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Mein liebster James,

ich bin voller Hoffnung, dass sie wohlauf sind. Sie müssen sicherlich viele Schlachten schlagen und kämpfen tapfer für die Union.

Ich war über die Maßen traurig, als sie gegangen sind. Leider hat meine Schwester mir jeden weiteren Kontakt zu ihnen verboten. Sie kann sehr herrisch sein. Mir macht es nichts aus, dass sie ein schlichter Soldat sind. Es wäre mir mein liebster Wunsch, mehr Zeit mit Ihnen zu verbringen.

Unter Umständen sehen wir uns wieder und vermögen, diesen Abend fortzusetzen.

Ich bin von Ihnen angetan, James, und hoffe, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht. Sind Sie der Ansicht, wir werden uns einmal wiedersehen? Nur darf meine Schwester nichts davon erfahren.

Bitte sagen sie mir, wenn sie wieder nach Gettysburg kommen.

Liebste Grüße

Ihre Julie

Ben schluckte. In seinem Kopf las Julie selbst ihm diese Zeilen vor. Ihm wurde bewusst, dass er die junge Frau vermisste. Höchstwahrscheinlich beabsichtigte Sie, ihm mit diesem Brief Trost und Kraft zu spenden, aber er riss ihn nur weiter auseinander. Auf der einen Seite sehnte Ben sich in seine Zeit zurück, auf der Anderen wollte er hierbleiben und ... ja, was eigentlich dann? Der Gedanke, Julie zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen, war haarsträubend.

Ben hatte hier weder Geld und Besitz. Wenn der Krieg vorbei war, war er ein mittelloser Colonel ohne berufliche Zukunft. Nicht unbedingt eine gute Partie für eine junge Frau, die sich vermutlich vor Verehrern kaum retten konnte.

Davon abgesehen gab es wohl wenig schlimmere Eingriffe in die Zeitlinie, als hier Vater zu werden. Nein, dieser Weg war keine Option, obwohl eine kleine Stimme in seinem Kopf sagte: Warum eigentlich nicht? Du lebst im Hier und Jetzt! Mach was draus und pfeif auf die Geschichte. Ben ignorierte sie.

Eine Zeit lang wurden viele kleine Angriffe der Rebellen zurückgeschlagen. Sie verloren Männer und erhielten neue Ersatzleute. Die Fluktuation war so hoch, dass Ben sich kaum in der Lage war, sich weiterhin die Namen der Leute zu merken. So hielt er engen Kontakt zu seinen vertrauten Offizieren, die ihren Job einwandfrei erledigten. Was Ben in dieser Zeit ausgesprochen genoss: Die Langsamkeit. Niemand war hier zwingend von der Uhrzeit abhängig. Es klingelten keine Telefone und nicht einer hetzte einer Antwort hinterher. Für die Kommunikation wurden berittene Kuriere eingesetzt, die zur Not länger auf seine Reaktion warteten. Abgesehen von diesem grausamen Krieg war diese Zeit Balsam für die Seele aus dem hektischen 21ten Jahrhundert.

Der Papierkram nahm absurde Ausmaße an, aber Ben kämpfte sich hindurch und sah es als Abwechslung zum Warten und zu den gelegentlichen Gefechten. Er gewöhnte sich an diese Zeit und auf irgendeine Art schien er sich damit abzufinden, dass er hier den Rest seines Lebens verbringen würde.

Was ihm etwas Sorge bereitete, waren Schmerzen in seiner Brust, die er immer wieder bemerkte. Es war wie ein Druck, so als würde man ihn in eine zu enge Jacke quetschen. Die Angriffe Rebellen häuften sich und doch schlugen sie sie stets zurück. Ben führte das Feuern aus der Deckung ein, was erst skeptisch gesehen wurde, aber, aufgrund der geringen Verluste, von einigen Befehlshabern übernommen wurde.

Bei einem stärkeren Angriff, den die Union knapp zurückschlug, unterlief Ben der Fehler, dass er nicht rechtzeitig den Rückzug befahl. Das kostete ihn einige Männer, trug ihm aber auch viel Respekt und ein Lob des Divisionskommandeurs, General Winters, ein, da er trotz dieser scheinbar aussichtslosen Lage, sein Regiment rettete und die Linien der Union hielt. Colonel Austin, der langjährige Kommandeur der nahen Artillerie, ordnete sich ihm unter und unterstütze Ben bedingungslos. Der war froh, einen so erfahrenen Offizier in seinem Rücken zu haben. Das Netz zwischen den Befehlshabern wurde dichter und Ben spürte immer mehr, dass er dazugehörte.

Mit einem Schwung von Ersatzleuten stieß Lieutenant Samuel Kebbel zum Regiment, der Ben sofort sympathisch war. Durch die hellblauen Augen, das blonde Haar und das kindliche Lächeln wirkte er fraglos so jung, als ob er vormittags die Schule besuchen müsste. Ben ernannte ihn zu seinem Adjutanten und dieser Aufgabe widmete Kebbel sich mit einer solchen Hingabe, dass Ben sich niemand besseren dafür vorzustellen vermag. Nicht einmal Rivers, auf den er als ‚heißen Draht' zu seinen Soldaten großen Wert legte.

So spielte sich der Alltag ein und Ben, der regelmäßig Briefe mit Julie austauschte, genoss diese Zeit. Diese Routine wurde mit einem ungewöhnlich heftigen Angriff der Rebellen unterbrochen.

Ben erreichte die Front in dem Moment, in dem einige Grauröcke die Linien überwanden und einen Major exekutierten. Ben führte eine Gruppe von Soldaten gerade noch rechtzeitig in die Bresche, so dass die Rebellen gebremst wurden. Die Nahkämpfe waren heftig und erbarmungslos. Ben riss einen Südstaatensoldaten von seinem Adjutanten, bevor dieser Kebbel erwürgte. Rivers entledigte sich erst mit einer Kugel, dann mit dem Bajonett zweier Angreifer und grinste Ben an:

    »Und wieder einmal sind sie genau richtig zur Stelle, Sir.«

Ben schmunzelte kurz. Nichts schien dem Sergeant die Laune zu verderben. Er lud seine Pistole erneut und sah sich nach weiteren Schwachstellen in den Linien um. An manchen Stellen wirkte die Verteidigung geschwächt, aber die Soldaten hielten stand und ließen keinen Riss zu. Captain Adams dirigierte Männer um und stopfte eine neue Lücke:

    »Colonel, es sieht gut aus. Ich denke, wir werden sie zurückschlagen.«

Ben stimmte ihm zu. Obwohl die Rebellen die Front mit einer enormen Wut berannten, erzwangen sie keinen Durchbruch. Kebbel, der nicht ganz so viel Kampferfahrung wie Adams oder Rivers vorweisen konnte, blieb schwer atmend neben Ben stehen:

    »Sir, ihren Papierkram zu bearbeiten ist mir irgendwie lieber.«

Dem jungen Mann auf die Schulter klopfend entdeckte Ben eine neue Lücke:

    »Sie sind in beidem gut. Machen sie nur weiter so.«

Jetzt passierte doch, was Ben befürchtete. Die Linie riss und eine ordentliche Zahl Rebellen drang hinter die Front der Blauröcke. Ohne zu Zögern stürzte Ben sich in den Nahkampf und stieß seinen Offizierssäbel in die Seite eines Angreifers:

    »Adams! Ich brauche hier ein paar Leute!«

Der Captain brüllte Befehle und einige Männer in blauen Uniformen rannten herüber. Unter ihnen war Sergeant Rivers:

    »Colonel, machen Sie eine Kaffeepause? Oder brauchen sie nur wieder meine Hilfe?«

    »Quatschen sie nicht so viel!«

Rivers quittierte die Antwort mit einer Handbewegung und suchte sich den nächsten Feind. Ben sah sich nach weiteren Schwachstellen um. Immer mehr Rebellen brachen durch die Front und Ben nutzte seine Pistole. Wieder und wieder drückte er ab und mit jedem Schuss löschte er ein Menschenleben aus. Nachdem das Magazin leer war, standen ihm die Tränen in den Augen.

Bens Ohren klingelten vom Krachen der Gewehrsalven und mehrfach wischte er sich über das Gesicht. Teilweise, um Staub und Dreck zu entfernen, aber auch, damit er nicht die unzähligen Toten sah. Einer seiner Männer brach mit aufgerissener Brust neben ihm zusammen. Ben würgte. Er sah sich um und entdeckte, das Rivers am Arm blutete:

    »Jim, sie sind getroffen!«

Rivers sah kurz an der Wunde herunter:

    »Nur eine Fleischwunde, Sir.«

Dann sah der Sergeant sich um. Still stand er da und schien nur das Schlachtfeld zu betrachten. Ben setzte just zu der Frage an, was los war, als Rivers Waffe mit einem dumpfen Knall auf der blutgetränkten Erde aufschlug. Der junge Mann drehte sich langsam zu seinem Colonel, anstatt von Worten quoll dabei Blut aus dem Mund. Bevor Ben bei ihm war, stürzte Rivers zu Boden. Ben war mit einem Satz bei ihm, aber alles, was er sah, waren leblose Augen, die ihn aufgerissen anblickten.

1863 - Was würdest Du machen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt