Nineteen

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Kurze Zeit ist es still, als ich meine Hände von der Klaviatur nehme und sie langsam sinken lasse. Der Applaus danach wird von dem Rauschen in meinen Ohren übertönt und noch ehe ich realisiere, was gerade passiert ist, merke ich, wie ich schon mit mechanischen Schritten den Ausgang ansteuere. Dass ich mich verbeugt habe, habe ich gar nicht mitbekommen und auch meine Konkurrentin, die mich mit zusammengekniffenen Augen mustert, nehme ich nicht wahr.

Nein. Das kann nicht sein.

Irgendwie bin ich diesmal froh, als ich das Scheinwerferlicht hinter mir lasse und aus dem Blickfeld der Menge verschwinde.

Wo bleibt die Energie, die mir das Klatschen und Jubeln sonst bringt? Wann habe ich den Wunsch verloren, für immer auf dieser Bühne zu bleiben? Wo ist der Hunger, der mich sofort wieder befällt, wenn ich das Rampenlicht verlasse?

Als ich ein paar Leute auf mich zukommen sehe, versuche ich meine löchrige Maske dichter an mein Gesicht zu schieben. Die Sicherheit, die sie mir gegeben hat, löst sich langsam mit ihr auf und ich weiß nicht, wie ich diesen Prozess noch stoppen kann.

„Chris", begrüßt mich Gary und sieht mich durch seine Brille mit einem undefinierbaren Blick an. „Den Anfang hast du diesmal gut gespielt." Er stockt und obwohl ich sehe, dass er noch etwas sagen will, schließt er den Mund. Die Worte sind nett, doch sie klingen vorsichtig und alles was wirklich bei mir ankommt ist das große ‚Aber' das unausgesprochen in der Luft hängt.

Richtig. Den Anfang habe ich besser gespielt als sonst, das gibt mir Pluspunkte. Auch wenn es danach ein auf und ab war, der Anfang war fast perfekt. Und in der Vorrunde war mein Vorsprung so groß, dass ich mir ein paar Fehler erlauben kann, oder?

Neben Gary taucht mein Vater auf, der mich ebenfalls mit einem seltsamen Blick ansieht. Innerlich wappne ich mich für einen Schwall an harter Kritik und einen endlosen Monolog über meine Schwächen und Fehler, doch wider erwarten kommt nichts. Mein Vater bleibt still und so verbringen wir die nächsten Minuten in monotonem Schweigen.

Nachdem auch die nächsten Teilnehmer ihren Auftritt gemeistert haben und wir uns in einen unbenutzten Gang in der Nähe des großen Saals zurückgezogen haben, kommen auch meine Mutter und Miley zu uns. Die seltsame Stimmung scheint sich auch auf die beiden zu übertragen, denn auch meine Mutter, die sich sonst nie ein übertriebenes Lob verkneifen kann und Miley, der ich ansehen kann, dass sie besorgt ist, bleiben stumm. Immer wieder spüre ich Blicke auf mir, doch ich erwidere sie nicht und starre den Boden an.

„War das der letzte?", fragt Miley, als Gary wieder aus dem Saal zurückkommt, wo er sich die letzten Teilnehmer angesehen hat. Als er nickt, bewegen wir uns wortlos in die Aula, wo sich schon einige Leute versammelt haben und zwei große Bildschirme hängen.

Eine Weile lang füllt das Gemurmel der Menschen den Raum, während im Hintergrund die Punkte und Plätze der Teilnehmer ausgewertet werden.

Die vielen anderen Blicke, die ich jetzt zusätzlich auf mir spüre, fühlen sich an wie schwere Mäntel, die meinen gesamten Körper bedecken und mich zu Boden drücken.

Wo ist die Selbstgefälligkeit, die mich sonst in solchen Momenten befällt? Wo das Grinsen, dass ich sonst unterdrücken muss?

Ich schlucke schwer und merke, wie meine Augen leicht zu jucken beginnen. Immer wieder muss ich mich daran erinnern, den Blick nach oben zu richten und meine Schultern zu straffen. Und immer wieder rutsche ich meine imaginäre Maske zurecht, die so löchrig wirkt, dass sie mein Gesicht nur noch zur Hälfte verdeckt.

Alles wird gut. Ich werde gewinnen, wie immer. Dann kommt sicher auch das gute Gefühl zurück. Und danach darf ich nach Hause.

Endlich kommt Bewegung auf die Bühne und ein Moderator beginnt seine Dankesrede, bevor das Licht gedimmt wird und alle Blicke zu den Monitoren hinter der Bühne wandern, die das Ergebnis bekannt geben.

Falling for You ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt