3 | Das, in dem ich an Träume glaube

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Können Träume letztendlich doch wahr werden? Ich versuchte schon eine ganze Weile eine passende Antwort auf diese Frage zu finden, während ich an meine weiße Zimmerdecke starrte. Mein Magen grummelte mindestens seit einer halben Stunde, aber meine Mutter hatte mich immer noch nicht zum Abendessen gerufen und ich war schlichtweg zu faul aufzustehen und mir selbst etwas zu machen. Die Jalousien vor meinem Fenster waren noch nicht heruntergelassen, aber mein Zimmer war trotzdem stockdunkel. So musste es sich also anfühlen, wenn man im hohen Norden lebte und das Tageslicht höchstens zwei Stunden am Tag zu sehen bekam. Ganz schön deprimierend.

Genauso fühlte es sich zumindest an. Morgens stand man im Dunkeln auf, ging im Dunkeln zur Schule, verbrachte dort ein paar Stunden, nur um erneut im Dunkeln nach Hause zu kommen. Da war kaum Zeit die Sonne zu genießen. Ich wusste nicht einmal mehr, wann ich die Sonne das letzte Mal bewusst gesehen hatte. Der Himmel war beinahe durchgehend von einer dunklen Regenwolke verhangen, die sich keinen Zentimeter vor oder zurück bewegte, geschweige denn es endlich einmal regnen ließ. Die Bäume und Pflanzen würden es ihnen danken, denn der Sommer war lang, heiß und trocken gewesen. Unser Garten, den ich von meinem Zimmer aus sehen konnte, verfärbte sich bereits an den Stellen braun, an denen er eigentlich noch in der Blüte seines Lebens stehen sollte.

Apropos in der Blüte seines Lebens stehen. Meine Gedanken wanderten unweigerlich zurück in die Schulmensa. Ich konnte nichts dagegen machen, es kam ganz natürlich, als ich in der Stille lag und nachdachte.

Ich konnte einfach nicht fassen, was passiert war. Woher sollte ich auch ahnen, dass der Junge heute urplötzlich auf die Idee kam, mich anzusprechen und sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen? Aiden. Der wahrscheinlich beliebteste Junge der ganzen Schule, wenn nicht sogar der ganzen verdammten Stadt, sprach mit mir, der unsichtbaren, unscheinbaren und alles andere als besonderen Katara. Das einzige besondere an mir war mit Abstand mein Name. Das war aber auch die einzige Gemeinsamkeit, die wir hatten.

Ich schätzte ‚Aiden' zählte ebenfalls nicht zu den Top 10 Namen, die man seinen Kindern geben würde. Meinen Bruder hatte es da besser getroffen. Er hieß Paul, was mit einer der gewöhnlichsten Namen war, die es meiner Meinung nach gab. So einen Namen hätte ich in meinem Leben gebraucht, um bis an mein Lebensende nicht aufzufallen und in der gewöhnlichen Menschenmasse unterzugehen. Doch meine Mutter hatte diesem verführerischen Gedanken ein Ende bereitet. Sie fand der Name passte zu mir und damit war die nicht vorhandene Debatte ohnehin für beendet erklärt worden. Wer sollte schon mit ihr diskutieren, ich war schließlich erst ein paar Minuten alt gewesen, als der Entschluss auf weißem Papier niedergeschrieben wurde. Katara. Ich war mir sicher, dass dieser Name in Deutschland nicht sehr oft vorkommen konnte.

Mein Herz raste immer noch, dabei waren seit unserem einseitigen Gespräch glatte sieben Stunden vergangen. Ich wusste nicht einmal, wie ich den restlichen Tag überstanden hatte. Wenn ich die Augen schloss, sah ich blau. Strahlend blaue Augen. Nichts weiter.

Das nächste was ich wusste, war, dass ich in meinem Bett lag, an die Decke starrte und über die Geschehnisse nachdachte. Wie ich nach Hause gekommen war? Ich hatte absolut keine Ahnung. Es war ungefähr so, als hätte ich einen Filmriss. Ein Gefühl, das ich nur aus den Beschreibungen meiner Bücher kannte. Schließlich hatte ich mit meinen 17 Jahren noch keine tiefgreifendere Begegnung mit Alkohol gemacht, als an den Getränken meiner Mutter zu nippen und dann angewidert das Gesicht zu verziehen, weil die Flüssigkeit zu bitter, zu süß oder einfach nur ekelhaft war. Wie auch immer.

Bis zum Mittagessen wusste ich alles, aber das, was danach passierte, war weg. In den Tiefen meines Gehirns vergraben und vielleicht war das auch ganz gut so. Möglicherweise hatte ich mich bis auf die Knochen blamiert und wusste es nicht einmal mehr.

Ich nahm mir fest vor, bis zum nächsten Tag nicht mehr daran zu denken, aber das war beinahe unmöglich. Ich dachte ununterbrochen an ihn, seine schrecklich schönen Augen und sein unbeschwertes Grinsen.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt