Twenty-Nine

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Ich bin so perplex, dass ich erstmal kein Wort herausbringe.

„Ein Abend. Danach lasse ich dich für immer in Ruhe, wenn du das willst. Das war der Deal."

Noch immer starre ich Leo einfach nur an.

„Also?"

Meine Gedanken rattern und ich bin hin- und hergerissen. Leo mit zu mir nachhause zu nehmen ist definitiv nie mein Plan gewesen, doch vielleicht ist es wirklich die einzige Möglichkeit, ihn davon zu überzeugen, dass er mir verdammt egal ist. Bevor ich antworte, gehe ich noch einmal das Gespräch heute Morgen mit meiner Mutter durch, bis ich mir recht sicher bin, dass weder sie noch mein Vater gerade zuhause sind.

„Wenn du mich zu sehr störst dann schmeiß ich dich aber raus", murre ich, während ich mich wieder umdrehe und auf den Weg zurückkehre, von dem wir gekommen sind.

„Schon klar", sagt Leo, der mit ein paar großen Schritten zu mir aufholt und beschwichtigend die Hände hebt, doch ich kann das Lächeln in seiner Stimme hören.

Der Heimweg verläuft wieder sehr schweigsam und meine Nervosität steigt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal jemanden außer Miley zu mir nachhause eingeladen habe, nicht einmal Ethan war oft bei mir.

„Du und Kimberly wart also mal zusammen?" Ich weiß nicht, wer von uns beiden überraschter ist, dass ich diese Frage wirklich stelle.

„Ja. Ist aber schon eine Weile her."

„Willst du sie zurück?"

Von der Seite sehe ich Leos verwirrten Gesichtsausdruck, doch als ich keine Miene verziehe, lacht er kurz auf. „Dein ernst?"

„Warst du nicht sauer, weil ich sie dir fast weggeschnappt hätte?"

Leo sieht mich mit gehobenen Augenbrauen an. „Du bist wirklich ein Meister im Verdrehen von Tatsachen."

Da ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll, scheint das Gespräch beendet und kurz danach erreichen wir das große Einfamilienhaus, das ich mit Leo im Schlepptau betrete. Ich sage nicht viel, während Leo sich interessiert umsieht, erst als ich unschlüssig vor der weißen Tür neben der Treppe stehenbleibe, hole ich tief Luft und drehe mich zu dem braunhaarigen Jungen um.

„Wenn du was trinken oder essen willst, dort hinten ist die Küche. Und das hier", ich deute auf die Tür, die ich nun öffne, „ist das Klavierzimmer."

Es ist seltsam, den Raum diesmal nicht alleine oder in Begleitung von Miley oder meinem Vater zu betreten. Fast glaube ich, die Veränderung im Raumklima spüren zu können, als Leo nach mir das Zimmer betritt und ich kann nicht deuten, was ich von der neuen Stimme halte, die wie ein frischer Windhauch durch den Raum fegt und die geordneten Notenblätter durcheinanderwirbelt.

„Wow", höre ich Leo leise sagen, als er ehrfürchtig an den weißen Flügel tritt und vorsichtig mit seinen Fingern über das Klavier streicht. „Das ist es also."

Um meine Überforderung mit der Situation zu verbergen, tue ich das einzige, das mir fast immer hilft, meine Gedanken wieder zu sortieren. Seufzend lasse ich mich auf den Hocker fallen und nehme die gewohnte Haltung ein. Meine Finger beginnen sich zu bewegen, ohne dass ich groß darüber nachdenken muss und ich beschließe wie so oft, ihnen fürs erste freien Lauf zu lassen, um mich zu sammeln. Ich weiß gar nicht mehr, seit wann ich das tue, doch aus irgendeinem Grund habe ich mir angewöhnt, zu Beginn meiner Übungen immer einfach frei drauf los zu spielen. Ohne Noten. Ohne Regeln. Es ist zu einem Ritual geworden, das mir dabei hilft, die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten und um einfach mal nicht nachdenken zu müssen.

Obwohl Leo mir gespannt zusieht, fällt es mir heute leicht, mich komplett in der Musik zu verlieren und mich von den Tönen tragen zu lassen. Die Melodie ist diesmal langsamer und verträumter und lässt den Raum mit einem Mal unendlich groß erscheinen. Im dämmrigen Licht, das durch die Fenster mit den weißen Vorhängen scheint, glaube ich schon langsam die Sterne leuchten zu sehen und während die Erde langsam in einen tiefen Schlaf fällt, erwacht eine neue Welt, so weit und so funkelnd, dass man sich für immer darin verlieren möchte. Mittlerweile sind meine Finger fast vollständig verheilt und ich genieße es, kein Pochen oder Ziehen mehr zu spüren, wenn ich mit den Tasten spiele. Wieder kommt ein Seufzen aus meinem Mund, als ich die letzten Töne ausklingen lasse und die Hände langsam auf meinen Schoß lege.

Falling for You ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt