23 | Das mit den vielen Fragen

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Sonntag war Spieltag. Es war das letzte Spiel der Saison und wurde aus diesem Grund besonders groß gefeiert. Der Verein hatte sogar einen Cateringservice organisiert, der mit seinem gelben Foodtruck vorgefahren war und nun munter Pommes mit Currywurst, Bratwürstchen im Brötchen und allerlei anderes fettiges Zeug verkaufte. Die Schlange kam mir unendlich lang vor und ich nahm mir vor, mir während des Spiels etwas zu holen. Wenn hoffentlich weniger Betrieb war und alle Aufmerksamkeit den Mannschaften auf dem Spielfeld galt.

Dass der Verein den Caterer engagiert hatte, hatte gleich mehrere Vorteile. Erstens mussten Mom und ich nichts vorbereiten und wir konnten den Sonntag vergleichsweise ruhig angehen lassen. Zweitens konnte Mom dadurch bei ihren Freundinnen sitzen und sich das Spiel von der Tribüne aus ansehen oder – und das war die wahrscheinlichere Variante – mit den anderen Müttern quatschen und das Fußballspiel darüber vergessen. Außerdem würde sie so wohl kaum auf die Idee kommen ihre Tochter genauer in Augenschein zu nehmen, um wohlmöglich festzustellen, dass nicht alles so war, wie es sein sollte. Dass der Verkauf für uns an diesem Sonntag ausfiel, war eine willkommene Abwechslung, denn in meinem Kopf fand sich ohnehin nicht der notwendige Platz, um über Muffins, Kuchen und Co nachzudenken.

Die Chance mit Aiden zu reden, hatte sich noch nicht ergeben. Das Team trainierte und machte sich schon seit einer halben Stunde warm. Da blieb keine Zeit für Gespräche am Spielfeldrand oder gar der Austausch zärtlicher Berührungen. Einige Freundinnen hatte ich aus diesem Grund schon schmollend auf der Tribüne ausmachen können. Es war mir allerdings auch lieber so. Das Gespräch sollte unter vier Augen stattfinden und nicht unter Beobachtung von hundert weiteren Augenpaaren. Das wäre dann wohl die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, das sich auf den Gerüchten um uns gebildet hatte. Zum jetzigen Zeitpunkt gab es nichts weiter zu tun, als den Jungs beim Training zuzuschauen.

Aiden hatte sich im Tor aufgestellt und hielt einen Ball nach dem anderen davon ab hinter die weiße Linie zu rollen. Er war in Topform und seine Mitspieler klatschten ihm reihenweise ab. Alle außer Paul. Finster platzierte er den Ball vor seinen Füßen und schoss ihn mit solcher Wucht auf das Tor, sodass Aiden wirklich Mühe hatte den Ball zu halten. Versöhnlich reckte er den Daumen in die Höhe, aber mein Bruder ignorierte ihn. Ich schluckte schwer und Aiden kratze sich betreten am Hinterkopf. Dann gab er dem nächsten Spieler das Zeichen, dass er schießen konnte und das Training ging weiter.

Irgendwo konnte ich Paul ja verstehen. Er war mein Bruder und als solcher wollte er mich natürlich vor allem Unheil beschützen, so wie auch ich ihn vor jeder Katastrophe beschützen würde. Wovor er mich in Bezug auf Aiden schützen wollte, war mir jedoch ein Rätsel. Wie sollte ich wissen, wovor ich mich in Acht nehmen musste, wenn er mir diese Information absichtlich vorenthielt?

Wenn ich an die letzte Nacht dachte, breiteten sich unwillkürlich kleine Schauer auf meiner Haut aus. Aiden und ich hatten uns beinahe geküsst und nun wollte er mit mir sprechen. Ich war allein deswegen ein einziges Nervenbündel. Ich wusste erschreckend wenig über den Menschen, den ich am Ende des Tages vielleicht meinen festen Freund nennen würde.

Um etwas anderes würde es bei unserem Gespräch wohl kaum gehen. Er hätte mich schließlich nicht beinahe geküsst, ohne jegliche Gefühle für mich zu haben. So schätzte ich ihn einfach nicht ein, auch wenn Pauls Worte mir unfreiwillig Stoff zum Nachdenken gegeben hatten. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis ich endlich eingeschlafen war und mein Gehirn vor Erschöpfung eine Pause eingelegt hatte. Lange hatte ich mich trotzdem nicht in meine Traumwelt verirrt. Um sieben Uhr, nach knapp vier Stunden Schlaf war ich bereits hellwach gewesen, hatte es aber nicht über mich gebracht aufzustehen, die Fragen meiner Mutter zu beantworten und Paul in die Augen zu schauen.

Du bist zu jung, um dich auf irgendwen einzulassen. Und erst recht nicht auf jemandem wie Aiden. ' war nur einer der Fetzen, die mir im Gedächtnis geblieben waren. Jemand ‚wie Aiden'. Was meinte er bloß damit? Ich hatte Aiden als einfühlsamen, freundlichen und rundum guten Menschen kennengelernt. Was wusste Paul also, das ich nicht wusste? Was verschwieg er mir? Ich kaute nervös auf meinen Fingernägeln.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt