„Nicht schlecht." Miley legt das Magazin vor mir auf den Tisch und sieht mich grinsend an. Sofort weiß ich, worum es sich dabei handelt, doch trotzdem werfe ich einen Blick auf das Cover, von dem mich ein gutaussehender schwarzhaariger Junge frech angrinst. Seine blauen Augen leuchten, während er lässig an dem Flügel auf der Bühne lehnt.
‚Christopher Cornwall – Die Geheimnisse des Klavier-Wunderknaben' lese ich die Überschrift dazu und verkneife es mir, das Grinsen auf dem Foto zu kopieren.
„Hey, Chris, muss ich die Zeitschrift selber lesen oder verrätst du mir auch so, ob du und Miley was am Laufen habt?" Mit einem übertriebenen Augenwackeln lehnt sich mein bester Freund Ethan zu mir rüber. Während Miley nur stöhnend die Augen verdreht, zucke ich schmunzelnd mit den Schultern.
„Sehe ich aus wie eine dieser kreischenden Tussen, die Chris den ganzen Tag hinterherlaufen?" Meine Sandkastenfreundin schüttelt entschieden den Kopf. „Nicht jeder Mensch ohne Penis ist dem Depp hier verfallen", fügt sie hinzu, was ich mit einem übertriebenen Schmollmund kommentiere.
„Nur Menschen ohne Penis?", frage ich dann nach und runzle gespielt die Stirn. Ethan lacht.
„Und dann sag mir nochmal, der Ruhm ist dir nicht zu Kopf gestiegen", meint sie und schüttelt ihre braunen Locken abermals. „Nun ja, wie auch immer. Ich muss dann wieder in meine Klasse." Zum Abschied hebt sie ihre Hand und tritt dann aus dem Klassenzimmer in den überfüllten Schulflur. „Auch wenn du ein Depp bist, Glückwunsch zum Coverfoto", sagt sie noch lächelnd, bevor sie endgültig zwischen den Schülermassen verschwindet. Auch ich hebe die Hand, obwohl sie das vermutlich nicht mehr sehen kann.
„Komm schon, du legst sie doch flach, oder?" Ethan lässt nicht locker. Meine Antwort bleibt ein verschwörerisches Grinsen und mein bester Freund seufzt und widmet sich wieder dem Abschreiben der Matheaufgaben für die fünfte Stunde.
***
Biologie verläuft gut und Geschichte noch besser, denn wieder einmal habe ich als einziger die volle Punktezahl auf den Überraschungstest letzte Woche kassiert.
„Darf ich mir deinen Test kurz ansehen?" Das braunhaarige Mädchen vor mir wird rot, als ich es leicht anlächle und ihm den Zettel reiche. „Wow, du bist echt gut", sagt sie leise, doch ich hebe abwehrend die Hände.
„So schwer ist es gar nicht. Ich habe letztens zufällig eine Dokumentation über das Thema gesehen", lüge ich und streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Vielleicht... vielleicht könnten wir irgendwann mal zusammen lernen?"
Innerlich muss ich mir ein Lachen verkneifen. Stell dich hinten an, Kleine.
„Vielleicht irgendwann mal. Zurzeit bin ich nur leider ziemlich beschäftigt", sage ich entschuldigend und sie nickt schnell.
„Ja, richtig, der regionale Klavierwettbewerb ist nächste Woche, oder?"
Und die Vorrunde dazu morgen, die Bandprobe am Donnerstag und das Interview am Sonntag, füge ich in Gedanken hinzu und unterdrücke ein Seufzen. Nicht zu vergessen das Proben und Lernen.
„Genau. Ich muss noch viel üben, wenn ich das Podest erreichen will."
„Ach was, ich bin mir sicher, du würdest auch jetzt aus dem Stand heraus locker gewinnen", meint sie lächelnd und reicht mir meinen Geschichts-Test wieder.
Alles andere als der erste Platz ist auch inakzeptabel.
„Unser Chris hier würde sogar blind und mit zwei gebrochenen Armen gewinnen", mischt sich Ethan ein, der gerade seinen Null-Punkte-Geschichtstest in Form eines Papierfliegers im Mülleimer versenkt.
„Jaja", murmle ich nur, während ich meine Sachen packe und den Rucksack schultere. Kurz überlege ich, dann drücke ich dem überraschten Mädchen das Magazin mit meinem Coverfoto in die Hand. „Hier, kannst du haben, wenn du willst." Schließlich habe ich genug Kopien davon zuhause. „Ich muss dann langsam. Bis morgen, Leute", sage ich zum Abschied und lasse das verdutzte Mädchen mit einem überraschten Ethan zurück.
„Warte, was? Wir haben noch zwei Stunden. Mathe und Sport", ruft mein Freund mir hinterher, doch ich sehe mich nicht mehr um und winke nur.
„Ich habe Übungsstunde bei Mr. Henderson. Bis morgen." Das Läuten zur nächsten Stunde ignorierend steuere ich den Ausgang an, als mich jemand am Arm packt und zum Stehenbleiben zwingt. Etwas verärgert reiße ich mich los, bevor ich wieder mein Fake-Lächeln aufsetze, doch als ich erkenne, um wen es sich handelt, lasse ich die Maske wieder fallen und gebe mir keine Mühe mehr, meinen gelangweilten Gesichtsausdruck zu verbergen.
„Bist du unterwegs zu meinen Großvater?", fragt Miley und ich nicke nur. „Deine Probe fängt aber erst in knapp einer Stunde an."
Meine Antwort ist ein Schulterzucken. „Zahlt sich nicht aus, den Anfang der Stunde noch hier zu bleiben."
Miley sieht mich skeptisch an, doch sagt nichts mehr dazu. „Okay, wie auch immer, ich wollte dich noch um etwas bitten." Als ich eine Augenbraue hebe, redet sie schnell weiter. „Bevor du sofort ‚nein' sagst, lass mich dich an die vielen Male erinnern, in denen ich dir als Ausrede gedient habe, wenn deine Fangirls mit dir ‚lernen' wollten." Ich will schon etwas erwidern, doch Miley redet schnell weiter. „Ich hab noch was gut bei dir, auch wegen dieser Stalkerin damals. Also hör zu."
Mein ‚Nein' bleibt mir im Hals stecken und bei dem Gedanken an dieses ziemlich hartnäckige Mädchen muss ich mich schütteln. Jemandem auf Schritt und Tritt in der Schule zu folgen ist eine Sache, doch wenn sich das dann auch auf Freizeit, Klavierunterricht und zu Hause ausweitete, wird es irgendwann echt gruselig.
„Am Samstag findet eine Party statt", beginnt Miley vorsichtig und ich will schon widersprechen, doch sie unterbricht mich ein weiteres Mal. „Rick's Party." Sie macht eine bedeutungsvolle Pause, doch ich sehe sie nur fragend an. „Rick? Der heiße Typ aus meiner Klasse?", versucht sie mir auf die Sprünge zu helfen, doch ich zucke nur mit den Schultern. „Blond, groß, breite Schultern?", redet sie weiter. „Also das Gegenteil von dir?"
Sofort verengen sich meine Augen zu schmalen Schlitzen und ich verschränke die Arme vor der Brust. „Sag das nochmal und du kannst damit rechnen, dass dein toller Rick von deinem peinlichen Justin-Bieber-Fetisch erfährt", fauche ich leise, was den Lockenkopf dazu bringt, schnell zurückzurudern.
„Tut mir Leid, war nicht so gemeint. Sei doch nicht gleich sauer."
Ohne meine abwehrende Haltung aufzugeben, sehe ich Miley skeptisch an.
Ich bin einer der beliebtesten Jungen auf dieser verdammten Schule. Und meine Schultern sind nicht so schmal, wie Miley immer behauptet.
„Erinnere dich an die vielen Male, wo ich dir aus der Patsche geholfen habe. Und komm als Gegenleistung dafür mit mir auf die Party."
Außerdem ist man mit 1,75m nicht klein. Dass in meinem Pass nur 1,72m eingetragen wurde, ist definitiv ein Fehler.
„Bitte. Du musst mich begleiten."
Erst nach einer Weile realisiere ich Mileys Worte und lasse meine Arme dann seufzend sinken. „Ich gehe nicht auf irgendwelche Partys", erkläre ich ihr, so als würde sie nicht kapieren, dass eins plus eins zwei ergibt. „Das weißt du. Und schon gar nicht auf Partys von irgendwelchen Freaks aus der Schule."
„Er ist kein Freak", gibt Miley beleidigt zurück.
„Was auch immer. Aber du weißt, dass nächste Woche der Wettbewerb stattfindet. Und dass ich keine Zeit für so einen Kram habe."
„Nach den Band-Auftritten feiert ihr doch auch immer."
„Das ist was anderes. Und da bleibe ich meistens auch nicht lange", erwidere ich und merke, wie Miley die Argumente ausgehen.
„Chris, bitte."
„Du hättest dir das alles hier sparen können, denn du kennst meine Antwort." Entschieden drehe ich mich um. „Du solltest los, sonst verpasst du den Unterricht", sage ich noch, bevor ich endgültig auf die Eingangstüren zugehe.
„Du bist und bleibst ein Depp", ruft mir Miley nach, doch ich reagiere nicht mehr. Ich weiß, dass sie mir ohnehin bald vergeben wird.
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Falling for You ✔
JugendliteraturChris scheint das perfekte Leben zu führen: Aufstrebender Klavierspieler, Mitglied einer Band und beliebt in der Schule. Doch nicht alles ist so einfach und schön, wie es von außen wirkt. Als der Sieg beim Klavierwettbewerb plötzlich gefährdet wird...