Kapitel 10 ~EveryTime I Cry~

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An das, was folgte, kann ich mich selbst kaum erinnern.
Ich war noch immer in diesem Tunnel gewesen. Dieser Tunnel, der nichts außer Panik an mich heran ließ.
Panik darüber, dass ich meinen besten Freund verloren hatte...
Dieses erstickende Gefühl, meine Tochter hilflos irgendwelchen fremden Bastarden ausgeliefert zu haben.
Sie war fort...
Meine Kleine war weg und ich hatte nichts tun können.
Ich hatte geschlafen...
Und jetzt war ich allein.
Sie war allein.
Völlig allein und hilflos.
Ich wusste nicht, ob Sam je wieder aufwachen würde oder ob ich meinen kleinen Engel jemals wohlauf wieder sehen würde...
Die Panik über diese absolute Hilflosigkeit und Unsicherheit war in jeden einzelnen Zentimeter meines Körpers gekrochen und hatte mich zunächst handlungsunfähig gemacht.

Ich habe keine Erklärung dafür, wie ich das trotzdem geschafft hatte aber irgendwie war es mir gelungen, Sams Wunde provisorisch mit meinem Oberteil zu verbinden und ihn mit Barneys Hilfe ins Haus zu buxieren.
Es war mir zwar ein Rätsel, wie ich es auf die Reihe bekommen hatte, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, weil ich mich eigentlich nur an diese zerstörerische, unbarmherzige Panik erinnern konnte, doch umso erleichterter war ich, dass ich es überhaupt wieder aus dem Wald heraus geschafft hatte.

Sobald ich völlig erschöpft die Tür hinter uns geschlossen hatte, rief ich mit zittrigen Händen Marlon an.
Denn Sam brauchte dringend einen Arzt. Ich wusste, dass es dafür eigentlich schon zu spät war, aber irgendwas musste ich doch tun...

Fragt mich nicht, wo ich plötzlich das Handy her hatte...
Vielleicht hatte Barney es mir gebracht... Keine Ahnung...

"Lyana? Was ist los?"
Ich brachte keine Worte hervor.
Ich konnte nur immer wieder schluchzen und wurde diese verdammte Panik einfach nicht mehr los.
"Beruhige dich! Du musst mir sagen, was los ist!"
"Sam", wimmerte ich, "überall Blut... Schuss..."
Ich fühlte mich völlig nutzlos.
Es war als hätte ich plötzlich eine Sprachstörung entwickelt.
Offenbar war ich nicht mal mehr im der Lage, ordentlich zu kommunizieren...
Ich hatte komplett die Kontrolle verloren...
Diese Erkenntnis ließ mich nun noch heftiger weinen, auch wenn ich nicht geglaubt hätte, dass das überhaupt möglich war.
Als mein Blick dann auch noch auf meine Beine fiel, was alles vorbei.
Besonders meine Füße waren mit unzähligen feinen Schnittwunden übersäht.
Die meisten waren nicht sehr tief aber der Anblick reichte für eine neue Panikattacke völlig aus.
Die Panik schnürte mir regelrecht die Luft ab.

"Lyana du hast einen Schock... Du musst dich irgendwie beruhigen... Und vergiss nicht zu atmen..."
Völlig überfordert schnappte ich nach Luft.
"Wie lange ist es her, dass Sam getroffen wurde?"
Ich suchte angestrengt nach irgendwelchen brauchbaren Informationen in meinem Gehirn, doch da war nichts. Und Zeitgefühl war mir zu diesem Zeitpunkt sowieso ein Fremdwort.
"Keine Ahnung...", schniefte ich hilflos und wieder war da dieses widerwärtige Gefühl der absoluten Nutzlosigkeit...
"Lyana...", Marlon stockte, "Ich weiß nicht, ob wir noch etwas für ihn tun können..."
Diese Worte trafen mich.
Genau davor hatte ich so große Angst gehabt. Ich wusste ja, dass Marlon Recht hatte, aber ich wollte Sams Tod einfach nicht wahr haben.
Das durfte einfach nicht sein...

"Du kommst jetzt sofort hier hin!!!!", keifte ich hysterisch, wurde dann jedoch etwas ruhiger.
„Bitte Marlon... Irgendwas müssen wir doch machen! Er darf nicht einfach tot sein! Nein!!!", schluchzte ich völlig aufgelöst und war nicht länger in der Lage, das Handy festzuhalten.
Es glitt mir einfach aus den blutigen Fingern und blieb bei meinen Füßen liegen.
"Okay Lyana, hör zu! Ich bin gleich bei dir. Bis dahin versuchst du bitte, dich zu beruhigen und passt auf, dass er nicht noch mehr Blut verliert. Es wird alles gut; ich bin bald da!"

Dann war Marlon verstummt.
Ich nahm all meine übrige Kraft zusammen und beruhigte mich immerhin so viel, dass ich wieder einigermaßen klar denken konnte.
Mein Blick fiel auf Sams Wunde und somit auch auf mein Tshirt, welches mittlerweile völlig blutdurchtränkt war.
Ich rappelte mich auf, um ein neues Stück Stoff zu holen und war froh, dass Barney da war, um mich wenigstens halbwegs aufzufangen, nachdem der Versuch aufzustehen missglückt war.
Ich krabbelte also zur Garderobe, zog mich umständlich daran hoch und schnappte mir eine Stoffweste, um Sams Wunde erneut relativ planlos zu verbinden.

Dann hieß es warten.
Ich konnte ansonsten nichts tun.
Gar nichts.
Ich saß einfach nur da und mein völlig leerer Blick lag auf dem bewegungslosen Sam.
Leer.
So fühlte ich mich.
Da schien in diesem Moment nichts mehr zu sein.
Ich war nicht mal in der Lage weiter zu weinen.
Ich existierte einfach nur und musste mich gelegentlich selbst ans Atmen erinnern...

Erst als die Tür geöffnet wurde, zuckte ich vor Schreck zusammen und bewegte meinen Kopf in Richtung des Geräusches.
Da stand ein deutlich angespannter Marlon mit Arzttasche in der Hand, dessen Gesichtsausdruck sich bei Sams und meinem Anblick nicht unbedingt entspannte.
Im Gegenteil...
Marlon rannte sofort auf uns zu und ließ sich auf die Knie fallen.
Dann riss er sich seine Jacke regelrecht vom Körper und legte sie mir um.
"Zieh die an! Du bist ja völlig unterkühlt!", befahl er streng und wie im Zeitlupe ging ich diesem Befehl nach.
Ich hatte die Kälte überhaupt nicht bemerkt...
Sie wäre mir auch egal gewesen.
Sam war wichtiger.
Trotzdem kuschelte ich mich jetzt dankbar in Marlons Jacke, da der warme Stoff auf meiner Haut mit zeigte, wie kalt mir tatsächlich war.

Marlon hatte sich Sam zugewandt, doch plötzlich flog sein eindringlicher Blick wieder zu mir.
"Er hat sehr viel Blut verloren... Ich würde es gerne mit einer Transfusion versuchen...", erklärte Marlon.
Ich nickte zögernd, wusste mit der Information allerdings in meinem Zustand nicht viel anzufangen.
"Lyana, wärst du bereit, Sam etwas Blut zu spenden? Mein Blut würde ihm nur weiter schaden, aber du bist null negativ und kannst somit jedem Blut spenden...", meinte Marlon und schaute mich abwartend an.
Die Tatsache, dass er über meine Blutgruppe besser Bescheid wusste als ich selbst, ließ ich einfach mal so im Raum stehen.
"Okay...", murmelte ich.
Ich wollte Sam natürlich auf jeden Fall helfen, aber gleichzeitig hatte ich riesigen Respekt davor, weil ich absolut keine Ahnung hatte, wie so eine Blutspende funktioniert.


Hello ihr treuen Seelen!
Hier ein neues Kapitel für euch.
Ich hoffe, es gefällt euch.
Ab jetzt versuche ich wieder, wöchentlich ein Kapitel hochzuladen.
Bis dahin frohes Lesen! 🌹

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