Wir schwiegen den Rest der Nacht. Mehrmals kam ein Arzt in das Zimmer und versuchte, uns nach Hause zu schicken, aber wir blieben standhaft.
Keiner von uns schlief in dieser Nacht und trotzdem waren wir nicht müde. Die Atmosphäre in der Intensivstation verhindern das einschlafen völlig. Man hat die Angst, nie wieder aufzuwachen, wie so viele Menschen in diesem und jedem anderen Krankenhaus.
Als der Morgen anbrach, rieben wir uns die Augen und streckten uns.
Colin stand auf und machte sich auf den Weg in die Cafeteria, um uns ein Frühstück zu kaufen. Wir alle hatten seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr gegessen.
Ich würde jetzt gerne erzählen, dass die nächste Stunde wie im Film gewesen war. Dass ich mich an ihr Bett gekniet und ihr geflüstert habe, wie sehr ich sie liebe und das ich für sie versuchen würde, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Aber das Leben ist kein Film.
Jessie erwachte, während Bradley auf der Toilette war und sich frisch machte, Colin nach einem Kaffee-Automaten suchte und ich die mir nur allzu bekannten Flure auf- und abtiegerte, weil mir die Enge der kleinen Kammer zu viel geworden war.
Nachdenklich blieb ich vor einer grauen Tür stehen. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass es die richtige war. Hier hatte ich gelegen, hier hatten die Jungs mich besucht und hier hatte ich verstanden, dass ich depressiv bin.
Einem unbändigbarem Zwang folgend, öffnete ich vorsichtig die Tür - und versteinerte, wo ich stand.
" Wir verlieren ihn, Leute!"
" Achtung! Weg! Und Schuss! "
" Noch einmal. "
" Geladen auf 180. "
"Achtung! Weg! Und Schuss! "
" Es bringt nichts. "
"Schwester! Beatmen!"
In dem Zimmer lag ein vielleicht 25-jähriger Mann, den die Ärzte vergeblich zu reanimieren versuchten. Schwere Blutergüsse an Armen und Beinen ließen auf einen Autounfall schließen.
Leise schloss ich die Tür wieder und trat zwei Schritte zur Seite, ans Fenster.
Es war seltsam. Hatte ich vor nur wenigen Tagen selbst versucht, mir das Leben zu nehmen, so empfand ich jetzt plötzlich dennoch keinen Neid auf den Sterbenden, weil er das Leben verlassen durfte, sondern Mitgefühl, weil er es verlassen musste ob er wollte oder nicht.
Nachdenklich strich über meine Handgelenke. Das war doch die große Frage, nicht wahr? War es ein Geschenk oder ein Fluch, diese Welt zu verlassen?
" Louis! Louis! ", erscholl plötzlich Colins Stimme und ich sah den Schauspieler auf mich zu rennen.
Sofort wirbelte ich um, auf das Schlimmste gefasst.
Aber Colin lächelte. Er lächelte breiter als die Milchstraße und seine Augen strahlten.
" Jessie ist aufgewacht. ", flüsterte er.
Noch während ich es hörte, begann ich zu rennen. Sie war wie ein Magnet und da sie jetzt wach war, zog sie mich wieder mit unsagbarer Intensität an.
Ich stürzte ins Zimmer, völlig außer Atem und verschwitzt, aber lächelnd.
Dieses Lächeln gefror relativ schnell auf meinen Lippen, als ich sah, was "aufgewacht" meinte.
Immer noch unter einem Berg von Kabeln und Schläuchen vergraben atmete Jessie schwer und man sah ihr die Schmerzen mehr als deutlich an.
Zum Reden zu schwach, zum Bewegen zu müde, blieb ihr nichts anderes übrig, als uns anzuschauen und mit ihren Blicken zu verfolgen.
Aber sie war nicht mehr im Koma und das war in diesem Moment das Wichtigste.
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Alles auf Null
FanficSie sahen mich an. Alle. " Du kannst dich also an nichts erinnern? ", fragte er. " Nein! Verdammt! ", rief ich aus und sie fixierten mich mit ihren Blicken. " Louis, du hast gestern Nacht versucht, dir das Leben zu nehmen! " Fassungslos starrte...