27 | Das mit der Wahrheit

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Ich mochte Krankenhäuser nicht. Die weißen Wände, der Geruch nach Desinfektionsmittel und die ohrenbetäubende Stille. Nicht einmal die Schritte auf dem ebenfalls weißen Linoleumboden konnte man hören. Zu dieser Uhrzeit traf man fast keine Menschenseele auf den Gängen. Und wenn doch, waren ihre Gesichter bedrückt oder man sah ihnen an, dass sie kurz zuvor geweint hatten. Nein, korrigierte ich mich selbst. Ich konnte Krankenhäuser nicht einfach nur nicht leiden. Ich hasste Krankenhäuser. Ich hasste einfach alles daran. Und was ich am meisten hasste, war die Hoffnungslosigkeit, die unbarmherzig schwer in der Luft lag und über uns waberte, als wollte sie uns unter sich begraben.

Wir warteten in einem kleinen Raum, der offenbar als Besprechungszimmer genutzt wurde. Hier bekamen also die Angehörigen die guten oder schlechten Nachrichten, schoss es mir durch den Kopf. Der Raum schaffte es mühelos jede Situation noch aussichtsloser und trostloser erscheinen zu lassen. Die Wände waren kahl und das Fenster gab einen deprimierenden Ausblick auf den grauen Schotterparkplatz. Das Polster des Stuhls war so hart wie Beton und machte das Warten noch unangenehmer.

Auf dem Tisch stand ein kleiner Pappkarton. Eine Nummer war mit schwarzem Stift auf die Seite geschrieben, wahrscheinlich zu Identifikationszwecken. Mom hatte sie bereits gehabt, als ich schwer atmend durch die Tür gerauscht war. Dort befanden sich die Sachen, die die Feuerwehr und die Polizei aus dem Wagen meiner Mutter bergen konnten. Auch Pauls Smartphone war dabei. Unbeschädigt. Es machte mich wütend, dass gerade dieses dumme Teil heil geblieben war, während mein Bruder schwerwiegende Verletzungen davongetragen hatte, von denen er sich wahrscheinlich nie ganz erholen würde.

Der Arzt, der meinen Bruder operiert hatte, kam erst drei Stunden später zu uns. Er sprach mit meiner Mutter, redete über Sachen, die ich nicht verstand. Von inneren Verletzungen, die sie nun unter Kontrolle hatten, von einer Rippenserienfraktur und einem nicht eindeutigen Befund des Röntgenbildes, das Aufschluss über seine Lunge geben sollte. Die anschließende Computertomographie gab jedoch Grund zum Aufatmen. Keine Verletzung der Lunge. Auch von einem Beinbruch war die Rede, das Bein wurde eingegipst.

Das Schluchzen meiner Mutter erklang herzzerreißend und ich drückte ihre Hand. Seit ich das Krankenhaus betreten hatte, hatte ich ihre Hand nicht eine Sekunde lang losgelassen und hatte es auch nicht vor.

Ich versuchte mir alles zu merken, was der Mann in weiß sagte, allein aus dem Grund, damit ich später recherchieren konnte, wie schlimm Pauls Verletzungen waren. Denn mit den Fachbegriffen, mit denen er um sich schmiss, wie mit Süßigkeiten beim Karnevalsumzug, konnte ich nur wenig anfangen. An der Art wie er seine Sätze formulierte, hörte ich jedoch heraus, dass Paul für den Moment über dem Berg war.

„Er muss sich ausruhen. Es war eine anstrengende OP und er liegt jetzt im Aufwachraum. Das kann ein bis zwei Stunden dauern. Wenn er aufwacht, wird eine Schmerzmessung durchgeführt. Keine Sorge, das ist wirklich nichts Schlimmes. Er wird lediglich gefragt, ob er Schmerzen hat und wie stark sie sind, und dann bekommt er demensprechend Medikamente. Je nachdem, wie starke Schmerzmittel er verabreicht bekommt, ist er mehr oder weniger gut ansprechbar. Danach kommt er auf die Station. Sie können in seinem Zimmer warten, wenn Sie möchten."

Eine müde wirkende Krankenschwester betrat den Raum und der Arzt gab ihr kurze Anweisungen. Die Krankenakte meines Bruders wanderte in ihre Hände.

„Bringen Sie sie auf das Zimmer und geben Sie die Akte auf der Station ab, bitte."

Er verabschiedete sich von uns mit dem Versprechen er würde wieder bei meinem Bruder vorbeischauen, wenn er aufgewacht und einigermaßen bei Verstand war. Die Krankenschwester leitete uns durch die grellweiß beleuchteten Gänge, drückte schließlich eine weiße Tür auf und sagte: „Sie können hier warten."

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt