8. Das Tagebuch

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Stella verbrachte eine Weile auf der Terrasse in den Armen ihres Mannes, bis sie einmal richtig durchgeatmet und sich vollständig beruhigt hatte. Sie mochte die angenehme Wärme seiner Umarmung, doch sie musste sich nun aus ihr lösen, denn sie hatte noch etwa eine Stunde bevor sie ihren Nachtdienst antreten musste. Die Zeit wollte sie unbedingt dafür nutzen, um noch einmal mit Steve zu reden.

Sie ging durch die Küche ins Wohnzimmer und sah, dass Steve sich ein Buch aus dem Regal genommen hatte und darin las. Als er sie bemerkte, legte er das Buch sofort beiseite und sah sie an.

„Hast du noch mal ein bisschen Zeit für mich? Ich möchte dir gerne etwas zeigen."

„Ja, klar."

Sie lächelte freundlich. „Gut, dann komm mal mit."

Steve folgte ihr in ihr Arbeitszimmer. In dem kleinen Zimmer befanden sich an der einen Wand zwei Schreibtische. Der eine hatte eine normale Höhe und es stand ein Computer darauf. Der andere war etwas niedriger, sodass er für Kinder bequemer war und es waren Malsachen darauf abgestellt. An der gegenüberliegenden Wand standen ein kleines Sofa und ein Bücherregal.

Stella schloss die Tür und deutete auf das Sofa: „Nimm Platz."

Auf dem Boden hatte sie eine Aktenkiste vorbereitet und sie setzte sich im Schneidersitz daneben. Steve blickte neugierig die Kiste an.

„Ich wollte ja noch mal auf unser Gespräch von heute Morgen zurückkommen. Deswegen ist auch die Tür im Moment zu. Ich hoffe, das ist okay für dich?"

Steve nickte.

„Vom Bauchgefühl her hatte ich dir eigentlich schon längst geglaubt, bevor du mir die Geschichte erzählt hattest. Dass du dann ausgerechnet diese Geschichte gewählt hast, ist ein unglaublicher Zufall!"

Er schaute sie fragend an.

„Ich muss ein bisschen ausholen, um das zu erklären. Ich habe in Deutschland studiert und währenddessen eine Arbeit über das Thema >>Familientraumata infolge des 2. Weltkriegs<< verfasst."

Steve hörte weiterhin aufmerksam zu. „Worum geht es dabei?"

„Na ja, von einem Familientrauma sprechen wir, wenn zum Beispiel der Großvater im Krieg war und traumatisiert heimgekommen ist. Er hat dann vielleicht das Trinken angefangen oder seine Familie verprügelt. Die Kinder wachsen dann vielleicht auch mit einem Trauma auf. Sie trinken und prügeln sich dann ebenfalls und reichen das Ganze wiederum an ihre Kinder weiter. Das war jetzt ein eher prägnantes Beispiel. Oft ist es eher so, dass es etwas gibt, was die ganze Familie belastet und etwas Unausgesprochenes im Raum steht, wovon sich niemand in der Familie erklären kann, wo dies eigentlich her kommt. Eine Ursache dafür ist dass derjenige, der ursprünglich traumatisiert wurde, nie gelernt hat, damit umzugehen, und es stattdessen totschweigt."

„Okay"

„Während meiner Recherchen bin ich auf eine Familie gestoßen, bei der anscheinend das genaue Gegenteil passiert ist."

Stella öffnete jetzt die Kiste. Sie war mit Mappen vollgestopft, die mit unterschiedlichen Familiennamen beschriftet waren.

„Es handelt sich um die Familie von Anton Ziegler."

Sie zog eine der Mappen heraus und zeigte ihm die Beschriftung.

Sie öffnete nun die Mappe und blätterte, bis sie eine bestimmte Seite vor sich hatte.

„Er hatte mir die Geschichte zuerst in unserem Interview erzählt, aber seine Familie meinte, dass er wohl in seiner Demenz etwas durcheinanderbringe. Sie hatten aber sein Tagebuch von damals nicht gelesen. Diese Seiten hier sind Kopien aus dem Tagebuch. Und auf dieser Seite hier erzählt er genau die gleiche Geschichte wie du, nur aus seiner Perspektive."

Die Wege der Zeit (Avengers FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt