10 | Das mit der unausweichlichen Frage

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„Zu dir oder zu mir?"

Dieser Satz hatte sich in meine Ohren immer wie eine sehr schlechte Anmache angehört, die man in jedem zweiten Film wiederfand. Daran, dass es bei der Frage auch um einen einfache Hausarbeit gehen konnte, hatte ich bis heute keinen Gedanken verschwendet.

Meine Stimme war brüchig und schrill als ich ihm antwortete. Als hätte ich mich plötzlich von einer auf die nächste Sekunde erkältet.

„Wir können in der Bibliothek recherchieren und dann sehen, wie weit wir kommen?" Ich klang verunsicherter, als ich mir erhofft hatte, doch wenn es ihm auffiel, ignorierte er es gekonnt. Ein wahrer Gentleman.

Mit einer lässigen Bewegung strich er sich die Haare aus dem Gesicht, die ihm in die Augen gefallen waren. Ich musste mich beherrschen, nicht jeder seiner Bewegungen mit den Augen zu folgen und mich zu fragen, wie etwas so Normales bei ihm plötzlich so cool wirken konnte.

Wahrscheinlich sähe er immer noch gut aus, wenn er sein Zimmer putzte oder etwas anderes Banales tat, wie einen Einkaufszettel schreiben oder so etwas. Wundern würde es mich jedenfalls nicht. Nicht bei ihm.

Er nickte kurz und warf sich seinen Rucksack über die Schulter.

„Ist gut.", sagte er bloß und drehte sich Richtung Flur. Ich folgte ihm schweigsam, aber mit klopfendem Herzen. Neben ihm hätte ich ein Topmodel sein können und hätte immer noch lächerlich unbedarft gewirkt. Die Blicke unserer Mitschüler verrieten es und ich war dankbar, dass sich mindestens die Hälfte der Schülerschaft bereits außerhalb des Gebäudes befand. Die übrig gebliebenen Augen blieben an Aiden kleben, während sie mich gar nicht erst zur Kenntnis nahmen. Aidens zweiter Schatten zu sein hatte durchaus seine Vorteile. Auch wenn der Gedanke einen bitteren Beigeschmack hinterließ. Neben ihm konnte niemand mithalten. Jedenfalls niemand, den ich kannte.

Es war Donnerstag. Drei Tage waren vergangen, seitdem Frau Lammer die Idee mit der Hausarbeit gehabt hatte. Drei qualvolle Tage, in denen sich meine Gedanken um eine einzige Frage gedreht hatten. Wie konnte ich diese Hausarbeit so schnell wie möglich hinter mich bringen?

Mein erster Einfall war es gewesen, die Arbeit einfach allein zu schreiben und seinen Namen am Ende hinzuzusetzen, als hätte er die ganze Zeit über mitgearbeitet. Unter anderen Umständen hätte mir das nichts ausgemacht. Ich schrieb gerne und ich glaubte, dass ich die Hausarbeit mit dem Thema ‚Der Hauptmann von Köpenick - Zwischen Theater und Wirklichkeit' – der Titel, auf den wir uns schnell und ohne viele Worte geeinigt hatten - gut allein schreiben könnte. Dann aber legte Frau Lammer ein paar Regeln fest, an die wir uns halten sollten. Allen voran die Seitenanzahl. 15 DIN-A4 Seiten. Schriftgröße 12. Wie sollte ein einzelner Mensch 15 Seiten in zwei Wochen schreiben, wenn er auch noch für andere Fächer lernen und Hausaufgaben erledigen musste?

Mir wurde schnell klar, dass ich diese Arbeit nicht allein bewältigen konnte und mein Plan hatte ohnehin von Anfang an einen Haken gehabt. Aiden.

Es war allgemein bekannt, dass er Deutsch mochte. Für ihn käme es nicht infrage mich den Text schreiben zu lassen und dann später lediglich die Note einzuheimsen.

Jeder andere, wäre auf mein Angebot freudestrahlend eingegangen. Nicht Aiden. Ein solcher Vorschlag hätte eher seinen Stolz verletzt, also ließ ich es nach reiflicher Überlegung einfach bleiben.

In der letzten Stunde hatten wir Biologie gehabt. Herr Kowalski hatte uns einen endlos langen Vortrag über die Mitose und Meiose gehalten, doch ich hatte mich kein Stück konzentrieren können. Meine Gedanken flogen zu Aiden und für eine ganze Weile starrte ich einfach auf seinen braunen Haarschopf, der passenderweise zwei Reihen vor mir schwebte. Ich kam mir selbst gruselig vor und ich war froh meinen Platz in der letzten Reihe erfolgreich verteidigt zu haben. Der Platz, wo mich niemand beobachten konnte.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt