Nachdem ich aufgestanden war, ging ich ins Bad und duschte. Das warme Wasser trieb auch den letzten Tropfen Alkohol aus mir heraus und ich fühlte mich wie neu geboren. Mit einem Handtuch um die Hüften ging ich in die Küche und machte ein kleines Frühstück, bestehend aus Brot und Nutella. Ich wollte mich grade hinsetzen, als ich ein dumpfes Geräusch aus dem Schlafzimmer vernahm. Leicht besorgt machte ich mich auf dem Weg zu meinem besten Kumpel, der es doch tatsächlich geschafft hatte, aus dem Bett zu fallen. In der Decke eingewickelt schlummerte er weiter wie ein Baby. Leise lachend entfernte ich mich wieder von ihm, doch ich beschloss, mir doch etwas anzuziehen. Über meine feine Gänsehaut zog ich Boxer, Jogginghose und Hoodie. Niall wollte ich nicht wecken, er sollte seinen Rausch ausschlafen.
Zurück in der Küche aß ich zwei Brote mit Nutella und spülte alles mit Wasser runter. Mein Blick fiel auf die Uhr und ich beschloss, mich fertig zu machen, um zur Klinik zu fahren. Hoffentlich hatte Dr. Williams nichts dagegen, dass ich weiterhin kommen wollte. Nach einem Abstecher ins Bad, ging ich ins Schlafzimmer, wo Niall noch immer auf dem Boden lag und schnarchte. Schnell schlüpfte ich in Jeans und T-Shirt, danach fuhr ich mir einfach durch die Haare und verließ leise das muffige Zimmer. Hinter mir schloss ich die Tür, damit es für Niall dunkel war und er nicht aufwachte. Ich schnappte mir die Autoschlüssel und schrieb Niall noch einen Zettel, bevor ich aus dem Haus ging, damit er sich nicht wunderte.
Während der Fahrt ließ ich die CD durchlaufen, die Niall noch im Radio hatte und sang leise mit, insofern ich den Text kannte. Nach sieben Liedern fuhr ich auf den Parkplatz der Klinik und schaltete den Motor ab. Ich atmete tief durch und stieg dann aus. Im Laufe der Zeit war das riesig Gebäude gar nicht mehr so furchteinflößend wie am ersten Tag.
Nachdem ich den Wagen abgeschlossen hatte, ging ich mit schnellen Schritten zur hohen Eingangstür. Auch wenn ich nicht lange weg war, schaute ich mich um, ob sich etwas verändert hatte. Ich blieb kurz vor einem Bild hängen, das schon immer meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und betrachtete es. Aus irgendeinem Grund erinnerte es mich an das stumme Mädchen. Kalte, wilde Linien über dem gesamten Gemälde. Vorsichtig strich ich mit dem Zeigefinger eine der Linien nach, wurde jedoch von einer Stimme unterbrochen.
„Guten Tag, Liam." Lächelnd ging die Schwester an mir vorbei. Aus Schreck hatte ich den Finger von der Leinwand genommen und mich zu ihr gedreht. Die Schwester kicherte leise, als sie um die Ecke bog. Ich schaute ihr noch nach, bis sie nicht mehr zu sehen war, dann drehte ich mich wieder dem Bild zu. Es war von einem der Patienten gemalt worden, dessen Name ich nicht kannte. Vielleicht war er schon vor ein paar Jahren entlassen worden.
Ich studierte weiterhin die wilden Linien, in der Hoffnung, daraus schlau zu werden. krampfhaft versuchte ich es zu deuten und einen Weg zu finden, wie ich dem Mädchen zeigen konnte, dass sie keine Angst mehr haben braucht und sich mir anvertrauen kann. Ich spürte, wie meine Augenbraue zu zucken begann, weil ich so angestrengt auf das Bild starrte und es mir doch keine Lösung gab. Als ich endlich wieder blinzelte, brannten meine Augen leicht. Ich musste es einige Male wiederholen, bis ich die wirren Linien nicht mehr vor meinem inneren Auge sah. Seufzend fuhr ich mir durch die ungemachten Haare. Bemüht, einfach weiter zu gehen, ohne das Bild erneut anzusehen, setze ich meinen Weg fort. Weit kam ich jedoch nicht, da ich, kaum um die Ecke gegangen, beinahe in jemanden reinlief. Dr. Williams hielt den Atem an und blickte überrascht zu mir hoch.
„Liam? Was machst du denn hier? Ich dachte, deine Sozialstunden sind abgearbeitet", sagte sie, als sie ihre Stimme wiederfand.
„Sie haben Recht, aber das Mädchen geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Es muss doch etwas geben, was ihr helfen kann, wieder zu reden." Beim aussprechen meiner Worte merkte ich, wie verunsichert, verzweifelt ich klang. Es entlockte Dr. Williams ein Lächeln, welches jedoch gleich wieder erstarb.
„Die muss es geben, doch im Moment ist es schwer, an sie heranzukommen."
„Warum? Ist etwas passiert?" Erst als Dr. Williams meine Hände von ihren Schultern nahm, bemerke ich meine Anspannung. Entschuldigend zog ich sie zurück und blickte sie an.
„Was genau passiert ist, weiß ich nicht", sagte sie. Beim Betrachten ihres Gesichts fielen mir Falten auf. Nicht, dass sie alt war, es waren eher Sorgenfalten. Das Mädchen setzte ihr doch ganz schön zu, das konnte ich verstehen.
„Geht es ihr denn gut?", erkundigte ich mich, woraufhin sie nickte. Dann verwandelte sich das Nicken in Kopfschütteln.
„Ich kann es mir einfach nicht erklären", begann sie zu murmeln und strich sich ein paar Strähnen hinters Ohr, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatten.
„Bitte sagen Sie mir, was mit ihr ist", bat ich sie und nahm ihre leicht faltigen Hände in meine. In den paar Wochen, in denen ich hier arbeiten musste, haben wir ein gutes Verhältnis zueinander aufgebaut, freundschaftlich. Sie strich mit ihren Daumen über meine Handrücken, suchte in Gedanken nach den richtigen Worten.
„Sie hatte einen Rückfall, Liam."
***
yaay update :D
ja.. gestern und letzte Woche hats nicht geklappt, tut mir Leid. ♥
ich hoffe, es hat euch gefallen :)
Neverland3r xoxo
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Mute [*Abgeschlossen*]
Novela Juvenil»Und man weiß nicht, was mit ihr ist?« »Sie spricht nicht.« © Neverland3r 2014