„Chris!" Ethan ist der erste, der bei mir ankommt und mich besorgt mustert. „Alles okay, Alter?" Die Stimme klingt seltsam verzerrt und wird von meinem schnellen Herzschlag übertönt. „Hey, kannst du aufstehen?" Leute versammeln sich um mich herum, doch alles was ich richtig wahrnehme, ist der pochende Schmerz in meiner rechten Hand.
Kann ich meine Finger bewegen?
Ich atme tief ein, bevor ich meine Augen öffne und mir die Hand vors Gesicht halte.
Fuck.
Blut. Aufgeschürfte Haut. Dreck in der Wunde.
„Was ist passiert?", höre ich den Lehrer sagen und muss mich bemühen, ruhig zu atmen.
Das wird schon wieder. Das sieht sicher schlimmer aus als es ist.
Ruckartig setze ich mich auf, darauf bedacht, meine Hand zu schonen.
„Langsam", höre ich eine Stimme nah neben mir und erkenne Leo, der so wie ich noch auf dem Boden sitzt. Auch sein Arm ist leicht aufgeschürft und er hält sich die Schulter.
Okay. Ich habe alles im Griff.
Die helfenden Hände um mich herum ignorierend stehe ich auf, nur um gleich darauf aufzustöhnen.
„Vorsicht, dein Knie", sagt Ethan und will mich stützen, doch ich drücke seinen Arm weg. Ohne ein Wort und mit zusammengebissenen Zähnen humple ich auf den Hintereingang der Schule zu und mache mich auf den Weg zum Schularzt. Zurück bleiben die Schüler und der Lehrer, die mir stumm nachblicken.
***
Erst beim Aufstehen habe ich mein blutiges und schmerzendes Knie bemerkt, doch es ist mir egal. Die Pedale werde ich auch so betätigen können, nur um das Anschlagen der Tasten mache ich mir Sorgen. Mein Herz pocht wie wild und ich muss mich bemühen, um meine Gedanken zu sortieren.
Es wird schon nicht so schlimm sein. Wenigstens kann jetzt niemand mehr behaupten, dass ich mich nicht angestrengt hätte.
Mit Mühe öffne ich die Tür zum Schul-Krankenzimmer.
„Ah, hallo Christopher, was kann ich-", beginnt der ältere Mann mit Halbglatze, doch stoppt, als er meine Hand und mein Bein sieht.
„Oje, was ist denn passiert? Sportunfall?", fragt er und will sich mein Bein ansehen, das heftiger blutet, als meine Hand, doch ich halte ihm meinen Arm hin.
„Können Sie das reinigen und verbinden? Bitte, die Hand muss so schnell wie möglich heilen, damit ich-"
„Puh, das sieht wirklich nicht schön aus. Vielleicht sollten wir die Hand röntgen lassen, um zu sehen, ob auch nichts gebrochen ist."
Ich höre die Worte, doch ich begreife sie nicht wirklich. Gebrochen? Das kann nur ein Traum sein. Ein dummer Scherz.
„Nein, sie ist nicht gebrochen. Ich brauche nur Desinfektion und einen Verband", antworte ich, doch der Doktor sieht mich skeptisch an.
„Kannst du die Hand vollständig bewegen? Und auch die Finger? Tut es irgendwo besonders weh?"
Vorsichtig lasse ich mein Handgelenk kreisen und versuche, jeden Finger einzeln zu beugen, was mir ein Zischen entlockt. Doch es funktioniert. Erleichtert atme ich auf.
„Okay das sieht gut aus, sehr wahrscheinlich ist nichts gebrochen. Trotzdem musst du deine Hand für zwei Wochen schonen. Und falls es nicht gut verheilt oder nicht besser wird, rate ich dir trotzdem, die Hand im Krankenhaus kontrollieren zu lassen."
Schonen. Zwei Wochen.
Ich merke gar nicht richtig, wie der Doktor meine Wunden desinfiziert und mir einen Verband anlegt.
Zwei Wochen?
„Das geht nicht", höre ich mich sagen. Plötzlich wirkt alles kilometerweit entfernt. Das weiße Zimmer, der Arzt, das Brennen in meiner Hand.
„Das ist wichtig. Wenn du deiner Hand nicht die nötige Ruhepause gönnst, wird es nur schlimmer. Du solltest-"
„Das geht nicht. Ich habe nächste Woche einen Wettbewerb." Meine Stimme ist seltsam ruhig.
Wer rastet, verliert. Wer sich die Zeit nimmt, um einmal tief Luft zu holen, verliert.
„Das tut mir leid, aber-"
„Danke, aber ich gehe jetzt wieder", sage ich schroff und drehe mich mechanisch um.
„Christopher, ich will dir doch nur helfen. Ich weiß, wie wichtig deine Hände sind, aber gerade deshalb musst du den verletzten Fingern jetzt Zeit geben, damit sie richtig heilen können, sonst kann es passieren, dass du noch länger Probleme damit hast."
Alles hört sich so weit weg an, fühlt sich so weit entfernt an. Als ob mich dieser Möchtegern-Mediziner auch nur ansatzweise versteht. Er hat doch keine Ahnung.
„Auf Wiedersehen", sage ich, als ich die Tür öffne und die Warnungen des Arztes ignoriere.
„Christopher."
Schon bin ich wieder am Gang, meine Hand schmerzt immer noch und mein Knie pocht.
„Hey, alles okay?" Plötzlich stehe ich Leo gegenüber, der gerade das Krankenzimmer betreten will.
„Bestens", antworte ich harsch und drehe mich weg.
„Soll ich dir helfen?", höre ich den Braunhaarigen hinter mir noch fragen, doch ich gebe keine Antwort bevor ich loshumple und um die nächste Ecke verschwinde. Dass Leo mir nachruft, blende ich einfach aus.
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Falling for You ✔
Teen FictionChris scheint das perfekte Leben zu führen: Aufstrebender Klavierspieler, Mitglied einer Band und beliebt in der Schule. Doch nicht alles ist so einfach und schön, wie es von außen wirkt. Als der Sieg beim Klavierwettbewerb plötzlich gefährdet wird...