11 | Das mit der heißen Schokolade

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Ich übertrieb nicht, wenn ich sagte, dass die Stimmung zwischen uns merkwürdig war. Es war komisch neben Aiden her zu laufen und sich dabei nicht in der Schule zu befinden. Oder in meinem Fall überhaupt neben ihm zu laufen. In der Schule und auch auf dem Sportplatz gehörte der Junge zum festen Inventar, doch hier auf der Straße, fernab von dieser Realität, wollte er einfach nicht ins Bild passen. Es wirkte beinahe normal. Auf schräge Art und Weise.

Nachdem ich sein Angebot mich nachhause zu bringen doch noch angenommen hatte, war ihm sichtlich ein Stein vom Herzen gefallen. Na schön. Vielleicht nicht unbedingt von seinem Herzen, aber er wirkte auf alle Fälle erleichtert, was ich mir nicht erklären konnte. Das typische Grinsen schlich sich zurück auf sein Gesicht, aber er sagte kaum etwas.

Seine Hände hatte er in seinen tiefen Jackentaschen vergraben und seine Augen waren auf den Boden geheftet, als hätte er Angst auf den Pflastersteinen zu stolpern und hinzufallen. Unsere Schritte hallten durch die leere Straße. Es war nur noch ein Block bis zu meinem Haus und ich machte automatisch größere Schritte.

Ich mochte Aiden, aber das hieß nicht, dass ich zu viel Zeit mit ihm verbringen sollte, um dieses Gefühl in mir noch zu verstärken. Das wäre definitiv kontraproduktiv. Der Weg von der Schule bis zu mit nach Hause dauerte knapp 20 Minuten und sie fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Aidens Präsenz war auch an der frischen Luft unübertroffen. Wenn sich unsere Arme kurz an einer engen Stelle des Fußgängerweges streiften, breitete sich prompt eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus. Mein Körper stand 20 Minuten unter Strom und ich konnte rein gar nichts dagegen unternehmen.

Auf den letzten Metern fing es tatsächlich an zu regnen. Es war kein leichter Regen, sondern so ein Regen, der von einer auf die nächste Sekunde einfach anfing, als hätte irgendjemand den Schalter von bewölkter Nacht auf Sturmchaos gelegt. Wir liefen das Stück bis unter das Vordach meines Zuhauses. Die vertrauten Stufen fühlten sich neben Aiden fremd an und mir wurde bewusst, dass er tatsächlich in diesem Moment vor meinem Haus stand. Die verwelkten Blumen vor der Haustür, die noch niemand weggeworfen hatte, das Keramiktürschild über der Klingel, das ich in der fünften Klasse in der Töpfergruppe gemacht hatte und das an den Ecken bereits rostende Gelände, das damit in perfektem Einklang mit der Backsteinfassade stand. Das alles wurde dem Jungen wie auf dem Silbertablett serviert und gaben einen kleinen, aber durchaus bedeutenden Einblick in meine Familie, der mir sofort ein wenig peinlich war. Gleichzeitig fragte ich mich, ob Aiden schon einmal hier gewesen war, ohne dass ich etwas davon gewusst hatte. Ich hatte nicht das Gefühl gehabt, dass er so eng mit meinem Bruder befreundet war. Das schloss diese Möglichkeit zu 95% aus. Ganz sicher konnte ich mir dennoch nicht sein.

Aiden schüttelte sich unbekümmert die Regentropfen aus den Haaren und ich fand keine Zeit mir weitere Sorgen über das ‚Wie', ‚Warum' und ‚Wieso' zu machen. Das war auch gut so, denn meine Gedanken drehten sich ohnehin nur im Kreis, wenn er in der Nähe war. Hörte das irgendwann auch wieder auf? Ich hoffte es sehr, denn allzu lange würde sich dieser Zustand erheblich auf meine Gesundheit auswirken.

Neben mir spannte sich plötzlich ein schwarzer Regenschirm auf. Ein paar wenige Regentropfen klatschten auf den Stoff und tropften auf die Erde. Die Außenlaterne warf ein warmes Licht auf sein Gesicht, das unter dem Regenschirm nun halb im Dunkeln und halb im Hellen lag. Er lächelte.

„Jetzt kann ich beruhigt nachhause gehen.", sagte er, klopfte zweimal auf das Gelände und drehte sich dann auf dem Absatz um.

„Bis morgen."

Einen Augenblick lang war ich wie erstarrt. Ich sah wie Aiden sich weiter von mir entfernte, immer weiter hinaus in die Dunkelheit trat, wo Nebelschwaden und dicke Regentropfen ihn in einen verschwommenen Schleier hüllten. Diese Szene hätte genauso gut aus einem Film sein können, so künstlich schien sie mir auf einmal.

Katara - Bound To DreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt