26: Telefonate.

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Mir ist schlecht. Und heiß. Eine Mischung, die es nicht gerade einfacher macht, besser Luft zu bekommen. Das Fenster in der Beifahrertür ist halb geöffnet und ich lehne den Kopf ein Stück nach draußen, um wie ein Hund nach Luft zu hecheln. Vielleicht auch, um mich, im schlimmsten Fall, auf die Straße und nicht in das geliehene Auto zu übergeben. Mein Herz beschwert sich mit spitzen Stichen über die stickige Luft und mein Magen hüpft auf und ab, als freue er sich über die Säure, die dort durch die Gegend schwebt.

„Wie lange noch?" Frage ich Jakob gedämpft, während ich laut ausatme und mir die Haare zu einem wirren, orangenen Knoten zusammenzubinden. Meine Arme sind ganz schön braun geworden, stelle ich fest, als ich den Haargummi von meinem Handgelenk ziehe und um den Knödel wickele. Eigentlich ist mein ganzer Körper braun, jede Stelle, es hat mir nicht mal was ausgemacht mein Bikinioberteil einfach vor Jakob auszuziehen, schließlich kennt er mich und meinen Körper sowieso besser als jeder andere. Vielleicht sogar besser als ich?

Immerhin hat er gestern beim Duschen ein Muttermal am Anfang meines Steißbeines gefunden, das ich davor noch gar nicht kannte. Das zeugt doch von übermenschlichem Spürsinn, oder etwa nicht? Ich bin mir sicher, ich hätte wohl keinen kleinen braunen Fleck irgendwo auf seinem sowieso schon braun gebrannten Körper entdeckt. Und das nicht nur weil beides dieselbe Farbe trägt. Ich kann weder klare noch verschwommene Gedanken fassen, wenn er nur sein T-Shirt auszieht! Ob sich das irgendwann legt? Wenn, dann hoffentlich noch bevor ich sterbe.

„Noch zwei Stunden", beantwortet Jakob meine Frage und gähnt leise. Wir haben beide nicht viel geschlafen heute Nacht. „Sollen wir eine Pause machen?" Fragt er mich dann. Ich nicke, ich würde wirklich lieber in ein Gebüsch, als in das Mietauto spucken. Bei der nächsten Ausfahrt setzt er den Blinker und fährt von der Autobahn und das ohne jegliche Mühe, oder Angst. Ich komme noch immer nicht damit klar, dass man hier, in Australien, man ich kann es noch immer nicht fassen, auf der linken Straßenseite fährt. Jedes Mal habe ich das Gefühl gleich überfahren zu werden.

Ich strecke meine Beine durch, als das Auto steht und ich auf dem gepflasterten Gehweg, der neben der Straße angelegt wurde, stehe. Jakob sammelt ein paar australische Dollar aus dem Handschuhfach, bevor er „Musst du auch mal pissen?" durch einen trockenen Keks hindurch nuschelt, welchen er sich zuvor zwischen die Zähne geschoben hat. Ich lache leicht und nicke.

Es ist immer noch lustig, wie Jakob sich von einem verständnisvollen Erwachsenen in einen idiotischen Teenager verwandeln kann. Einfach so, auf Knopfdruck. Er nimmt meine Hand, wie er es immer tut, wenn wir nebeneinander laufen, als hätte er Angst mich in der Menge zu verlieren, dabei sind wir, neben einem großen Familien Van und einer Hand voll Lastwagen, die einzigen an dieser Raststätte. Ein Glück, denke ich grinsend, dann gibt es wenigstens keine Schlange vor der Toilette.

Jakob drückt mir mit den Worten „Sollte für ein Mal pullern reichen" zwei Dollar in die Hand und verschwindet dann nach rechts, wo es zu den Herrentoiletten geht. Ich hingegen bahne mir meinen Weg nach links, durch verschiedene Spieleautomaten sowie Souvenir- und Süßigkeitenständer, die wahllos und unbeachtet im Gang stehen, dem Schild ‚comfort station women' entgegen.

Ich schiebe einen Dollar in den Automaten vor den Klos und bekomme die Hälfte wieder. Schnell verschwinde ich in einer Kabine, dessen Wände vollgeschmiert mit Telefonnummern, Kaugummis und, soweit ich den australischen Slang verstehe, billigen Anmachsprüchen sind. „Naja", sage ich leise zu mir selbst, „Wenigstens sind die Toiletten recht sauber."

‚How to keep the comfort station clean!' steht auf einem Schild, welches an der Tür hängt, darunter in drei Schritten eine genaue Anweisung der Sauberhaltung der Toiletten. Viel kann man nicht lesen, da über das ganze Plakat Worte wie ‚Alf!', ‚Belt up!' oder ‚dill' geschmiert wurden, was übersetzt wohl Idiot, sei still und Trottel bedeutet.

𝐴𝑢𝑓 𝑀𝑖𝑐ℎ 𝑊𝑎𝑟𝑡𝑒𝑛 𝐷𝑖𝑒 𝑆𝑡𝑒𝑟𝑛𝑒 ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt