28: Paranoia.

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Lügen haben kurze Beine.

So sagt man das doch, oder? Ich hielt Sprichwörter immer für Humbug, Altweibergetratsche und etwas, was Eltern zu ihren Kindern sagen, um sie zu kleinen Engeln zu erziehen. Genau wie ‚Wenn du den Teller nicht leer isst, gibt es morgen schlechtes Wetter', auch totaler Schwachsinn.

Aber jetzt gerade schenke ich diesem Satz ein wenig Glauben. Ich fühle mich kurz, verdammt kurz, und das seitdem ich Jakob belogen und ihm eine alte Mär gesteckt habe. Meine Beine fühlen sich an wie schrumpfender Wackelpudding und das liegt heute ausnahmsweise nicht daran, dass Jakob meine Hand hält, die Sonne auf uns herab glüht und ich so gut wie keine Luft bekommen, sondern daran, dass wir heute auf Paula treffen werden und ich Jakob immer noch nichts von seiner möglichen Schwester erzählt habe.

In der dritten Klasse hatte ich acht Reitstunden, da eine meiner Ärztinnen meinte, das sei gut für meinen Rücken und die Lunge, und jeden Montag, wenn ich nach einer Stunde im Kreis reiten vom Pferd gestiegen bin, habe ich mich gefühlt wie jetzt. Klein, müde und meine Beine ganz kurz und zittrig. Es ist kein schönes Gefühl.

„Was ist los mit dir?"

Oh nein, jetzt wurde ich ertappt. Bestimmt ist seine Menschenkenntnis so groß, dass er mir von der Nasenspitze ablesen konnte, dass ich ihm etwas Großes verheimliche. Wahrscheinlich weiß er sogar was, weil ich viel zu durchschaubar bin. Eine saubere Fensterscheibe, aber nicht die, die Jakob mir gebaut und gezeigt hat, sondern eine ganz normale, langweilige, wie ich sie mein Leben lang kannte.

„Wieso redest du nicht? Ist dir nicht gut?"

Man sollte mich in die Hölle und nicht in den Himmel, auf den Mars schicken, wenn ich erstmal tot bin. Man sollte mich zerstückeln, verbrennen und in die Hölle werfen, dafür, dass ich den Jungen seit zwei Tagen krankhaft anlüge, der mich gerettet hat, als ich Auge um Auge mit dem Tod gerungen und beinahe frühzeitig verloren hatte.

Seit wann so morbide? Das hätte Timo mich jetzt gefragt, wüsste er, was in meinem Kopf vor sich geht. Aber er hätte recht, es bringt nichts mein Testament, in welchem auch steht wie ich beerdigt werden will, jetzt noch einmal umzuändern und aufzuschreiben, dass man mich bitte auf brutalste Weise bestattet.

„Hey, Lou, das ist unfair. Hab' ich dich heute Nacht getreten, oder warum ignorierst du mich?"

Ich seufze. „Ich habe nicht so gut geschlafen, es war irgendwie zu heiß" Wenn das so weiter geht, bin ich bis heute Nachmittag die beste Lügnerin Australiens, eingeschlossen dem Typen, der uns heute Morgen angequatscht hatte, ob wir denn die Zeitung von heute kaufen möchten, er aber nur die von vor zwei Wochen bei sich hatte.

Aber Jakob gibt sich mit einem zustimmenden Nicken zufrieden, schwingt unsere Arme ein wenig vor und zurück und bleibt schließlich stehen. „Ich beschließe, dass wir jetzt Essen gehen", er nickt bestimmt und schaut sich um. Wir stehen in der Innenstadt, im Zentrum Canberras, zwei Minuten von unserem Hotel entfernt.

Vor einer viertel Stunde sind wir einfach los, einfach in eine Richtung, mal hier, mal da abgebogen, bis wir schließlich wieder vor dem Hotel standen und im Kreis gelaufen waren. Danach hatten wir uns den Weg zum australischen Parlament zurechtgelegt, und rausgefunden, dass es nur zwei Straßen weiter, in einem riesigen Park, fast direkt gegenüber unseres Hotels, liegt.

Und jetzt will er Essen gehen? Nachdem wir noch nicht mal eine Sache besichtigt, sondern nur umhergeirrt sind? Naja, mir soll es recht sein, umso weniger laufen umso besser, der Wackelpudding meiner Beine wird auch durch die immer weiter ansteigende Temperatur nicht gerade viel fester.

Ich schaue mich weiter um, als wir losgehen und ein Restaurant suchen. Wieder erwische ich mich, wie ich mich bei jedem Mädchen, das ungefähr in Jakobs Alter ist, frage, ob das nun Paula ist. Heute Morgen hat sie mich erinnert, dass ich ihr schreiben soll, sobald wir unterwegs sind, was ich, wenn auch nicht ganz ohne inneren Kampf, brav getan habe. Gehen in die Innenstadt, Richtung Parlament, habe ich ihr geschrieben und es sofort bereut.

𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt