Eigentlich dachte ich, dass sterben einfach ist. Dass es schnell geht. Dass ich einfach einschlafe und nie wieder aufwache, das wär mir am liebsten. Doch leider geht es nicht so schnell.
Ich dachte es geht wie geboren werden, nur andersrum. Aber das stimmt nicht. Niemand weiß wie oder wann man stirbt. Niemand bringt einem in der Schule bei wie es ist zu sterben.
Man lernt es nicht in Filmen oder Büchern. Alle sagen immer: "Ich bin für dich da." doch selbst das ist gelogen. Wenn es ums sterben geht ist man auf sich allein gestellt.
Es ist traurig zu wissen, dass das Essen in der Speisekammer noch länger hier sein wird als ich.
Noch bin ich am Leben und trotzdem sterbe ich schon, es zieht sich einfach nur in die länge. Mein Herz wird jeden Tag ein klein bisschen schwächer und das merke ich auch.
Vor zwei Jahren konnte ich die Treppe zu meinem Zimmer noch nach oben rennen, jetzt bin ich schon kaputt wenn ich sie nur hoch krieche. Eigentlich ist jeder Schritt den ich mache zu viel weswegen ich auch die meiste Zeit in meinem Zimmer sitze und es nur zum duschen oder essen verlasse.
So wie jetzt gerade. Ich stehe im Bad und starre mein Spiegelbild an. Meine Rotblonden Haare sind dünn und strohig und hängen mir schlaff über die Schultern. Mama meint das kommt weil ich nie das Haus verlasse. Mein Spiegelbild funkelt mich mit Wasserblauen Augen an, aber nicht auf die Art als könnte man darin baden, toben und Spaß haben sondern so als würde man darin ertrinken.
Die Narbe welche von meiner linken Brust bis fast nach ganz unten zum Bauchnabel geht sieht aus wie ein Reisverschluss. Als könnte man mich aufmachen und sich darin verstecken. Und genau das tue ich. Ich verstecke mich, jedoch nicht vor der Wahrheit sondern vor den Leuten die die Wahrheit kennen, wie meine Familie.
Ich hasse es wenn ich nach unten zum essen gehe und sie mich mit bemitleidenden Blicken übersähen. Mittlerweile hat es sich gebessert aber wenn Oma zu besuch ist schaut sie mitleidig an und überhäuft mich mit Geschenken während sie sagt: "Ich weiß wie du dich fühlst Louisa."
Allein der Gedanke daran lässt mich bitter auflachen. Sie kann nicht wissen wie ich mich fühle. Niemand weiß das! Keiner hat eine Ahnung wie es ist jeden Moment einfach tot umfallen zu können. Sie alle haben noch so viel vor sich.
Ich werde als 17 jährige Jungfrau sterben ohne jemals einen Freund gehabt zu haben.
Das klopfen an der Badezimmertür reißt mich aus meinen Gedanken. "Ja?" Frage ich. "Louisa schatz beeilst du dich bitte? Wir bekommen gleich besuch."
Ich seufze. Ein alter Schulfreund meines Vaters kommt heute mit seiner Familie zu besuch. Ich hasse besuch. Meine Mutter will immer das perfekte Essen zaubern nur leider kann sie überhaupt nicht gut kochen.
"Ja Mama." Seufze ich und bücke mich um den BH vom Boden aufzuheben. "Ach und Louisa? Zieh bitte nicht wieder das dreckige T-Shirt und die Jogginghose an." "Ja is ja gut!" Meine ich genervt während ich meine Unterwäsche anziehe.
Als ich ihre sich entfernenden Schritte höre mache ich die Badtür auf und husche in mein Zimmer. Mein Blick fällt auf die Jogginghose und ich will schon danach greifen als mein kleiner Bruder Timo rein kommt.
"Kannst du nicht anklopfen??" Fahre ich ihn wütend an. "Wieso denn? Als ob in deinem Zimmer mal was unanständiges passieren würde!" Er grist mich an. "Ich soll nur sichergehen, dass du nicht die hässliche Jogginghose anziehst sondern das was Mama dir rausgelegt hat." Meinte er und deutet auf mein Bett.
Dort liegt eine weiße, luftige Bluse und eine Jeans Short. Ich seufze mal wieder und ziehe die Short an. Timo grinst und verschwindet. "Idiot" murmle ich und ziehe de Bluse über.
Seufzend betrachte ich mich im Spiegel. Ich bin dünn. Sehr dünn. Meine Gesichtsknochen kommen so deutlich zum vorschein, dass man meinen könnte alles was unter der dünnen und blassen Schicht Haut ist, sind Knochen.
Lange stehe ich einfach nur da und fahre mit meinen Fingern über das vernarbte Gewebe welches man sogar durch die Bluse spürt. Selbst meine Finger ähneln eher Streichhölzern.
Eigentlich kann ich froh sein, dass ich noch lebe denn die Ärzte hatten mir eigentlich nur noch drei monate gegeben. Das ist jetzt ungefähr sieben Monate her und siehe da, ich lebe immer noch.
Meine Mutter will mich die ganze Zeit dazu überreden noch was aus meinem Leben zu machen aber mein Leben ist sowieso bald vorbei also was soll ich noch groß draus machen? Als ich klein war wollte ich immer eine Prinzessin in einem riesigen gelben Schloss sein, mit ganz vielen Dienern und einem hübschen Prinzen.Mit ungefähr 13 hatte ich angefangen eine Weltreise zu planen. Ich wollte so viel von der Welt sehen.
Ich wollte in Ecuador auf der Schaukel von Banos schaukeln, in Hawaii den Stairway to heaven entlanglaufen und ein paar Tage in Santorin verbringen. Aber am meisten wollte ich nach Sydney in Australien. Generell war mein größter Wunsch einmal nach Australien zu können.
Was heißt war. Es IST mein größter Wunsch. Nur leider wird er nie in erfüllung gehen, da meine Eltern Flugangst haben und ich alleine nicht fliegen darf. Meine beste Freundin Alex muss fürs Abi lernen und sonst kenne ich niemanden der mit mir nach Australien fliegen würde.
Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Träumen. "LOUISA! TIMO! PAPAS FREUND IST GLEICH DA!! KOMMT RUNTER!"
Ich stöhne. Nichtmal Träumen kann man hier in Ruhe! Im Flur treffe ich Timo der auch nicht grade ein erfreutes Gesicht macht. Im Esszimmer angekommen bleibe ich erstaunt stehen und schnuppere.
"Wer hat gekocht?" Fragt Timo verwundert.
"Ich!" Meint Papa und grinst. "Nicht, dass Konrad und seine Familie mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen."
Timo und Papa lachen während Mama uns anfunkelt. "Ihr könnt froh sein, dass ihr was zu essen bekommt! Die Kinder in Afrika haben gar nichts zu essen!" Das ist mein Stichwort. Wenn sie mit den Kindern aus Afrika anfängt sollte man ganz schnell das Weite suchen.
Ich setze mich im Wohnzimmer auf unser Sofa und hole mein Handy aus meiner Hosentasche. Als ich es anschalte springt mir sofort eine Instagram benachrichtigung entgegen.
NEUER POST VON JAKOB KUHN
Schnell entsperre ich es und öffne Instagram. Als ich gerade auf sein Profil klicken möchte kommt mein Vater rein.
"Kommst du essen? Konrad ist da." Ich nicke und packe mein Handy weg bevor ich meinem Vater ins Esszimmer folge.
Am Tisch sitzt ein Mann, warscheinlich Konrad, und seine Frau. Ihr Name ist mir entflohen. beide lächlen mich freundlich an und da ich nicht unhöflich sein möchte erwiedere ich das lächeln auch wenn mir nicht nach lächeln zumute ist.
Ich setze mich auf meinen Stammplatz. Mein Vater macht es mir gleich.
"Unser Sohn verspätet sich etwas. Er hat noch was zu erledigen." Meint Konrad mit einem falschen lächeln. Wenn jemand weiß was ein falsches lächeln ist dann ich.
"Wir können mit dem essen ja schonmal anfangen." Meinte seine Frau ebenso falsch lächelnd.
Also luden wir uns alle was zu essen auf und begannen zu essen. Nach ein paar Minuten klingelt es an der Haustür. Meine mutter eilt zur Tür um sie zu öffnen.
Alles was man hört sind gedämpfte Stimmen die einander begrüßen. Als meine Mutter wieder das Esszimer betritt heben alle, bis auf mich, den Kopf um zur Tür zu schauen
Ich dagegen esse einfach weiter.
Als ich irgendwan den bösen blick meiner Mutter sehe hebe ich seufzend den Kopf und drehe mich mit vollem Mund zur Tür.
Ich reiße die Augen auf und halte für einen kurzen Moment die Luft an, weshalb ich mich an der Salatsoße verschlucke und mit einem kräftigen huster den ganzen Salat über en Tisch spucke.
Und das ausgerechnet vor ihm.
Bitte Voten ;)

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𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎
Teen FictionWattys Award Winner 2021 ⚠︎Achtung⚠︎ Dieses Buch ist noch nicht überarbeitet! Rechtschreib- Zeichen- Sinn- und Kontextfehler bitte ignorieren :) "Schickst du mir einen Brief vom Mars?" Er will belustigt klingen und doch sehe ich seine Augen glitzern...