9. Kapitel - Freunde

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James erinnerte sich nicht mehr daran, wie er und Sirius in dieser Nacht in ihre Betten gelangt waren. Es interessierte ihn auch nicht, ihn interessierte nicht mal mehr der geheime Gang unter der peitschenden Weide. Alles was ihn interessierte war, dass sein Freund sich von ihnen verraten fühlte und diesen Gedanken konnte er nicht ertragen. Sie kannten sich noch nicht lange, aber Remus war ein fester Teil ihrer Gruppe und er war daraus auch nicht mehr wegzudenken. An den darauffolgenden Tag erinnerte er sich nur wie durch einen Nebel. Alles schien gedämpft und unscharf. Die Folgen ihrer Begegnung mit der peitschenden Weide, waren am nächsten Tag deutlich spürbar gewesen. Wieder und wieder hatten sie Remus aufgesucht, versucht ihm alles zu erklären, ihn um Verzeihung zu bitten, aber er hatte sie ignoriert und wieder diesen harten Blick gezeigt, als hätten seine Emotionen sich von seinem Gesicht abgeschottet. Irgendwann fuhr er zu ihnen herum und sagte ruhig: „Spart es euch. Wenn ihr mich irgendwie respektiert, dann lasst mich einfach in Ruhe." Er blieb ganz ruhig als er das sagte und das machte es für sie nur noch schlimmer. Die Tage vergingen und James nahm desinteressiert war, dass er unter den neuen Lehrern, die sie im Laufe der Zeit kennenlernten, auch einige von denen erkannte, die er bisher nur in der Nacht heimlich beobachtet hatte. Bei dem Mann, der versucht hatte, Dumbledore davon abzubringen Remus in Hogwarts aufzunehmen, handelte es sich um Professor Hawk, den Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. James hatte das Fach von vornherein interessant gefunden, konnte den Lehrer allerdings auch von vornherein nicht leiden, weil er Remus aufgrund seiner Herkunft nicht an der Schule hatte aufnehmen wollen. Die kleine junge Frau mit den Locken, aus der Nacht in der die peitschende Weide gepflanzt wurde, war Professor Sprout, Lehrerin für Kräuterkunde und trotz ihres jungen Alters Hauslehrerin von Hufflepuff. Aber die drei Freunde verschwendeten kaum noch einen Gedanken daran, stattdessen überlegten sie, wie sie Remus davon überzeugen könnten, dass ihre Freundschaft immer echt gewesen war. Das war leider leichter gesagt als getan, da Remus auch weiterhin nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Tage wurden zu Wochen und die Herbstferien rückten näher. Das Wetter wurde schlechter, die Tage kürzer und dunkler. Kalter Regen schlug prasselnd an die Fensterscheibe des Klassenzimmers. Draußen war es noch dunkel und der Mond, der fast voll war ging gerade erst unter, als Professor Hawk vor den Gryffindor- und Slytherin-Schülern der ersten Klasse auf und ab schritt. Nach einer kurzen Anwesenheitskontrolle blieb der Lehrer abrupt stehen und wandte sich zu der Klasse um. „Heute beginnen wir ein neues, großes Thema: Die Geschöpfe der Nacht", verkündete Hawk. „Sir", rief ein unscheinbarer Slytherin-Schüler mit dunklem Haar und einem berechnenden Blick, „meine Schwester geht in die dritte Klasse und die haben gerade erst mit dem Thema Geschöpfe der Nacht angefangen. Ist das nicht etwas früh für Erstklässler?" Sein Tonfall klang so besserwisserisch, dass James genervt die Augen verdrehte und ihm allein für seinen Tonfall einen Fluch hätte auf den Hals jagen können. Der Professor jedoch blieb ruhig, es schien beinahe als hätte er mit Einwänden gerechnet und antwortete: „Das Thema wird in der dritten Klasse wiederholt, zumindest nach meinem Lehrplan, was der Lehrer deiner Schwester in der ersten Klasse durchgenommen hat, kann ich daher nicht sagen und werde danach auch nicht meinen Unterricht ausrichten." Ein schmales Lächeln schien seine Lippen zu umspielen, aber James war sich nicht sicher, da sein Mund großenteils von einem grauen Vollbart mit einigen verbliebenen schwarzen Strähnen umrahmt war. „Ich würde dann fortfahren", sagte der Professor an den Slytherin-Schüler gewandt, der mit auf der Hand aufgestütztem Kinn zu schmollen schien. „Das erste Geschöpf der Nacht, mit dem wir uns näher auseinander setzen werden ist der Werwolf. Weiß denn von Ihnen schon jemand etwas über Werwölfe?", fragte er in die Runde und einige Hände hoben sich. „Mr. Longbottom, bitte", gab Hawk das Wort an Frank weiter und dieser begann zögerlich zu sprechen: „Also, ähm, ein Werwolf ist ein Wolf, aber kein richtiger Wolf. Ein Mensch, der sich bei Vollmond in einen Wolf verwandelt." Da sanken die meisten Hände. Das war so ziemlich alles, was die meisten Menschen von Werwölfen wussten. „Sehr gut", übernahm Professor Hawk wieder, „Ein Werwolf ist extrem gefährlich. Ist er erst einmal verwandelt, wird er nur noch von Hunger und dem Ruf anderer Werwölfe gesteuert. Von dem Mann, der der Werwolf zuvor gewesen ist, ist dann nichts mehr übrig und alles was bleibt ist eine Bestie. Wenn der Werwolf verwandelt ist, weiß er nicht mehr wer er ist, wer seine Freunde sind und seine Feinde und frisst alles was sich bewegt." Eine schaurige Stille legte sich über den Raum und das einzige Geräusch war das harte Prasseln des Regens. „Gut, nach dieser kurzen, doch etwas dramatischen, Einführung, bitte ich Sie Ihre Bücher auf der Seite 117 aufzuschlagen. Lesen Sie zuerst das Kapitel über das Verhalten eines Werwolfs, wenn er verwandelt ist und anschließend werden wir gemeinsam erörtern, was einen Werwolf von einem gewöhnlichen Wolf unterscheidet und wie man ihn erkennt", wies der Professor sie an und ließ sich hinter seinem Pult nieder, während die Schüler ihre Bücher auspackten, raschelnd nach der richtigen Seite suchten und dann zu lesen begannen. James verlor sich in dem Text und vergaß ein wenig die Zeit. Es stellte sich heraus, dass Werwölfe wirklich interessante Geschöpfe waren. Als James fertig war mit Lesen hob er den Kopf und sah auf die Uhr, die über der Tür hing. Noch 20 Minuten, dann hatten sie endlich frei. Er sah sich um, um zu sehen, wer noch alles fertig war. Neben ihm hatte Sirius den Kopf gehoben und sah ihn an. James nickte zur Uhr hinüber und Sirius nickte erleichtert. Dann erhob Professor Hawk wieder die Stimme und durchbrach die konzentrierte Stille. „Alle fertig?", fragte er und die meisten nickten. „Gut, dann machen wir weiter", verkündete der Lehrer. Er ging zur Tafel an der Wand hinter ihm, drehte sich wieder zu den Schülern um und fragte: „Was könnten Sie sich denn vorstellen, was einen gewöhnlichen Wolf von einem Werwolf unterscheidet?" Fast alle hoben die Hände, vorstellen konnte man sich vieles. Einige Schüler erzählten ziemlich weit hergeholte Sachen, wie zum Beispiel, dass man einen Werwolf nicht töten könne, dass Werwölfe nur Menschenfleisch fräßen oder dass (das war James persönlicher Favorit) Werwölfe Feuer speien könnten. Am Ende hatten sie dann aber eine recht lange Liste von Unterschieden zusammengefasst, auf der unter anderem stand, dass Werwölfe zum Beispiel in der Regel allein sind, obwohl sie sich vom Ruf anderer Werwölfe leiten lassen, und deutlich größer sind als normale Wölfe. Die Stunde neigte sich dem Ende zu und es blieben ihnen nur noch etwa 10 Minuten, als sie zu den Erkennungsmerkmalen kamen. Darauf schien Professor Hawk wirklich großen Wert zu legen. „So", begann er und rieb sich einen kurzen Moment die Hände, „wer kann mir denn mal etwas dazu sagen woran man einen Werwolf erkennt?" Zögerlich hoben sich einige Hände, aber Hawks Blick führte zielstrebig zwischen ihnen hindurch und richtete sich auf einen Platz in der dritten Reihe, auf einen Jungen, der scheinbar teilnahmslos in das geöffnete Buch vor ihm starrte, ohne zu lesen. Ein Junge mit mausbraunem Haar und einer langen Narbe über der linken Wange. Als eine Weile niemand etwas sagte, hob Remus den Blick und sah sich um, offenbar um herauszufinden, warum niemand etwas sagte, als er bemerkte, dass Hawk ihn direkt ansah. „Verzeihung?", fragte er, weil er offensichtlich nicht zugehört hatte. „Mr. Lupin", sagte der Professor freundlich, aber für James klang es nicht wirklich freundlich und er musste sofort wieder an Slughorn denken, wie dieser etwas gefaselt hatte von wegen „ein Auge zudrücken", nur um die anderen Schüler zu beeindrucken. „Sie haben heute noch gar nichts zum Unterricht beigetragen, dabei sind sie doch sonst immer so engagiert. Ich dachte, Sie verstehen sich vielleicht so gut auf jeden Bereich dieser dunklen Materie." James dachte, dass er seinem Namen wirklich alle Ehre machte. Professor Hawk sah Remus an wie ein Falke, der in der Luft Kreise zog und von weitem seine Beute anvisierte um dann im Sturzflug auf sie herabzustoßen. „Und?", fragte er, „können Sie mir ein typisches Merkmal nennen, an dem man einen heimtückischen Werwolf erkennt?" James sah, wie Remus blass wurde und schluckte. Offensichtlich ging es ihm nicht gut. Was sollte das denn jetzt? Warum pickte der Typ Remus heraus, um ihn bloßzustellen? „Ich kenne keine", antwortete Remus und sah wieder starr auf das Buch vor ihm auf dem Tisch. „Ganz sicher nicht?", fragte Hawk noch einmal und hielt seinen Blick weiter fest auf Remus gerichtet. „Nein, keine Ahnung." „Denken Sie noch einmal scharf nach, ich bin sicher Ihnen fällt etwas ein", beharrte Hawk und sein raubvogelartiger Blick wurde noch intensiver. James hatte nicht bemerkt das er aufgestanden war, bis er laut sagte: „Er hat gesagt er weiß nichts, ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändert, wenn sie ihn noch drei Mal fragen." Seine Stimme klang wie die eines Fremden, klang seinen Ohren rau vom Gefühl der Abscheu, dass das Bloßstellen seines Freundes in ihm auslöste. „Wie bitte, Mr. Potter?", fragte er und sein Blick fixierte sich nun auf James. Die beiden starrten einander an und bei dem Gefühl, dass er empfand dachte er, dass sich so ein Stier fühlen musste, dem man in einer Arena ein rotes Tuch vorhielt. „Sie haben gehört was er gesagt hat und er hat recht", hörte er plötzlich Sirius neben sich sagen. Er blieb sitzen und seine Stimme klang deutlich beherrschter als die von James, aber das minderte die Aussagekraft dessen was er sagte nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Die beiden blickten Hawk feindselig an und er erwiderte den Blick mit derselben Intensität. Da ertönte der Gong und sofort erhoben sich die Schüler, um der gänzlich aufgeladenen Situation zu entkommen. „Hausaufgabe ist eine Zusammenfassung von allem was wir heute gelesen und besprochen haben. Außerdem recherchiert bitte jeder die Erkennungsmerkmale eines Werwolfs", rief er über den Lärm der scharrenden Schüler hinweg und sah dabei wieder Remus an. Unzufrieden, als hätte er seine Beute verfehlt und wäre stattdessen mit dem Schnabel in der Erde gelandet. „Ach und übrigens", fügte er mit einem Blick auf James und Sirius hinzu, „zehn Punkte Abzug für Gryffindor!" Damit drehte er sich schwungvoll um und begann seine eigenen Sachen zusammenzupacken. James und Sirius sahen ihn noch einmal mit Abscheu im Blick an und nickten dann Peter zu, damit er ihnen nach draußen folgte. Sie beeilten sich, um Remus abzufangen, der so schnell wie möglich aus dem Raum verschwunden war. Er war noch immer etwas blass, was seine Narbe stärker hervortreten ließ als sonst. „Hey!", rief James und fragte vorsichtig, „alles okay bei dir?" Er nickte, sah aber nicht so aus. Ein dünner Schweißfilm zog sich über seine Stirn. „Vielleicht solltest du mal zu Madame Pomfrey-", schlug Sirius vor, aber Remus unterbrach ihn, „Nein!". Dann fügte er ruhiger hinzu: „Mir geht's gut. Tut mir leid" „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen!", rief Peter, „Im Gegenteil, wir haben noch einige Entschuldigungen auf der Zunge, die wir dringend loswerden müssen!" Ein schwaches Grinsen überzog Remus Gesicht und als James das sah, empfand er nichts als Erleichterung. „Ihr braucht euch nicht andauernd zu entschuldigen. Aber ich muss mich bei euch bedanken", sagte er und wandte sich an James und Sirius: „Danke, echt. Keine Ahnung, was der Typ für ein Problem mit mir hat, aber darauf war ich echt nicht vorbereitet." „Kein Ding, gern geschehen", antwortete Sirius und hob die Hand um Remus auf die Schulter zu klopfen. Als Remus keine Anzeichen erkennen ließ, dass er sich dagegen wehren würde, tat Sirius genau das und lächelte leicht. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann fraget Peter: „Also, gehen wir dann jetzt zum Mittagessen?" Sie lachten und James, Sirius und Peter sahen Remus fragend an. Der lächelte und nickte dann. Eine unglaubliche Last schien von James Schultern zu fallen. Er konnte sein Glück kaum fassen, sie hatten wirklich die Chance wieder richtig gute Freunde zu werden, noch bessere als zuvor, da nun nichts mehr zwischen ihnen stand. Sie machten sich auf den Weg und es wurde ziemlich lustig, denn die anfängliche Spannung löste sich schnell, als ihnen zahllose, wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für Professor Hawk einfielen.

James  Potter und die Rumtreiber - Der geheime PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt