Kapitel 11 ~Stay~

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Langsam aber sicher wachte ich aus meinem unruhigen Schlaf auf.
Was war nur passiert?
Erschöpft öffnete ich die Augen und schaute mich um.
Die Blätter der Bäume bewegten sich heftig im Wind und es war einer der ersten Tage, an dem mich kein Sonnenstrahl begrüßte.
Der Sommer war vorbei...

Ich lag in meinem Bett.
Ich fühlte mich unfassbar erschöpft.
Fast schon so, als wäre von all meiner Kraft nichts mehr übrig.

Marlon musste mich wohl hierher getragen haben...
Und damit fiel mir auch Sam wieder ein.
Schlagartig schlug ich die Bettdecke weg, um aufzustehen und wunderte mich über die Schmerzen in meinem rechten Arm.
Dort befand sich ein schneeweißer Verband an meiner Armbeuge.
Die Blutspende...
Auch meine Füße hatte Marlon verbunden, sodass ich die vielen Schnittwunden nicht mehr sehen musste.

Langsam stand ich auf und musste erst einmal meinen Schwindel in den Griff bekommen, bevor ich es schließlich zur Tür schaffte.
Im Haus herrschte wieder diese erstickende, ungewohnte Stille.
Genau wie heute morgen...
Sofort merkte ich, wie die verhasste Panik wieder auszubrechen versuchte, doch diesmal würde ich mich beherrschen.
"Marlon?", rief ich und meine Stimme klang noch zittriger als erwartet.
Auch meine Beine begannen zu zittern und ich ließ mich am Geländer hinunter auf den Boden gleiten, um nicht mein Gleichgewicht zu verlieren.
"Marlon?", versuchte ich es nochmal und meine Stimme war nur noch ein erbärmliches Wimmern.
Ich fühlte mich unfassbar schwach und erschöpft.
Mein Körper wollte nicht mehr so, wie ich.
Ich hatte scheinbar keine Energie mehr übrig und musste mich wirklich aufs Atmen konzentrieren und darauf, wach zu bleiben.

"Lyana, was machst du denn hier? Du solltest doch im Bett bleiben! Du musst dich ausruhen! Du bist zu schwach, um einfach hier herumzuspazieren!", riss mich Marlons besorgte und gleichzeitig tadelnde Stimme aus meinem tranceähnlichen Zustand.
Bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte Marlon mich hochgehoben und brachte mich nun zurück ins Bett.
"Wo ist Sam? Geht es ihm gut?", murmelte ich mit flatternden Augenlidern.
"Er ist unten im Krankenzimmer... Sein Zustand hat sich nicht verbessert. Es tut mir leid, Lyana. Ich weiß nicht, ob die Menge Blut, die ich dir abgenommen habe, ausreicht... Aber mehr konnte ich nicht nehmen, du bist mir ja so schon weggeknickt...", erklärte Marlon und ich merkte, wie verzweifelt er war.
"Also ist es meine Schuld, dass Sam tot ist?", murmelte ich mir leerem Blick.
"Scheiße Lyana, nein! Sowas darfst du nicht denken! Sam wäre dir mehr als dankbar! Du hättest nicht mehr tun können!", unterbrach Marlon mich sofort und schaute mich vielsagend an.
Ich nickte langsam.
Dann spürte ich, wie mich Kissen und Decke wieder warm und weich empfingen.
"Und jetzt bleib bitte hier liegen. Du solltest dich schonen. Ich muss nochmal nach Sam sehen...", verabschiedete sich der Arzt bedrückt und ließ mich wieder allein.

Fast schon unbewusst fiel mein Blick auf mein Handy und ich griff automatisch danach.
Ich musste Brandon anrufen.
Gedankenverloren suchte ich seinen Kontakt und ließ das Handy wählen...
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis etwas passierte, doch dann war da endlich seine Stimme.
"Prinzessin? Ist etwas passiert?"
Ich schluchzte.
"Hey... Rede mit mir... Was ist denn los?", ertönte die so geliebte aber sehr besorgte Stimme aus dem kleinen rechteckigen Gerät.
"Esmira wurde entführt...", erzählte ich unter Tränen und plötzlich brach diese schreckliche Erkenntnis erst richtig über mich herein.
Die Sorge um Sam, meine hoffnungslose Überforderung und das gesamte Chaos der Situation hatten mich das Verschwinden meiner Tochter halbwegs verdrängen lassen.
Doch nun, da ich es ausgesprochen hatte, traf es mich umso heftiger.
Mein kleiner Engel war mir entrissen worden, und ich hatte sie nicht beschützt.
Ich hatte ihr nicht helfen können...
Sie musste eine furchtbare Angst haben und wer wusste schon, was diese schrecklichen Menschen mit ihr anstellen würden...

"Prinzessin, beruhige dich! Atme!", kam es besorgt aus dem Handy.
Erst jetzt bemerkte ich meinen Heulkrampf und versuchte panisch, wieder ein wenig Sauerstoff in meine Lungen zu bekommen.
"Ich werde sie holen!", meinte ich selbstsicher, während der Heulkrampf langsam abebbte.
"Du wirst nirgendwo hingehen!", kam es sofort zurück. Trotz des Befehlstons konnte ich die Unruhe in Brandons Stimme hören: "Du bleibst schön in der Villa, Prinzessin. Sam wird auf dich aufpassen!"
"Nein das wird er nicht!", kreischte ich schrill und musste wieder mit den Tränen kämpfen.
"Natürlich wird er das!"
"Sam ist tot...", murmelte ich kraftlos und war mir sicher, dass meine Stimme kaum zu hören war...

Es dauerte, bis Brandon darauf antworten konnte.
Es dauerte verdammt lange und in dieser Zeit tränkte ich das Kopfkissen immer mehr mit meinen stummen Tränen.
„Es tut mir so leid...", murmelte ich immer wieder kaum hörbar.
Ich fühlte mich so schuldig und gleichzeitig so machtlos.
Wieso hatte ich diese schrecklichen Ereignisse nicht verhindern können?
Hätte ich doch nur besser aufgepasst...
Wäre ich doch nur stärker, vielleicht hätte ich dann wenigstens Sam retten können...
Meinen besten Freund...
Brandons besten Freund...
Den engsten Vertrauten meiner Tochter...
Und jetzt hatten wir ihn verloren.
Wir hatten ihn verloren, weil er immer nur versucht hatte, uns zu beschützen.
Er hatte nie an sich selbst gedacht, hatte nie etwas hinterfragt, hätte einfach alles für uns getan...
Aber das hier hatte er nicht verdient...

Wieso war Brandon jetzt nicht bei mir?
Ich hätte mich so gerne an ihn gekuschelt, hätte versucht, bei ihm neue Kraft zu tanken, hätte mich für einen kurzen Moment sicher gefühlt.
Doch Brandon war nicht hier...

„Prinzessin..."
Ich erschrak fast vor dieser zittrigen Stimme. So hatte ich Brandon noch nie gehört...
„Bist du in Sicherheit?"
„Mir geht es gut Brandon"
Okay das war gelogen...
„Mir ist nichts passiert, aber ich weiß nicht, was ich machen soll... Es ist alles so schrecklich! Kannst du nicht zu mir kommen? Ich brauche dich, Brandon!", murmelte ich verzweifelt und noch immer war die letzte Träne nicht geflossen.
„Ist ja gut, Prinzessin, ich komme so schnell ich kann. Ich möchte nicht, dass du jetzt alleine bist!", kam es sofort als Antwort und ich schluchzte erleichtert auf.
„Marlon ist hier...", fiel mir noch ein.
„Das ist gut, er wird sich um dich kümmern, bis ich bei dir bin. Es wird alles wieder gut, Prinzessin, dir wird nichts passieren!", versicherte mir Brandon.
„Aber Esmira darf auch nichts passieren!", rief ich verzweifelt und versuchte nichtmal, den neuen Tränenschwall zurückzuhalten.
„Ich kümmere mich darum, Prinzessin! Darum solltest du dir keine Sorgen machen. Ich schicke meine Leute!", erklärte Brandon doch das reichte mir nicht.
Meine Tochter war irgendwo da draußen. Völlig alleine.
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wozu diese ekelhaften Carriords im Stande waren...
„Das dauert alles zu lange! Ich werde sie suchen! Ich rette unseren kleinen Engel! Gib mir ne Knarre! Niemand nimmt mir meine Tochter!!!", meinte ich entschlossen und schlug die Decke von meinem Körper herunter.
„Du gehst nirgendwo hin!", donnerte es aus dem Handy, „Lyana du bleibst wo du bist! Du wirst dich nicht in Gefahr begeben, hast du das verstanden?! Es ist schon genug passiert; ich will, dass wenigstens du in Sicherheit bist!"

Ich werde nun wieder wöchentlich ein neues Kapitel hochladen.
Ich hoffe, ihr freut euch!

Was denkt ihr, wie geht es mit Lyana und Esmira weiter?

Grüße an alle!👋

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