Surya

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Es ist das erste Mal seit langem, dass ich mit einem Mädchen im Arm aufwachte. Die Wärme, die von ihr ausging, die Ruhe, war unvergleichlich mit all den anderen warmen Körpern. Sie war unvergleichlich. Anders. Wundervoll.

Ich musterte sie schlaftrunken. Ihre dunklen Haare waren auf dem gesamten Kissen verteilt, bildeten einen wirren Kranz um ihren Kopf. Ihre Augenlider zuckten hin und wieder – vermutlich träumte sie. Jeder ihrer Züge war vollkommen entspannt, ihre Lippen leicht geöffnet konnte ich ihren Atem hören. Leise und stetig. Eine Hand lag auf ihrem Bauch, während die andere zwischen uns lag. Ich hatte Angst, dass ich ihr womöglich wehtun könnte, weshalb ich etwas von ihr abrückte. Ein leises Brummen entwich ihrer Kehle und sie drehte sich ein wenig hin und her, bis sie sich schließlich auf die Seite fallen ließ und gegen meinen Hals atmete. Erneut schloss ich die Augen und genoss den stetigen, warmen Atem an meiner Haut. Niall würde mich auslachen, wenn ich so vor ihm reden würde. Das war mir im Moment aber egal. Sie war hier bei mir, in meinen Armen. Nachdem ich sie gerettet hatte.

Ich muss nochmal eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, lag sie nicht mehr mit dem Gesicht zu mir, sondern in der anderen Richtung. Ich spürte den Arm, der unter ihr lag, nicht mehr. Toll. Vorsichtig versuchte ich, meinen Arm unter ihr hervorzuziehen, ohne sie zu wecken, doch dann war es schon zu spät. Sie drehte ihren Kopf zu mir, die Augen leicht geöffnet. Wie süß. Ich hielt inne, erwiderte ihren Blick. Es schien, als würde die Zeit stillstehen. Ich glaubte, dass sie sogar den Atem anhielt, schließlich waren unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Nach einer Zeit lächelte ich verlegen und zog meinen Arm vorsichtig unter ihr hervor. Als sie dies realisierte, hob sie sich etwas hoch, damit ich es leichter hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass ihre Wangen glühten.

„Hast du gut geschlafen?", fragte ich, um so von der Peinlichkeit wegzukommen. Sie nickte nur. Vielleicht kriege ich sie heute zum reden. Auch ich nickte und stand auf. Als ich mich streckte, knackten einige meiner Rückenknochen. Eklig, aber es tat gut. Ich beobachtete mein Mädchen, wie auch sie sich streckte. Sobald sich unsere Blicke trafen, lächelte ich sie an, was sie etwas scheu erwiderte.

„Das Bad ist gleich hier raus links, wenn du dich frisch machen möchtest. Mein Kleiderschrank steht für dich offen, wenn du was brauchst", sagte ich, schnappte mir ein T-Shirt vom Stuhl und verließ mein Zimmer. Während des Gehens zog ich mir das Shirt über den Kopf und richtete es. Hinter mir vernahm ich die Tür zum Badezimmer. Sehr schön.

Ich suchte im Schrank nach Brot und fand es schließlich dort, wo bei uns niemals das Brot stand. Niall. Er kriegt es einfach nicht auf die Reihe. Ich überprüfte fix, ob es noch gut war, dann legte ich es auf den Tisch. Danach holte ich zwei Teller aus dem Schrank und stellte sie auf Platzdeckchen gegenüber. Aus dem Bad vernahm ich leises Rauschen, was bedeutete, dass sie duschen war. Während das Wasser im Hintergrund lief, deckte ich den Tisch zu Ende, dann nutzte ich die Gelegenheit, um in mein Zimmer zu gehen und mir was Vernünftiges anzuziehen. Grade, als ich das Bett machte, verstummte das Wasser im Bad. Ich beeilte mich, das Bett ordentlich zu machen, damit sie ein leeres Zimmer vorfand, wenn sie gleich hier rein kam. Nachdem die Bettdecke faltenfrei war, huschte ich zurück in die Küche, wo ich mir einen Kaffee aufsetzte. Durch das Summen des Automaten bekam ich gar nicht mit, dass mein Mädchen in die Küche trat. Erst, als sie den Stuhl zurückzog drehte ich mich um und begegnete ihrem Blick.

„Möchtest du was trinken?" Ich hob die dampfende Tasse vor meine Nase und sog dabei den herben Kaffeegeruch ein. „Kaffee? Tee? Oder Wasser?" Vielleicht bekam ich sie so zum reden, doch mal wieder falsch gedacht. Sie zeigte lediglich auf den Kühlschrank. Leise seufzend stellte ich die Tasse neben einen der Teller und öffnete den Kühlschrank.

„Na komm her", sagte ich und öffnete einen Arm. Etwas unsicher tapste sie zu mir und warf einen Blick in den Kühlschrank. Nach ein paar Sekunden deutete sie auf die Milch. Nickend nahm ich sie heraus und roch daran. Danach gab ich ihr die Tüte und schloss den Kühlschrank wieder. Gemeinsam setzten wir uns an den Tisch und frühstückten, leider in Stille. Als wir beide fertig waren, räumte ich ab und zu meinem Erstaunen half sie mir dabei. Nachdem ich den Tisch entkrümelt hatte, wandte ich mich an das Mädchen.

„Ich muss dich jetzt zurück in die Klinik bringen." Sofort schlich sich ein Schatten über ihr Gesicht. Ich gestehe, ich würde sie auch lieber bei mir behalten, doch ich hatte es Dr. Williams versprochen. Ihr Blick senkte sich zu ihren Füßen und trat von einem Bein aufs andere. Ich hielt es nicht länger aus und ging auf sie zu, legte sanft meine Arme um sie. Sofort schmiegte sie sich an meine Brust.

Ich weiß nicht, wie lange wir dort so standen, doch irgendwann löste ich mich von ihr und sah sie mitfühlend an.

„Dr. Williams macht sich sicherlich schon Sorgen um dich", sagte ich und strich ihr sanft mit dem Handrücken über die Wange. Sie gab nach und nickte schließlich.

Ich half ihr in eine Jacke von mir, danach schlüpfte ich in meine und ging mit ihr zusammen raus.

Es war ein milder Tag, leicht bewölkt und etwas windig. Wir gingen die Straße ein kleines Stück runter zu meinem Wagen, wo ich ihr die Tür aufhielt. Schnell stieg sie ein und schnallte sich an, während ich die Tür zuschlug und auf die andere Seite ging. Nachdem ich den Rückspiegel richtig eingestellt hatte, startete ich den Motor und fuhr zur Klinik.

Dr. Williams wartete bereits auf dem Parkplatz. Ihr Haar war etwas zerzaust; vermutlich hatte sie die halbe Nacht kein Auge zugetan. Ich manövrierte den Wagen geschickt in eine Parklücke und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Ich konnte Dr. Williams vom Seitenspiegel aus beobachten. Sie rührte sich nicht von der Stelle, schaute lediglich in Richtung des Wagens. Ich atmete tief durch und blickte dann zu meinem Mädchen, die mit ihren Fingern spielte. Ich legte vorsichtig meine Hand auf ihre und drückte sie sanft. Sie blickte auf und unsere Blicke trafen sich. Wir lächelten uns an. In mir drin kämpfte sich der Drang nach oben, meine Lippen auf ihre zu legen, doch ich unterdrückte den Impuls.

„Wir sollten aussteigen", flüsterte ich in den stillen Wagen hinein und entfernte mich von ihr, um auszusteigen. Sie tat es mir gleich und gemeinsam gingen wir zu Dr. Williams.

„Oh, Gott sei Dank! Sie ist wohl auf.", seufzte Dr. William und nahm mein Mädchen an die Hand. Sie war blass und krank vor Sorge. Das Mädchen schien etwas überfordert und stolperte von mir weg. Das hieß wohl jetzt, dass wir uns Leb wohl sagen. Dr. William bedankte sich bei mir mit einem Händedruck, den ich lächelnd erwiderte. Dann ging sie mit meinem Mädchen zum Gebäude. Ich blickte ihnen nach und wollte grade zu meinem Wagen gehen, als die beiden stehen blieben und das Mädchen auf mich zukam. Vor mir blieb sie stehen, sah mir tief in die Augen und sagte ein stilles „Danke". Sofort breitete sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus, welches sie erwiderte. Dann, völlig unvorbereitet, schlang sie ihre dürren Arme um meinen Hals und drückte sich an mich. Langsam schloss ich meine Arme um ihren zierlichen Körper und hielt sie fest. Mit geschlossenen Augen verlor ich für ein paar Momente jegliches Zeitgefühl. Als wir uns lösten, schauten wir einander wieder in die Augen.

„Versprichst du mir etwas? Vertraue Dr. Williams. Sag wenigstens ihr, was damals geschehen war, okay?" Ein Moment verstrich, ehe sie nickte. Dann wandte sie sich langsam von mir ab. „Und noch etwas. Verrat mir deinen Namen. Bitte." Sie hielt in der Bewegung inne, schien einen Augenblick lang nachzudenken und drehte sich schließlich wieder zu mir. Ihre Lippen bewegten sich. Sie sprach ihn aus. Tonlos. Ich konnte keine Lippen lesen, doch ihr Name begann mit M und endete mit A. Vielleicht würde ich ihn irgendwann noch erfahren. Mein Mädchen drehte sich um und ging zurück zu Dr. Williams. Jetzt schien sie bereit zu sein. Und ich würde auf sie warten.

***

Neverland3r xoxo

Mute [*Abgeschlossen*]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt