dieses Ding. << Sie lächelte, wenn sie über ihn sprach.

Das tat sie immer.

Alexis und Phoenix ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt