26. Kapitel - Am schwarzen See

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Es war so weit. In ungefähr einer halben Stunde würde es anfangen zu dämmern. Hawk hatte gesagt sie sollten sich rechtzeitig positionieren, damit die Black-Schwestern sie auf keinen Fall würden kommen sehen. Remus hatte sich den Rest des Tages nicht mehr blicken lassen und sie beschlossen seine Entscheidung zu respektieren. Also schlüpften sie zu dritt unter den Tarnumhang und anders als sonst schien der Stoff schwer auf ihren Schultern zu liegen. Sie huschten durch die Gänge, in denen ihnen noch ab und zu Schüler über den Weg liefen, aber die meisten waren bereits in den Gemeinschafts-Räumen oder genossen draußen die letzten Strahlen der goldenen Abendsonne. Sie gingen über die Wiese, aber niemand bemerkte die Fußabdrücke, die aus dem Nichts das Gras plattdrückten. Unter dem Umhang sahen sie einander an. Wo sollten sie sich verstecken? Sirius nickte in Richtung des verbotenen Waldes. Noch immer ließ James allein der Anblick der undurchdringlichen Dunkelheit zwischen den Bäumen frösteln, aber er zögerte nicht. Einheitlich schoben sie sich um eine Schülergruppe herum und standen kurz darauf vor den ersten Bäumen von vielen tausend weiteren, die sich, in unbekannter Weite, nach hinten erstreckten und immer größer, dicker und dunkler wurden. Sie nickten einander kurz zu und huschten dann in die Schatten, von denen sie trotz des warmen Abendlichts sogleich verschluckt wurden. Als sie sich hinter einem knorrigen, alten Laubbaum niedergelassen hatten, zogen sie den Tarnumhang von ihrem Köpfen und James versteckte ihn unter seiner Jacke. Sie lehnten sich gegen den Stamm und warteten. Reden wollten sie nicht riskieren, damit sie nicht alle aufflogen, weshalb sie schweigend beobachteten, wie die Sonne immer tiefer hinter dem Horizont verschwand und die Schatten des Waldes sich weiter ausbreiteten und sich die sonnenbeschienene Wiese Stück für Stück einverleibten. Bald darauf war die Sonne endgültig verschwunden und mit ihr die letzten Schüler, die sich noch draußen aufgehalten hatten. Es musste nun jeden Moment so weit sein. Nun, wo keiner mehr da war, lehnte er sich zu Sirius und flüsterte: „Was denkst du, kommen sie noch vor der Dunkelheit? Mein Fuß ist jetzt schon eingeschlafen." Sirius schnaubte leise und lachte, während Peter sie erschrocken ansah, als würde beim leisesten Geräusch eine Horde Acrumantulas, die behaarten Riesenspinnen, die angeblich in den Tiefen dieses Waldes hausen sollten, aus dem Wald auf sie zu marschieren, um sie dann einen nach dem anderen zu verspeisen. „Keine Ahnung", antwortete Sirius, „aber Hawk hat geschrieben, dass das Ganze abends stattfindet, also müsste es bald so weit sein." „Was machen wir dann eigentlich genau?", überlegte Peter nervös, anscheinend hatte er da allen Ernstes noch nicht drüber nachgedacht. „Also ich würde sagen", schlug James vor, „dass wir einfach, wenn sich die Gelegenheit bietet, uns von hinten an sie anschleichen und sie überwältigen. Wir müssen ihnen die Zauberstäbe abnehmen, dann können sie erstens niemandem mehr etwas zuleide tun und sich zweitens nicht mehr verteidigen." „Dir ist aber klar, dass das alles andere als idiotensicher ist, oder?", murmelte Sirius, während er sich umwandte und am Stamm vorbei auf die Wiese spähte. Es wurde dämmrig und der Himmel begann sich grau zu färben und mit ihm auch die gesamte Umgebung. Alles schien in Schatten versunken. „Naja, hast du einen be-", begann James, doch Sirius unterbrach ihn zischend, „Sie kommen!" James verstummte sofort und lugte auf der anderen Seite des Baumes vorbei. Tatsächlich, auf den Stufen vor dem Eingangsportal erschienen vier Figuren. James Atem ging schneller. Professor Hawk erkannte er trotz des dämmrigen Lichts sofort, er war deutlich größer als die drei Mädchen und der Junge, die vor ihm herliefen. Er erkannte die stolze Haltung von Bellatrix, den lockeren Gang von Andromeda und Narcissas in der Dämmerung leuchtendes, weißblondes Haar. Plötzlich wurde James unsicher. Er hatte die ganze Zeit nicht den geringsten Zweifel gehabt, aber nun, da sie kurz davor waren, diesen Plan wirklich umzusetzen, wurde ihm mulmig zumute. Sie waren drauf und dran sich auf Menschen zu stürzen, die für einen mächtigen, unbekannten schwarzen Magier arbeiteten. Wenn etwas schiefging, würde vielleicht seine Familie dafür bezahlen. Der Gedanke schnürte ihm die Luft ab. James zog den Kopf zurück und ließ sich wieder gegen den Baumstamm sinken. Eiserne Entschlossenheit half ihm, seinen Atem zu regulieren. Er würde das jetzt durchziehen, Aufgeben war keine Option. Er spürte die kühle, feuchte Erde, die Tannennadeln zwischen den Blättern auf dem Waldboden, die sich in seine Handflächen bohrten. Etwas Undefinierbares krabbelte sein Bein hinauf. Wieder lehnte sich James zur Seite, um am Baumstamm vorbeisehen zu können und erschrak, wie nah sie schon waren. Nicht viel mehr als 20 Meter trennten sie vom verbotenen Wald. Dann blieb die Gruppe stehen. Sie verteilten sich ein wenig. Bellatrix zog das Buch hervor, das sie so lange verzweifelt zu bekommen versucht hatten, aber gescheitert waren. Sie hob ihren Zauberstab und rief: "Quietus!". James hatte den Zauber einmal bei seinem Vater gesehen. So würde niemand im Schloss hören, was unten vor sich ging. Niemand würde kommen. Bedächtig schlug sie nun das Buch auf, während sich ihre Schwestern rechts und links von ihr positionierten. Hawk stand etwas abseits. Er sah sich nervös um und trat von einem Fuß auf den anderen. Er wartet auf uns, dachte James und sah Sirius und Peter an. Mit den Lippen formte Sirius das Wort: „Wann?" James reagierte nicht. Er konnte die Situation nicht einschätzen, aber er durfte keinen Fehler machen. Stattdessen drehte er sich wieder um, um das Geschehen auf der Wiese weiter zu beobachten. Bellatrix hatte ihren Zauberstab hervorgezogen. Sie erhob ihn und ihre Stimme drang leise bis an den Waldrand. Die geheimen Worte. Jetzt oder nie. Sie standen mit dem Rücken zum Wald, in dem sich die Freunde versteckten. Hawk ließ seinen Blick gerade in Richtung der peitschenden Weide schweifen, er war auf der Suche nach ihnen, weil er nicht wusste, wo sie sich versteckt hatten. James drehte sich hastig zu seinen Freunden um, die ihn ansahen. Hawk sah gerade nicht hin, also konnten sie auch den Tarnumhang benutzen. Eilig zog er ihn hervor und bedeutete Sirius und Peter sich mit ihm darunter zu verstecken. Dann erhoben sie sich und schlichen um den Baum herum und betraten die freie Fläche. Natürlich bemerkte sie niemand. Aber James drängte seine Freunde zur Eile. Obwohl Hawk ihr Verbündeter war, wollte er nicht, dass er von dem Tarnumhang erfuhr und sie mussten auftauchen solange er abgelenkt war. Sie kamen näher. die fremden Worte klangen immer klarer und da sah James wieder Binns' Büro vor seinem inneren Auge. Die gleiche Stimme, die gleichen Worte. Aber diesmal würde sie nicht damit durchkommen, diesmal würde er sie aufhalten und zwar rechtzeitig. Blitze begannen aus Bellatrix' Zauberstab hervor zu zucken. Auch ihre Schwestern begannen mit gesenkten Köpfen und konzentriert geschlossenen Augen leise Worte zu murmeln. Stränge aus purer Energie, purer Zauberkraft strömten aus ihren leicht erhobenen Händen hervor und liefen an Bellatrix' Zauberstabhand zusammen. Von dort aus wurde der Lichtstrahl dicker, kräftiger und begann sich in der zunehmenden Dunkelheit zu verästeln und auszubreiten. James hielt seinen Freunden unter dem Umhang drei Finger entgegen und zählte herunter. Als seine Hand sich ganz zur Faust schloss, warf er den Umhang zu Boden. Alles was in den nächsten Sekunden passierte, war in seiner Erinnerung etwas verschwommen. Er warf sich von hinten auf Andromeda. Sie schrie erschrocken und ging unter seinem Gewicht zu Boden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Sirius sich auf Bellatrix stürzte und Peter schreiend das Gleiche bei Narcissa tat. Hawk fuhr sofort herum, als das Geschrei ertönte und erfasste die Situation. James kniete sich hin und presste Andromeda die Knie in den Rücken, während er ihre Taschen durchwühlte. „Geh sofort runter von mir du kleiner, dreckiger-", schrie sie, wurde aber von Bellatrix übertönt, die ohrenbetäubend kreischte, „Sirius, du missratener, elender Blutsverräter, du wirst mich loslassen, sonst werde ich dich auf der Stelle töten!" „Das sollst du erst mal versuchen, ohne Zauberstab!", rief Sirius und sprang triumphierend auf. In die Luft reckte er einen schwarzen, gebogenen Stab, aus dem eben noch der Quell aus Blitzen geflossen war. Aber nun war er einfach nur ein dunkler Stab. James fand ebenfalls Andromedas Stab und sprang von ihr zurück, schob ihren Zauberstab blitzschnell in seine Tasche und richtete seinen eigenen auf sie. „Nicht bewegen", knurrte James, „sonst wird es ziemlich ungemütlich." Andromeda brach den Versuch ab aufzustehen und erstarrte in der Hocke. „Leg die Hände auf den Boden", wies James sie an und das tat sie auch. Doch Bellatrix schnaubte nur abschätzig. „Was wollt ihr erbärmlichen kleinen Würmer tun? Uns mit Rictusempra zu Tode kitzeln?", fragte sie spöttisch, richtete sich ungerührt auf und sah Sirius herausfordernd an. Peter rang hinter ihr immer noch mit Narcissa, aber Hawk kam ihm zu Hilfe. Sirius lachte. „Zwei kleine Worte", murmelte er und spielte mit seinem Zauberstab in der Hand herum, „Avada. Kedavra. Das kriege ich garantiert hin." Mit den letzten beiden Worten, richtete er seinen Zauberstab genau auf ihr Herz und James meinte tatsächlich Angst in ihrem Blick erkennen zu können. „Das reicht!", mischte sich Hawk plötzlich ein. Alle schwiegen und sahen ihn an. „Worauf warten Sie eigentlich?", rief Andromeda empört, die nicht mitbekommen hatte, dass er geholfen hatte Narcissa zu überwältigen, „Vernichten Sie sie!" Hawk lächelte nur. „Sie sind ein widerwärtiger Verräter", fauchte Narcissa, „Sie haben sich gegen uns verbündet! Warum?" „Aus demselben Grund, aus dem ich jetzt das hier tue", sagte er, immer noch lächelnd und beschwor mit einem Schlenker seines Zauberstabes aus dem Nichts drei Seile herauf, die sich sogleich um die Oberkörper der drei Schwestern schlangen. Sie versuchten sich gegen die Fesseln zu wehren, aber es war zwecklos. Hawk hob erneut seinen Zauberstab und James wunderte sich. Was wollte er denn jetzt noch? Sie waren schon gefesselt und entwaffnet. „Imperio", flüsterte Hawk und richtete seinen Zauberstab auf Bellatrix und anschließend auf Andromeda und Narcissa, die aufschrien, aber kurz darauf auch von dem Zauber erfasst wurden. Etwas an ihrer plötzlichen Reglosigkeit, jagte James eiskalte Schauer den Rücken hinunter. Er kannte diesen Fluch, irgendjemand hatte ihm mal davon erzählt... Mit dem Imperius-Fluch übernimmt man die Kontrolle über den Geist eines anderen Menschen, hörte er plötzlich Sirius' Stimme in seinem Kopf. Die unverzeihlichen Flüche. James sah Hawk entsetzt an. Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. James erhob die Stimme: „Sir, ich glaube wirklich nicht, dass das nötig ist." „Du hast nicht die geringste Ahnung was nötig ist", antwortete Hawk beherrscht und plötzlich, ohne irgendeine Bewegung seines Zauberstabs oder einen Befehl, begann sich die Black-Schwestern synchron zu bewegen, aber auf eine unnatürliche, geisterhafte Art. Mit starrem, leerem Blick, gingen sie auf das Schloss zu. „Ernsthaft, was soll das?", rief Sirius, „Wir wollen nicht in den Gebrauch unverzeihlicher Flüche hineingezogen werden!" Hawk schnaubte. „Warst du es nicht, der Bellatrix eben mit dem Todesfluch gedroht hat?", fragte er verschlagen. „Weil sie sich sonst nie ergeben hätte! Sie hätten sie auch einfach früher fesseln können, dann wäre das gar nicht nötig gewesen!" „Was machen Sie denn jetzt mit ihnen?", fragte James den Professor aufgebracht. „Alles gut, ich lasse sie sich selig zurück in ihre Betten legen und wisst ihr was?", fügte er am Ende hinzu. Der Tonfall, in dem er die Frage stellte gefiel James ganz und gar nicht. „Es wird das Letzte sein, was ihre Körper je lebendig tun!", rief er und die Fröhlichkeit, mit der er diesen Satz sagte, war einfach nur ekelerregend. „Hawk, was haben Sie vor?", fragte James, „Ich dachte, es geht nur darum zu verhindern, dass sie jeden Menschen in dieser Schule in einen Geist verwandeln." Er versuchte seine Stimme weiterhin ruhig und kontrolliert klingen zu lassen, doch seine Gedanken rasten. Was hat er noch vor? Wird er sie töten? Und vor allem, was geschieht jetzt mit uns? Wir können nicht zulassen, dass wir Teil eines Mordplans werden! „Allerdings", stimmte Hawk zu, „es ging darum sie davon abzuhalten!" Als James die Bedeutung dieses Satzes klar wurde, viel ihm die Kinnlade herunter. Sie waren in eine Falle getappt. „Dann möchte ich mich an dieser Stelle herzlichst bei euch allen bedanken!", rief er und schwang seinen Zauberstab. „Nein!", hörte James sich schreien, als dicke Seile in der Luft erschienen und sich blitzschnell um sie schlangen. Das grobe Reißen an ihren Körpern, als sich die Seile enger zuzogen, warf sie zu Boden. Da lagen sie, gefesselt im halbdunklen Gras, zu den Füßen eines verräterischen Irren, in der Dämmerung, auf die eine lange, dunkle Nacht folgen würde.

James  Potter und die Rumtreiber - Der geheime PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt