Der Raum, den ich betrete, ist dunkel. Lediglich das kleine Fenster fast an der Decke spendete Licht. Enge umfasste mich, da der Raum so aussah, als wäre er bloß einen Quadratmeter groß. Und er war kahl, unmöbliert. Von draußen sah er ganz anders aus. Liegt das daran, dass man nun auf der anderen Seite stand? So klein der Raum auch schien, es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis ich sie erreicht hatte. Trotz unserer Stimmen, saß sie unverändert da. Langsam kniete ich mich vor sie und stellte das Tablett ab. Dann nahm ich etwas Abstand zu ihr und wartete. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Ich hörte, wie Dr. Williams Luft holte, um etwas zu sagen, doch stattdessen sprach ich.
„Hey.“ Ich erwartete keine Reaktion, doch sie zuckte zusammen. Immerhin etwas.
„Du brauchst keine Angst haben. Ich will dir nichts tun.“ Meine Stimme war nicht mehr, als ein Flüstern. Und da hatte ich sie. Sie deutete an, ihren Kopf zu heben, ließ es jedoch.
„Ich hab dir Essen hergebracht. Toast und Butter, Marmelade und Aufschnitt. Sogar ein Ei. Wäre schade drum, wenn du es nicht essen würdest.“
Sie hob ihren Kopf an, schaute einige Sekunden auf das Essen. Leicht lächelnd erwartete ich, dass sie wieder ihre Position einnimmt, aber sie hob ihren Blick und schaute mich an. Ein kalter Schauer durchfuhr mich und ließ mich scharf einatmen. Die Augen des Mädchens, braun und so matt und trostlos, wie ich es nie gesehen hatte. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und ihre Wangenknochen traten stark aus ihrem mageren Gesicht hervor.
„Wer hat dir das angetan?“, hauchte ich, eher zu mir selbst.
„Ich hatte sie gewarnt, Mr. Payne“, hörte ich Dr. Williams hinter mir, woraufhin ich mich zu ihr drehte und sie bat, uns einen Moment alleine zu lassen. Ich musste meinen Charme und meine Überredenskunst einsetzen und konnte sie überzeugen, für fünf Minuten zu gehen. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, war es beinahe stockfinster. Trotz der Dunkelheit, sah ich ihre Augen, die mich fixierten. Es war auf irgendeine Art unangenehm, so angestarrt zu werden, dennoch fing ich mich und begann sie mit den banalsten Dingen vollzulabern.
Zunächst stellte ich mich ihr vor. Dann erzählte ich von Niall und warum ich hier war. Ich musste hin und wieder meinen Blick abwenden, weil mich ihr starrer Blick nervös machte. Nachdem ich ihr meine Lebensgeschichte erzählt hatte und sie mich wie eine Irre angestarrt hatte (ha! Welch Ironie), schob ich das Tablett, auf dem nur die Hälfte meiner genannten Dinge drauf lag, zuckte sie zusammen und rutschte zurück, sodass ihr Rücken an die Wand gedrückt wurde. Dabei wurde mir bewusst, dass die fünf Minuten schon längst vorbei sein mussten.
„Du solltest wirklich etwas essen“, sagte ich und nahm noch mehr Abstand zu ihr. Dabei schob ich das Tablett mit meinem Fuß näher zu ihr.
„Das Tablett ist harmlos und die Sachen darauf auch. Sie sind essbar“, sagte ich leise und wartete ihre Reaktion ab. Und tatsächlich. Sie streckte ihren dünnen Arm aus und griff mit ihren dürren Fingern nach einer Toastscheibe, die mit Schinken belegt war, führte es zu ihren trocknen, farblosen Lippen und biss vorsichtig ab. Sie kaute das winzige Stück, auf dem nicht einmal Wurst war lange und Schluckte dann. Sie nahm einen weiteren Bissen. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Ich beobachtete sie beim Essen. Sie sah beinahe so aus, wie ein siebenjähriges Mädchen. Als sie das Brot mit kleinen Bissen verspeist hatte, nahm sie sich den gelben Becher und spülte mit dem Wasser die Reste ihren Hals hinunter. Sie trank in einem Zug leer und stellte den Becher zurück auf das Tablett. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über ihren Mund. Plötzlich klatschte jemand hinter mir, was nicht nur das Mädchen zusammenzucken ließ, sondern auch mich. Ruckartig drehte ich mich zu Dr. Williams um, die Lächelnd im Türrahmen stand.

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Mute [*Abgeschlossen*]
Teen Fiction»Und man weiß nicht, was mit ihr ist?« »Sie spricht nicht.« © Neverland3r 2014