22 | Das mit den Pauken und Trompeten

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Mein Herz setzte ein paar Schläge zu viel aus. Ich starrte Paul mit großen Augen an. Kein Ton wollte aus meinem Mund kommen und alles in mir zog sich schmerzhaft zusammen. Seine verschränkten Arme, der verkniffene Mund und seine eiskalten Augen bestätigten mir, was ich bereits befürchtet hatte. Ich saß in der Klemme. Ebenso wie Aiden, der hinter mir zum Vorschein kam und beim Anblick meines Bruders abrupt stehen blieb. Ich spürte seine Hand auf meinem Rücken, die mich anscheinend beruhigen sollte, aber sie bewirkte leider das genaue Gegenteil. Mein Herz fing mit doppelter Geschwindigkeit an gegen meinen Brustkorb zu hämmern. Das Einzige, was mein kleines Herz einigermaßen in Schach hielt, waren meine Rippen, sonst wäre es für Aiden und alle Anwesenden auf dem Präsentierteller sichtbar gewesen.

„Wie peinlich."

„Oh, là, là, Aiden."

„Erwischt."

Die Ausrufe und das anzügliche Gepfeife unserer Mitschüler halfen kein bisschen die Situation zu beruhigen. Ich konnte nichts sagen, was meinen Bruder nicht von einer auf die nächste Sekunde zum Ausbruch getrieben hätte. Ein falsches Wort und der Vulkan in seinem Inneren würde gnadenlos ausbrechen. Eine dunkle Aschewolke schwebte bereits bedrohlich über unseren Köpfen.

Er packte mich wortlos und etwas grob an der Hand und zog mich durch den Flur bis vor die Haustür. Das Lachen der Feiernden auf unserem Weg blendete ich aus. Ein Blick nach hinten verriet mir jedoch, dass Aiden an genau der Stelle stehen geblieben war, an der ich seine Hand losgelassen hatte. Einen Meter entfernt von der offenstehenden Abstellkammer. Meine Wangen mussten mittlerweile so rot glühen wie die Männchen auf einer Ampelanlage.

Aidens Hand zuckte kurz, bevor er sie in den Jackentaschen vergrub. Unschlüssig, ob er mir folgen sollte oder nicht, huschten seine Augen hin und her. Schweren Herzens, um nicht über meine eigenen Füße zu stolpern, und weil Paul mich eisern weiterzog, musste ich mich von ihm abwenden.

Das Gefühl seine warme Hand gehalten zu haben, auch wenn ich sie schon längst losgelassen hatte, verließ mich erst, als Paul mich zu dem Auto unserer Mutter schob, die Beifahrertür aufriss und mich auf den Sitz verfrachtete, wie eine Gefangene, die auf die Richterbank geführt wurde. Und genau so fühlte ich mich leider auch. Wie eine Gefangene, die etwas Schlimmes verbrochen hatte und dafür nun an den Pranger gestellt wurde. Der scharlachrote Buchstabe prangte nicht nur auf meiner Brust, sondern machte wie penetrante Leuchtreklame auf der Autobahn schon aus einem Kilometer Entfernung auf mich aufmerksam.

Die Tür fiel knallend ins Schloss und ich zuckte verschreckt wie ein Reh, das ins Licht des herannahenden Autos blickte, zusammen. Wie das Reh konnte ich mich keinen Zentimeter bewegen und musste machtlos dabei zusehen, wie die Katastrophe unbarmherzig weiter auf mich zu rückte.

Paul stapfte um den Wagen auf die Fahrerseite. Der Motor brüllte auf wie ein Drache, den man aus der Gefangenschaft befreit hatte und brauste los in die Dunkelheit der sonst so friedlichen Nacht. Ich mochte die dunklen, regnerischen Nächte normalerweise, weil mich das Prasseln des Regens und die mystischen Wolkenformen irgendwie entspannten. Aber an Entspannung war überhaupt nicht zu denken. Die Lichter des gelben Hauses waren im Dunst des Nebels und im trüben Grau des Regens verschwunden. Wie Arme einer formlosen Gestalt streckten sich die Nebelschwaden uns entgegen, umarmten uns und ließen kaum weiter blicken als ein paar Meter.

Der Gurt um meine Brust quetschte mir das letzte Quäntchen Luft aus der Lunge, das ich finden konnte. Ungeachtet dessen, dass ich wusste, wie viel Ärger ich mir in den letzten Minuten eingehandelt hatte, war ich so ruhig wie die Oberfläche eines idyllischen Sees, die nur der Wind in Bewegung versetzen konnte. Ich sprach die Frage aus, die mir bereits seit dem Klang seiner Stimme auf der Zunge lag.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt