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Als Ben wieder zu sich kam, schmerzte sein ganzer Körper. Sein Brustkorb fühlte sich taub an und seine Organe schienen zu kribbeln. Er hatte keine Ahnung, in welcher Situation er war und traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Ein sanftes, regelmäßiges Piepsen sagte ihm, dass er sich sicher nicht mehr im Weißen Haus befand. Er versuchte, etwas zu sagen, aber sein Mund war so trocken, dass er keinen Ton herausbekam. Mit Mühe gelang es ihm nach längerer Zeit:

»Major Kebbel?«

Ben hörte Bewegung um sich herum:

»Julie, sind sie das?«

»Warum spricht er englisch? Und wer sind Major Kebbel und Julie?«

Die Stimme konnte er nicht zuordnen, aber sie sprach eindeutig deutsch:

»Wo ist mein Adjutant?«

»Ben!«

Ben brauchte etwas, bis er die Stimme erkannte. Mühsam öffnete er die Augen und kniff sie sofort geblendet wieder zusammen. Ganz vorsichtig versuchte er es noch einmal. Über sich sah er eine weiße Decke und im Augenwinkel einen Turm, der mit durchsichtigen Plastikbeuteln behängt war. Ein Gesicht tauchte in seinem Sichtfeld auf und schockte ihn fast mehr als alles, was er bisher erlebt hatte. Es war sein bester Freund. Tom, mit dem zusammen an der Universität studierte.

»Ben, du bist wach.«

Zu seiner eigenen Überraschung war Ben damit überfordert, die deutschen Worte zu finden und er merkte, dass eine Maske einen Teil seines Gesichts bedeckte. Er versuchte, danach zu greifen, aber seine Hand gehorchte ihm nicht. Langsam drehte Ben den Kopf und sah, dass Tom zur Tür rannte:

»Schnell, er ist wach.«

Nur Sekunden später stürmten eine Menge Leute in den Raum und umringen sein Bett. Die Stimmen ließen sich nicht auseinanderhalten.

»Wie sind die Werte?«

»Es sieht gut aus.«

»Hat er versucht zu sprechen?«

Ben wollte nicken, aber Tom antwortete bereits für ihn:

»Hat er, allerdings war es unverständlich. Die Maske hindert ihn daran.«

»Nein, die muss noch bleiben, wo sie ist. Herr Tahnert, können sie mich verstehen?«

Ein älterer Mann in einem weißen Kittel sah ihm in die Augen. Schwach nickte Ben und der Arzt redete weiter:

»Sie hatten einen schweren Unfall und sind im Krankenhaus. Sie müssen beatmet werden, damit wir sicher sein können, dass ihre Lunge wieder einwandfrei funktioniert. Versuchen sie in der Zeit nicht zu sprechen.«

Ben nickte noch einmal mühsam und schloss die Augen.

»Verständigen sie sofort seine Angehörigen.«

Ben hörte Schritte und eine Tür zufallen.

»Mensch Ben, was war das denn bitte? Du wolltest doch nur was einkaufen.«

Er hatte keine Ahnung, was alles passiert war, aber dieser Einkauf lag schon etliche Wochen zurück.

In diesem Moment war er froh, nicht sprechen zu können und damit nicht gezwungen zu sein, irgendetwas zu erklären.

Als Ben das nächste Mal aufwachte, fühlte er sich deutlich besser und öffnete problemlos die Augen. Er sah seine Mutter weinend an seinem Bett sitzen:

»Ben, wir haben so eine Angst um dich gehabt.«

Sein Vater kam ebenfalls an das Bett und drückte ihm die Schulter:

»Mein Junge. Ich bin froh, dass du wieder da bist.«

Es dauerte einige Tage, bis die Ärzte Ben endlich von den meisten Geräten befreiten und er relativ normal sprechen konnte. Er brauchte eine Menge Wasser, bis die Halsschmerzen nachließen:

»Hey, habt ihr alle keinen Job?«

Seine Eltern und Tom, die an seinem Bett standen, lachten auf. Tom füllte das Wasserglas wieder auf:

»Alter, was ist denn passiert?«

»Keine Ahnung. Ich erinnere mich nur an helles Licht und dann wurde alles schwarz.«

Bens Mutter strich ihrem Sohn über die Stirn:

»Die Polizei sagt, dass du von einem Auto angefahren wurdest. Der Fahrer ist geflohen und ein Passant hat sich am Straßenrand gefunden. Der Anruf der Polizei war schrecklich.«

»Wie lang war ich weg?«

Ben hatte jedes Zeitgefühl verloren und bei der Antwort seines Vaters fuhr er zusammen:

»Genau eine Woche. Am dritten Tag hier bist du das erste Mal aufgewacht.«

Eine Woche? Das konnte nicht sein. Ben hatte Ewigkeiten im Bürgerkrieg verbracht. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Das war alles ein Traum? Tom beugte sich vor:

»Der Notarzt sagte, sie haben lange gebraucht um dich zurückzuholen. Der Mann der dich gefunden hat, hat sich um die Herzmassage gekümmert und die Sanitäter haben dich bestimmt drei oder viermal geschockt. Dich mit Medikamentenn vollgepumpt. Dann ist dein Herz endlich wieder angesprungen.«

Jetzt fielen Ben die sprichwörtlichen Schuppen von den Augen. Die drückenden Schmerzen in der Brust und das scharfe Stechen im Herz. Ben versuchte noch, das Gehörte zu verarbeiten, als Tom aufstand:

»So, mein Freund. Da du jetzt ja wieder zu Kräften kommst, ist hier noch jemand, der dir Gesellschaft leisten will. Wir werden jetzt erstmal einen Kaffee trinken gehen.«

Tom verließ mit Bens Eltern den Raum und eine Person setzte sich auf die Bettkante, der sein Herz wieder Überstunden schieben lies:

»Lina!«

Die junge Frau ergriff Bens Hand:

»Ben, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Tom hat mir alles erzählt.«

Ben drückte ihre Hand ein wenig und setzt ein Lächeln auf:

»Ich hoffe nicht nur Blödsinn.«

Sie strahlte ihn an und einen Augenblick lang dachte Ben, Julie würde vor ihm sitzen. Sie hatte dieselbe hohe, melodische Stimme:

»Nein, hat er nicht. Er rief mich kurz nach dem Unfall an. Als es nicht sicher war, ob du es schaffst und hat mir ein Geheimnis anvertraut.«

Ben reagierte nicht sofort. Er überlegte, dass Julie offenbar nur ein Streich seines Gehirns war, aber bestand die Möglichkeit, dass sie nur ein Platzhalter für Lina war?

»Na toll, ich wette, es ist etwas blamierendes.«

»Nein, ist es nicht.«

Sie gab Ben einen Kuss auf die Wange und ihm war es peinlich, dass er rot anlief:

»Was für ein Klischee.«

Lina grinste zurück und kniff Ben sanft in die Wange:

»Na und? Warum hast du mich nicht schon längst einmal auf einen Kaffee eingeladen? Wir besuchen doch schon ewig dieselben Kurse.«

»Keine Ahnung? Weil du sonst nicht einmal mit Covermodels ausgehst?«

»Spinner.«

1863 - Was würdest Du machen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt