Freitag war aus mehreren Gründen mein Lieblingstag der Woche. Erstens war es der letzte Schultag und das lang ersehnte Wochenende war zum Greifen nah. Zweitens war Freitag der einzige Tag auf meinem Stundenplan, an dem ich bereits nach zwei Stunden wieder gehen konnte, was so gut wie gar nichts war. Nach einer Doppelstunde Deutsch Leistungskurs konnte ich mich also wieder auf den Rückweg nach Hause machen und hatte somit den ganzen Tag über frei.
Theoretisch. Wenn man die Hausaufgaben wegließ. Ich nahm mir zwar jede Woche aufs Neue vor die Hausaufgaben für die nächste Woche sofort zu erledigen, sobald ich nach Hause kam, aber jede Woche funktionierte es weniger. Ich fand immer etwas anderes, besseres, was ich tun konnte und sei es mein Zimmer endlich wieder aufzuräumen. Ich tat so gesehen alles lieber als meine Hausaufgaben.
Im Prokrastinieren war ich Vollprofi und mein Bruder scherzte deswegen immer, dass ich eine super Studentin werden würde. Mein Plan war es nach der Schule zu studieren. Vielleicht Journalismus oder Game Design, so genau konnte ich es noch nicht sagen. Es gab einfach zu viel, was mich interessierte und es war beinahe unmöglich sich auf eine Sache festzulegen. Das ganze Schulsystem war in diesem Sinne nicht ganz vorteilhaft. Zwölf Jahre ging ich zur Schule, um dann etwas zu studieren, was mit dem Schulstoff überhaupt nichts zu tun hatte. Kurvendiskussion, Gedichtsanalyse und Französisch Unterricht waren alle für die Katz. Doch den Abschluss brauchte ich trotzdem, sonst würde ich nicht an der Universität zugelassen werden.
Paul hatte auch ein Semester lang studiert und es dann hingeschmissen, weil er bemerkt hatte, dass er lieber praktisch arbeiten wollte, anstatt wieder ein paar Jahre die Schulbank zu drücken.
„In der Schule sagen sie, dass wir den Stoff in der Uni lernen. In der Uni heißt es dann, dass wir das alles schon aus Schule kennen sollten. Und es endet damit, dass wir uns lauter Videos auf YouTube reinziehen und uns den Kram selbst beibringen. Wer denkt sich so etwas denn bitte aus?"
Das war einer von vielen Anlässen gewesen, die Paul dazu gebracht haben sein Studium nach einem Semester abzubrechen. Zwölf Jahre für nichts. Letztendlich begann er eine Ausbildung in der Stadt. Zum Bürokaufmann. Mein Bruder nannte es ‚Das deutsche Bildungssystem und seine Tücken'.
Das fasste es meiner Meinung nach sehr gut zusammen. Ich hatte jedoch andere Pläne. Ich wusste zwar noch nicht, was genau ich studieren wollte, aber ich wollte unbedingt studieren. Ob es an den vielen Filmen und Büchern lag, die das Studentenleben so schillernd beschrieben, konnte ich nicht sagen. Andererseits hatte High School Musical ebenfalls ein vollkommen falsches Bild über die Schule vermittelt. Unvorstellbar, dass mehr als die Hälfte der Schülerschaft sich dazu durchringen würde auf die Tische zu springen und aus vollen Leibeskräften zu singen. Ich am allerwenigsten. Zac Efron hin oder her. Verlassen konnte man sich darauf nicht.
Jedenfalls hatte ich ein Ziel vor Augen. Mein Leben bewegte sich auf halbwegs festen Gleisen in Richtung Zukunft. Nichts konnte mich aus dem Gleichgewicht bringen. Den Hurrikan, der mich unweigerlich treffen würde, hatte ich definitiv nicht mit eingeplant.
Dass dieser Freitag anders ablaufen würde, ahnte ich erst, als ich mich der Schule näherte. Aus der Ferne sah ich, wie sich die Köpfe einer nach dem anderen zu mir umdrehten. Ich schenkte dem keine Beachtung, immerhin nahmen mehrere meiner Mitschüler diesen Schulweg durch den Wald. Die Schüler, die so angestrengt in meine Richtung schauten, hielten sicherlich Ausschau nach ihren Freunden.
Als mich die Blicke jedoch bis zu meinem Schließfach verfolgten, wurde ich stutzig. Das ungute Gefühl in meiner Magengegend vom Vortag wurde wieder stärker und ich packte das dicke Deutschbuch schnell in meine Tasche, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Klassenzimmer machte.
Etwas lag in der Luft. Das spürte ich je näher ich meinem Klassenzimmer kam. Ich konnte nur noch nicht einschätzen, was es war und was das alles mit mir zu tun hatte.
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Katara - Bound To Dream
Novela JuvenilKatara ist das Mädchen, das man schnell wieder vergisst. In ihrer Schule ist sie unsichtbar. Leben lassen und dadurch überleben. Das ist ihr Motto. Sich aus allem raushalten und stumm das tun, was von ihr verlangt wird. Doch was geschieht, wenn der...