(19) Zukunftsscherben

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Moira

Summend stapelte Wilfriede weitere Schalen zu gefährlich hohen, sich instabil windenden Konstrukten auf. Ihr Bruder und Astrid lehnten auf strohgefüllten Stoffmatten, ab und an zuckten ihre Lider. Meine Vermutung war richtig gewesen, bald ließ die Wirkung gänzlich nach und dann-
Ja, was dann? Ich musste Astrid erklären, dass sie weiterhin leiden würde, nach wie vor in der ihr so brutal zutragenden Welt klebte. Weil ich das festgelegt hatte. Mir in Größenwahn diese Entscheidungsmacht genommen hatte, ohne auf den Rest zu achten. Und direkt im Anschluss durfte ich allen feierlich ihr Verderben präsentieren, hervorgerufen durch meine grenzenlose Selbstüberschätzung. Ein toller Dank für die letzten Wochen, in denen ich sie in bester Manier vor den Kopf gestoßen hatte und doch immer irgendwie auf sie hatte zählen können.

Von Wilfrieds Gesicht wollte ich mir erst gar kein Bild machen. Jahrelange Vorbereitungen- vergebens.
Verschwendet an einen Kampf, den wir bereits verloren hatten.
Weil Selma zum ersten Mal falsch gelegen hatte. Kompromisslos falsch. Und ich hatte ihr den Grund dafür geliefert.

Was hatte ich ihnen vorhin sagen wollen? Die Wahrheit? Oh ja, das wäre optimal gelaufen.
Übrigens, in spätestens zehn Tagen ist das hier schon wieder vergessen. Dann sind wir nämlich alle tot. Also, wie sieht's aus, feiern wir das?

Ich hätte mir viel früher Gedanken machen müssen, schon, als ich Tovens Schiff im Hafen Ankern gesehen hatte. Ts, ich hätte gar nicht erst davon ausgesehen sollen, sie raushalten zu können, ohne das seuchengeifernde Todesomen von Katze aus dem Sack zu lassen.

„Okay, ich habe das Geschirr umgestapelt, den Tisch abgewischt, dann Fischwein die Kräuterecke gezeigt, eure Namen gelernt, Tee gekocht, geangelt, mir daraufhin trockene Sachen angezogen, die Drachen mit dem Fisch gefüttert, beim Aufhängen der jetzt frisch gewaschenen Angelsachen einen definitiv geplanten Belastbarkeitstest bei dem komischen neuen Gerät durchgeführt,..."
Wilfriede verzog nachdenklich den Mund. Ihrem Gesichtsausdruck nach ging sie die letzten Stunden nochmals durch.
„Uhm, beim Haarekämmen den Kamm zerbrochen, irgendwem meine Steinsammlung gezeigt und schlussendlich doch den Abwasch gemacht.
Wilfried, du kannst jetzt wirklich aufwachen!"

Erwartungsvoll stemmte der Strubbelkopf seine Hände in die kaum als solche erkennbare Hüfte. Noch eine unschuldige Seele, die ich gewissenlos mit in die mir selbst gegrabene Grube riss.
Noch ein vor Lebensfreude sprühendes Augenpaar, dessen Feuer ich wie bei Astrid zu schwächlich glimmenden Kohlen zerstampfen würde. Zerstampfen musste, ehe es an den Hoffnungssäbeln zerbrach. Sonst nahm ich auch diese mit ins Grab. Und unerfüllte Hoffnungen waren schlimmer als die grausamste Wahrheit, vor allem, weil letztere so oder so ihren Weg fand.

Aber noch blieben mir ein paar Minuten. Noch waren sie nicht wach, noch hausten andere Sorgen in den Bewusstseinsnischen der Herumstehenden.
Noch sollte ich ihnen den Mut für die Zukunft lassen.

„FischBein. Mit ‚B'."
Abgelenkt auf seine Karten blickend nahm der blonde Wikinger nicht wahr, wie sich Rotzbakke großspurig an den Tisch lehnte und hinterhältig zu grinsen begann.
„Nene, Fischnase."
Empört stemmte der Gronkelreiter die Hände in die Seite. Die Karten waren vergessen.
„Bein!"
„Nase!"
„Bein!"
„Nase!"
„Fuß!"
„Auge!"
„Bein!"
„Zahn!"
„Nase!"
„Keule!"
Man musste nicht zu ihnen sehen, um sich bildhaft vorstellen zu können, wie die Zwillinge begeistert mit eiferten.
<Ich will gar nicht erst wissen, was hier los war, während wir geflogen sind.>

„Fischbeinnasefußaugezahnkeulennase? Wer soll sich das merken können?!"

<Ich auch nicht.>
„Nein, nur Fischbein."
„Hör nicht auf den Schwachkopf, der vergisst seinen eigenen Namen. Richtig ist Fischnase."
„Sag mal, warum tust du das?!"
„Warum tue ich was? Dir deinen Namen beibringen? Och, nach all den Jahren dachte ich mir, dass es langsam peinlich wird."
„Ich heiße Fischbein!"
„Eh-eh. Fischnase."

Sternenfluch - Segen der FinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt