16 | Das, in dem ich Prinzessin bin

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Dafür, dass mich bis vor kurzem fast niemand in der Schule namentlich gekannt hatte, wurde ich in letzter Zeit ziemlich oft auf den Schulfluren begrüßt. Von Leuten, von denen ich gedacht hatte, dass sie auf ewig über mich hinwegsehen würden. Meine Existenz vielleicht überhaupt nicht bemerkten. Ich konnte nicht verhindern, dass sich dabei ein kleines und manchmal auch großes Lächeln auf meinem Gesicht abzeichnete.

Das Gefühl gesehen zu werden, war mir immer noch fremd, aber die Wärme in meinem Inneren, jedes Mal, wenn jemand das Wort bewusst an mich richtete, breitete sich immer weiter aus.

Die schöne Helena, die zwar für jeden ein nettes Wort auf den Lippen hatte, blieb sogar des Öfteren neben mir stehen, um ein oder zwei Worte mit mir zu wechseln. Es gab Gerüchte, dass sie heimlich – oder auch unheimlich – in Aiden verliebt war. Es lag also nahe, dass sie mich genauer im Auge behalten wollte.

Dieses Gerücht machte jedenfalls zurzeit die Runde. Vollkommener Quatsch. Ich konnte mir denken, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hatte. Die Mädchen aus der siebten Klasse waren nicht besonders gut auf mich zu sprechen, auch wenn sie versuchten sich mit mir anzufreunden und freundlich zu sein. Mit dem Hintergedanken, ich würde ein gutes Wort für sie bei Aiden einlegen. Es war schließlich kein Geheimnis, dass mindestens die Hälfte der Schülerschaft für den Jungen schwärmte. Helena war von einem anderen Schlag. Sie war aufrichtig. Einer der wenigen Menschen, denen ich vertrauen würde, auch wenn ich sie kaum kannte.

Das erste Mal, war ich noch mitten in der Bewegung zu einer Eissäule erstarrt, doch mittlerweile waren unsere Gespräche so natürlich wie das Schulklingeln zur Mittagspause. Smalltalk war nicht gerade die Kategorie tiefgründiger Gespräche, aber was nicht war, konnte ja noch werden.

„Wir sehen uns Katara.", verabschiedete sie sich just in dem Augenblick, in dem ich mein Deutschbuch in mein Schließfach verfrachtete und mein Mathebuch unter einem Haufen Papier hervorzog.

„Tschüss, Helena." Ich winkte ihr gut gelaunt hinterher, beflügelt von diesem neuen warmen Gefühl in mir, das mit jedem Gespräch, jedem Lächeln stärker wurde.

Plötzlich stand auch Emma neben mir. Eine dunkle Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, strich sie mit einer geschmeidigen Bewegung hinters Ohr. Sie schaute mich schief von der Seite an und legte nachdenklich die Stirn in Falten. Das Aufeinandertreffen von Helena und mir hatte sie aus sicherer Entfernung beobachtet.

„Helena hat mit dir geredet. Schon wieder."

Es war keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Ihre Augen waren groß und voller Erstaunen. Ich nickte und ein Hauch von Euphorie huschte über mein Gesicht.

„Wahnsinn, oder? Ich dachte, jeder an der Schule würde nur über mich hinwegsehen."

„Hmm.", machte Emma.

„Außer dir natürlich." Vielleicht klang ich auch ein wenig zu euphorisch.
Ich wusste ja, dass es Aiden zu verdanken war, dass man mit mir redete, doch ich hatte das dumpfe Gefühl, dass meine beste Freundin sich ausgeschlossen fühlte. Das war das letzte, was ich wollte, deswegen legte ich einen Arm um ihre Schultern – was ich sonst nie tat – und dirigierte sie zu unserem Klassenzimmer.

„Es ist schön nicht mehr übersehen zu werden.", gab ich dennoch zu. Es war ein schönes Gefühl gesehen zu werden, auch wenn ich acht Jahre lang versucht hatte, genau das zu verhindern. Aufregend und befremdlich zugleich. Eine neue Welt, in die ich immer weiter hineingezogen wurde. Warum ich immer so bedacht darauf gewesen war ungesehen zu bleiben, war mir mehr und mehr ein Rätsel.

Emma schwieg. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, aber im Inneren beschäftigte sie etwas. Das spürte ich. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Während ich mit jedem verstrichenem Tag weiter aus dem Schatten und ins Licht gezogen wurde, blieb sie lieber im Verborgenen. Am liebsten hätte ich sie an die Hand genommen und mit mir gezogen.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt