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Der Soldat salutierte und ritt weiter. Ben legte seine Ausrüstung an und wählte fünf Männer aus. Rivers ließ er bewusst außen vor:

    »Sie dürfen dieses mal zuhause bleiben. Ruhen sie sich etwas aus.«

Rivers ließ erleichtert seine Ausrüstung wieder fallen:

    »Danke, Sarge.«

Ben nahm seine Waffe, rief die Soldaten zu sich und setzte sich Richtung Vorposten in Bewegung. Zumindest fand er sich langsam in diesem Regiment zurecht. Rivers brüllte ihm hinterher:

    »Und achten sie auf die Büsche. Johnny Reb versteckt sich gern.«

Johnny Reb war der Spitzname der Unionssoldaten für die Rebellen, die Grauröcke dagegen nannten ihre Gegner aus dem Norden ‚Billy Yank'. Auf dem Weg zum Vorposten sprach einer der Männer Ben an:

    »Sergeant, wissen sie, wo Jameson ist? Er ist gestern vom Pissen nicht zurückgekommen.«

Ben sah den Mann ratlos an. Ein anderer Soldat schnaubte verächtlich:

    »Wahrscheinlich desertiert. War nicht der Erste und wird nicht der Letzte sein.«

Die Gleichgültigkeit überraschte Ben. Wurden Deserteure nicht verfolgt und erschossen? War das doch eine Chance zu verschwinden? Der erste Soldat schien seine Gedanken zu erraten:

    »Kommen sie nicht auf falsche Gedanken, Sergeant. Deserteure werden erschossen. Jameson war noch nie mit dem Herzen dabei und wenn er gefunden wird, möchte ich nicht in seiner Haut stecken.«

Ben nickte nur und hoffte, dass er nicht allzu nervös wirkte. Die Ansage war deutlich und vernichtete sämtliche Gedanken an eine Flucht. Es war keine beneidenswerte Vorstellung, in dieser Zeit erschossen zu werden. Aber, schoss es ihm durch den Kopf, war es nicht genau das, was alles in Ordnung bringen würde? Würde die Geschichte nicht wieder in normalen Bahnen verlaufen, wenn er starb? Ben schlich mit den Männern durch das Unterholz und beobachtete genau seine Umgebung. Sie waren in einem düsteren Wäldchen und das Sonnenlicht drang nur dürftig durch die Baumkronen. Dafür war es hier relativ kühl. Nach einer Zeit baten die Soldaten um eine kurze Pause. Einer der Männer setzte sich auf einem Baumstumpf:

    »Warum macht so etwas eigentlich nicht die Kavallerie?«

Ben war nicht undankbar, dass ihm die Frage nach einer Pause erspart blieb und lehnte sich an einen Baum:

    »Wahrscheinlich sind die beschäftigt. General Buford ist, wenn ich mich richtig erinnere, nach Gettysburg geritten.«

Ein Soldat, der sich ins Gras gesetzt hatte, kratzte einen Stein aus seinem Stiefel:

    »Die sind schon wieder kaputt. Das ist schon das dritte Paar in diesem Jahr. Wir sollten weniger marschieren.«

Ein Soldat, der auf dem Baumstumpf saß, ließ sein Gewehr auf den Boden fallen:

    »Das stimmt. Wir laufen unzählige Kilometer, sind immer nur unterwegs. Ich bin zur Armee gegangen um gegen die Rebellen zu kämpfen, nicht um die Landschaft zu betrachten.«

Ben streckte sich kurz und nahm sein Gewehr wieder in beide Hände. Als ranghöchster Soldat war es im Grunde genommen seine Aufgabe, die Männer aufzubauen und zu motivieren. Nur wie:

    »Na los, wir müssen weiter. Wir haben noch ein ganzes Stück vor uns.«

Etwas knackte rechts von Ben und dann knallte eine Gewehrsalve durch den Wald. Der Mann, der vor wenigen Momenten den Stein aus seinem Stiefel geholt hatte, sackte im Gras zusammen und regte sich nicht mehr. Ben drehte sich hektisch um und suchte nach seinen Kameraden. Der Baumstumpf war leer und der Mann, der eben dort gesessen hatte, lag auf dem Boden daneben. Die Hand auf seine blutende Schulter gepresst. Sein Gewehr lag unberührt neben ihm. Die anderen Männer stellten sich schnell auf, zielten und feuerten eine Salve in das Gebüsch. Ben rannte zu ihnen hinüber:

    »Deckung, verdammt.«

Der Angesprochene brach schreiend zusammen. Ben sah die grässliche Schusswunde, ließ seine Waffe fallen und fiel auf die Knie. Er erbrach sich heftig neben den toten Soldaten. Einer der übrigen Männer kippte vornüber in einen kleinen Busch und bewegte sich ebenfalls nicht mehr. Der Letzte, der mit ihm kämpfte, brüllte ihm etwas zu, was Ben nicht verstand. Seine Ohren klingelten von dem Krachen der Gewehre. Ben drehte den Kopf ein wenig und sah unvermittelt einen Gewehrkolben auf sich zukommen, dann wurde die Welt schwarz.

Ben kam wieder zu sich und sah er erst einmal nur Erde. Und Fell. Offenbar lag er auf dem Rücken eines Pferdes und bei jedem Schritt schienen seine Knochen zu zerreißen. Die Position, quer über das Tier gelegt, die Gliedmaßen herabhängend, war mit ziemlicher Sicherheit nicht orthopädisch empfohlen. Er versuchte, Arme und Beine zu bewegen, merkte aber sofort, dass er gefesselt war. Bei Bens Versuch, den Kopf zu heben, um sich umzusehen, schoss ein scharfer Schmerz durch seinen Hals. Offenbar lag er schon eine Zeit so auf dem Pferd und sein Körper protestierte gegen diese plötzliche Bewegung. Je mehr er über seine Situation nachdacht, desto erschreckender wurde sie. Er war ein Gefangener der Rebellenarmee.

Bens Wissen über die Kriegsgefangenenlager zu dieser Zeit war nicht allzu üppig, aber die Geschichten, die er kannte, ließen leichte Panik in ihm aufsteigen. Bei jedem kräftigeren Schritt des Pferdes zuckte er wieder zusammen und neuer Schmerz schoss durch seinen Körper. Einer der Soldaten in einer abgetragenen grauen Uniform packte sein Kinn und drehte Bens Kopf grob in seine Richtung:

    »Das ist also Sergeant James Bond. Na, tut es weh?«

Der Mann hatte einen ausgeprägten Südstaatenakzent und Ben verstand ihn kaum. Mit dem verdrehten Hals schmerzte sein Kopf noch mehr. Tränen traten ihm in die Augen:

    »Ja, ziemlich. Danke der Nachfrage.«

    »Gern geschehen. Wenn das schon schmerzt, dann freu dich schon mal auf das Hauptquartier.«

Der Tonfall jagte Ben Angst ein. Woher kannten diese Männer seinen Namen? Beziehungsweise den Namen, der er hier benutzte? Vermutlich war er nicht nur ein zufälliger Kriegsgefangener. Ben schmeckte Blut auf seiner Lippe. Die Männer hatten ihn wohl übel zugerichtet. Sie trafen auf eine kleine Gruppe Rebellen, die offenbar einen Vorposten darstellten. Der Anführer hob seine Waffe:

    »Halt. Na, wen habt ihr da geschnappt?«

Der Mann, der eben schon mit Ben gesprochen hatte, gab ihm einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf:

    »Das ist Sergeant James Bond. Wir sollen ihn zum Verhör bringen. Befehl von General Lee.«

1863 - Was würdest Du machen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt