Ich antwortete auf keine seiner Nachrichten. Bestimmt zwanzig Mal hatte er versucht mich anzurufen. Mehr als doppelt so viele SMS waren bei mir eingegangen. Ich machte mir nicht die Mühe nachzuschauen, was er zu sagen hatte. Alles, was ich bislang aus seinem Mund gehört hatte, waren schamlose Lügen gewesen und damit würde er wohl kaum von jetzt auf gleich aufhören. Ich hatte geglaubt, dass uns etwas verband. Ich sprach nicht von einer bedeutungslosen Verbindung, wie „Wir sitzen im Deutschunterricht zusammen" oder „Er mag dieselben Bands wie ich". Ich sprach von einer tiefgreifenden Verbindung, die die Seelen zweier Menschen zu einem untrennbaren Band flocht. Eine Verbindung, die so tief griff, dass selbst der stärkste Mann der Welt sie nicht durchtrennen konnte.
Ich war so blind gewesen. Blind und naiv. Während ich weiter in meiner Traumwelt gefangen war und tatsächlich geglaubt hatte, er würde dabei helfen unsere zwei Bänder miteinander zu verflechten, hatte er bei meinem jeden Faden einzeln getrennt, sodass das Band kaputt und unbrauchbar nur noch einen Platz im Mülleimer fand. Mein Inneres war auseinandergezogen worden und ich hatte es nicht einmal bemerkt. Der Verrat schmerzte mehr als tausend Messerstiche.
Auf einmal ergab alles einen Sinn. Warum sonst sollte er von jetzt auf gleich so viel Zeit mit mir verbringen wollen? Wie konnte ich nur glauben, er tat das alles, weil ihm etwas an mir liegen würde? Das einzige, an dem ihm etwas zu liegen schien, war Geld. 200 Euro um genau zu sein. Die hatte er bestimmt schon einkassiert. Schließlich hatte er jedem deutlich gemacht, dass wir nicht nur befreundet waren. Dafür hatte er gesorgt.
Das Gerede über Vertrauen war plötzlich so bedeutungslos. Vertraust du mir? Seine Stimme klang in meine Kopf wieder und wieder. Wie bei einer Schallplatte die einen Sprung hatte und immer und immer wieder dieselben Worte ausspuckte. Doch anstatt die Platte aus dem Spieler zu holen und wegzuschmeißen, bohrten sich die Worte tief in mich hinein. Und meine Wut auf ihn und die ganze Welt wuchs.
Seine Geschichte, seine Vergangenheit. Sie war ihm so einfach über die Lippen gekommen. Na klar war sie das. Es war alles erstunken und erlogen. Damit ich Mitleid mit ihm bekam und noch leichter zu beeinflussen war. Damit er mich leichter um den kleinen Finger wickeln konnte und die Wette so schnell es ging gewann. Ich hielt mich gerne bedeckt, aber er war ganz offensichtlich erpicht darauf unsere Beziehung sofort an die große Glocke zu hängen. Warum sonst wollte er meine Hand halten und mich küssen, wo es doch jeder sehen konnte? Nur wegen dieser vermaledeiten Wette, die alles kaputt machte.
Ich ging erst wieder am Mittwoch in die Schule. Nicht um am Unterricht teilzunehmen, sondern um meine Krankmeldung im Sekretariat abzugeben. Mom hatte mit unserem Schulleiter gesprochen, und ihn darum gebeten mich vom Unterricht zu befreien, solange der Schock über Pauls Unfall noch zu tief saß. Er war ganz ihrer Meinung gewesen. Familie geht vor. Warum ich die blöde Krankmeldung dann nicht erst in einer Woche abgegeben konnte, war mir ein Rätsel.
Ich machte mir nichts vor. In der Schule hatte bestimmt jeder zweite das Video gesehen und wusste bestens über Aiden und mich Bescheid. Die Siebtklässlerinnen mussten sich ziemlich freuen, dass sie Aiden nicht an jemanden wie mich verloren hatten. Eine Außenseiterin.
Der Aufenthaltsraum, durch den ich zwangsläufig gehen musste, verstummte augenblicklich. Einige senkten den Blick. Manche verbargen ihr Lachen hinter vorgehaltener Hand. Tom, der flüchtig am Rande meines Blickfeldes auftauchte, hatte eine selbstgefällige Miene aufgesetzt. Natürlich hatte er das Video ebenfalls gesehen, oder vielleicht wusste er von Anfang an, was es mit Aidens Interesse an mir auf sich hatte.
Erst als ich den Aufenthaltsraum hinter mir ließ, wurde der Lautstärkeregler in die Höhe geschoben. Ihre Stimmen dröhnten in meinem Kopf lauter als zuvor. Ich gab meine Unterlagen im Sekretariat ab und wollte so schnell es ging raus hier. War ja klar, dass er meinen Plan durchkreuzen musste.
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Katara - Bound To Dream
Teen FictionKatara ist das Mädchen, das man schnell wieder vergisst. In ihrer Schule ist sie unsichtbar. Leben lassen und dadurch überleben. Das ist ihr Motto. Sich aus allem raushalten und stumm das tun, was von ihr verlangt wird. Doch was geschieht, wenn der...