𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎

25: Mut.

Es ist heiß. Viel zu heiß, als dass man klar denken könnte. Die siedend heiße Luft schlägt uns in unsere Gesichter, der Schweiß perlt auf unseren Stirnen und auch meine Hände, die noch immer in Jakobs Haaren stecken, brennen. Ich will ihm sagen, dass er sich beruhigen, sich seiner Vergangenheit gegenüberstellen soll, aber bei dem eindringlichen Blick, den er auf seinen Zügen trägt, bekomme ich kein Wort raus. Er macht mich fertig, das weiß er und das nervt mich.

Ich wäre gerne nicht so durchschaubar.

„Ich wünschte wir wären allein, damit ich dir die Kleidung vom Leib reißen könnte." Seine Stimme ist eingetrocknet und rau. Er räuspert sich, ich grinse. „Ich würde es dir verbieten." Ich gebe ihm einen schwachen Kuss, eher ein Streifen unserer Lippen und er seufzt, da er genau weiß, worauf ich hinauswill. Vergangenheit, Henrike, das Übliche, aber das Richtige. Wie gesagt: Ich bin so durchschaubar, wie eine Fensterscheibe, nachdem Mama zum Frühlingsputz angesetzt hat.

„Du musst dich doch nur kurz mit ihr unterhalten", sage ich leise, „Es muss auch nicht unbedingt eine größere Konversation werden, aber das blöde Gefühl in dir drin wird dich nie loslassen, wenn du jetzt wieder wegrennst." Um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht wie er sich fühlt, wie denn auch, das weiß nur er allein. Und, dass er immer weiß, wie es mir gerade geht, zeigt wohl nur, dass er eine bessere Menschenkenntnis besitzt als ich. Man braucht sozialen Kontakt, um sowas zu entwickeln, und, mal abgesehen von den Freunden und Freundinnen meines Bruders, hatte ich das in den letzten Jahren kaum.

Aber meine Worte scheinen zu wirken, denn nach einigen, heißen, Momenten nickt er zaghaft. „Ich habe Angst", flüstert er mir leise entgegen, „Vor ihr, Lou. Vor ihr habe ich Angst."

Ich glaube nicht richtig gehört zu haben. Hat er gerade gesagt, dass er Angst hat? Jakob war für mich immer der einzige Mensch auf Erden, der vor nichts Angst zu haben scheint. Der mit einem wildfremden, totkranken Wrack nach Australien fliegt, obwohl er mit seinen eigenen Problemen, die allerdings einzig und allein in seinem Kopf herumschwirren, schon genug zu kämpfen hat. Das ist doch total hirnrissig von ihm! Sowas macht niemand, der Angst hat.

Aber anscheinend habe ich mich getäuscht, denn Jakobs Blick zeigt eindeutig die Furcht, die er in sich trägt.

„Naja", bringe ich ein wenig verwirrt hervor, „Dann sei mutig." Das ist wohl der schlechteste Tipp, den er je erhalten hat, aber der Einzige, der mir eingefallen ist. „Und wie stellst du dir das vor? Mut ist sich Risiken zu stellen ohne Angst zu haben. Ich habe Angst, große Angst, wie soll ich da mutig sein?" Seine Stimme zittert, er fängt an noch stärker zu schwitzten als sowieso schon und ich höre Henrikes Absätze über den Steinboden stöckeln.

Dann schüttle ich den Kopf.

„Mut ist sich Risiken zu stellen, obwohl man Angst hat. Wenn du vor nichts Angst hast kannst du auch nicht mutig sein, dann stellst du dich vor keine Herausforderungen."

Ich sehe, wie sich Jakobs Adamsapfel bewegt, als er tief schluckt und dann nickt. „Du hast wahrscheinlich recht."

Lächelnd nehme ich meine Hände aus seinen Haaren und wische die Nässe an meinen hellblauen Jeans Bermudashorts ab, während er seine von meiner Hüfte nimmt und tief durchatmet. „Kommst du jetzt endlich zur Vernunft, Baby-Jake?" Henrikes Schritte kommen näher, ihre Stimmer wird lauter und Jakob blasser. „Ich glaub ich muss kotzen", raunt er mir zu und tastet nach meiner Hand. „Unterdrücke es" rate ich ihm mit angespanntem Rücken.

Sie fällt ihm erneut um den Hals. Und erneut verkrampft Jakob sich und rührt sich kein Stück. „Ach komm, früher hast du immer um Umarmungen gebettelt, um meine Oberweite zu spüren!" plaudert sie los, als sie den dunkelblonden Jungen wieder aus ihren Fittichen lässt und diesem jegliche Farbe und Emotion aus dem Gesicht weicht. „Ich war 13", brummt er verärgert, „Mit 13 ist man dumm." Ich kann ihm nur zustimmen. Dass man mit 13 nur peinliche Sachen macht, ist ein ungeschriebenes Gesetz, das weiß doch jeder.