Sternenfluch - Segen der Finsternis

(11) Wortgefechte

Heidrun

Lautlosigkeit war mir noch nie so tödlich vorgekommen.
Windfang spürte die Anspannung genauso wie ich, ihre Nüstern blähten sich beunruhigt auf, als wittere sie bereits, was bald kommen würde. Auch Schnüfflers Augen zuckten ständig nach hinten, wo Astrid sich in das Leder des Sattels meines Bruders krallte und kurz davor stand, einen ähnlich wutentbrannt-verzweifelt-traurigen und zugleich mordlustigen Schrei auszustoßen wie vor zwei Minuten in der Arena. Wirklich, ich hatte noch nie einen Menschen so schreien hören, und ich lebte auf der Berserkerinsel. Schreie gehörten so gut wie zum Alltag. Doch allein die Erinnerung an dieses Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut und ließ es kalt meinen Rücken hinablaufen.

Die einzige Person, die nicht zwischen Verwirrung, panischer Flucht und unkontrollierter Wut schwankte, war der reichlich selbstzufrieden dreinblickende Junge in den Krallen des schwarzen Drachens, der Ohnezahn ähnlich war, sich aber dennoch klar von ihm unterschied. Sein Lächeln verschwand nicht, bevor er bemerkte, dass ich ihn ansah, und auch dann nur unter größter Anstrengung.

Hm, irgendwo hatte ich diesen Drachen schonmal gesehen, genauso wie die Reiterin. Was war jetzt eigentlich mit ihr? War sie gut oder nicht? Wenn sie uns nicht mithilfe ihres Drachens, Schnüfflers und des Eruptodons befreit hätte, wären Astrid und ich ihr wahrscheinlich gleichzeitig an die Gurgel gegangen. Niemand verließ meine Freunde ohne triftigen Grund, erst recht nicht in solchen Situationen und erst recht niemand, der meinem Bruder blöd gekommen war! Aber nun? Sie hatte uns gerettet. Auf welcher Seite stand sie?

„Könntet ihr mir vielleicht mal erklären,"

Ach du großer Thor. Alles in Deckung!

„WAS IHR HIRNVERBRANNTEN WELTVERBESSERER DA ZU SUCHEN HATTET?! WAS IST BITTE SO UNVORSTELLBAR SCHWER DARAN, EINFACH NACH BERK ZURÜCKZUFLIEGEN UND WEITERZULEBEN?! WIESO KÖNNT IHR NICHT EIN EINZIGES MAL EUREN HELDENMUT VERGESSEN? ZUM HINKENDEN WECHSELFLÜGLER NOCHMAL, ICH HABE EUCH DOCH NICHT VERLASSEN, DAMIT IHR BEI DER NÄCHSTBESTEN GELEGENHEIT DRAUFGEHT! WAS IST DARAN SO SCHWER ZU VERSTEHEN?"

„Was daran so schwer zu verstehen ist? Was daran so schwer zu verstehen ist?! Oh, dann hör' mir jetzt mal gut zu! ES IST MITTEN IN DER NACHT, DU VERSCHWINDEST WORTLOS UND DURCH PUREN ZUFALL WIRD EINE BASIS GENAU DANN ZERSTÖRT, ALS WIR DIE MEISTEN DRACHENJÄGER ABLENKEN, DAS IST SO SCHWER ZU VERSTEHEN! DU BENUTZT UNS, STURMPFEIL STIRBT UND DANN HUCH! DA IST SIE AUF EINMAL WEG! SELBSTVERSTÄNDLICH OHNE JEDEN HINWEIS AUF IRGENDWAS, WIESO DENN AUCH?! SIND JA NUR DIE IDIOTEN VON NEBENAN, DIE MÜSSEN GAR NICHTS WISSEN!"

„DANN DARF ICH DICH WOHL DARAN ERINNERN, WER HIER UNBEDINGT WEM HELFEN WOLLTE?"

„WILLST DU DAMIT SAGEN, DASS ICH AN STURMPFEILS TOD SCHULD BIN, WEIL WIR DICH UNTERSTÜTZEN WOLLTEN?!"

„Ich will damit sagen, dass ich euch mit voller Absicht allein gelassen habe, WEIL ICH DACHTE, DASS IHR KLUG GENUG SEID, UM NACH BERK ZURÜCKZUKEHREN! ABER NEIN, WAS MACHT IHR? MITTEN IN DIE FÄNGE DER DRACHENJÄGER!"

„Kommt vielleicht davon, dass jeder Drachenjäger vertrauenserweckender ist als du!"

„Oh, super!"
Die schwarz gekleidete Reiterin klatschte in die Hände. Es klang ironisch, aber ich war mir nicht sicher, sie könnte es auch ernst meinen. Diese gruselige Maske irritierte mich. Ich war es gewohnt, Emotionen aus Gesichtern abzulesen, offensichtlich zu sehr. Bisher war mir das nicht aufgefallen, doch bisher hatte in meinem Umfeld auch kaum jemand eine Maske aufgehabt, die das gesamte Gesicht bedeckte. Mist, das war suboptimal. In Zukunft werde ich definitiv mehr auf Betonungen und sonstige Körperhaltung achten, keine Frage. Diese Unsicherheit war schrecklich! Sie könnte im nächsten Moment auf uns losgehen, ich würde es nicht kommen sehen. Jedenfalls nicht eindeutig.
„Dann seid ihr sogar freiwillig zu Toven gegangen, bravo. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie lebensmüde seid ihr eigentlich?!"