Kapitel 26 ~Wake Up~

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„Boss, sie ist schon zu schwach", mischte sich plötzlich Marcel in die Situation ein, was mich verwundert aufblicken ließ.
Noch immer wich sein Blick mir aus.
Seine Stimme klang keinesfalls fest.
Er klang viel mehr kleinlaut und man konnte spüren, dass er es sich lange überlegt hatte und mit sich selbst ringen musste, ob er sich tatsächlich zu Wort melden sollte.
„Ich denke, das kann ich selbst entscheiden. Ich habe nicht nach deiner Meinung gefragt", knurrte Rael hinter mir und damit war Marcel auch wieder still.
Sein Blick heftete sich fest auf den Fußboden und er rührte sich nicht mehr.
Er war sichtlich angespannt, sein linker kleiner Finger zuckte nervös und doch war seine Körperhaltung so unterwürfig, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte.

Was war nur aus ihm geworden?
Früher hätte er mich mit allen Mitteln beschützt.
Er war immer so vorlaut gewesen -selbst Brandon gegenüber. Von seinen Machtspielchen war Marcel immer völlig unbeeindruckt gewesen.
Ich hatte ihn für seine Trotzigkeit immer bewundert, auch wenn sie mehr als einmal fehl am Platz war.
Ich hatte seine Übermut in den letzten Jahren wirklich vermisst und mich eigentlich gefreut, ihn wiederzusehen, doch die Zeit bei Wayne schien ihn völlig zerstört zu haben.
Oder hatte ich vielleicht sogar etwas damit zu tun?
War es meine Schuld, dass sein Stolz, der mich immer verwundert hatte, verloren schien?
Wo war diese Überzeugung von sich selbst geblieben?

Wie konnte er so etwas nur zulassen?
Ich hatte immer geglaubt, ihm läge wirklich etwas an mir.
Hatte sogar vor ein paar Jahren den abwegigen Gedanken beiseite geschoben, ob ich mich nicht vielleicht sogar in ihn verliebt hätte, wenn ihn früher hätte kennenlernen können.
Wie konnte er dann zulassen, dass dieses Monster mir so viel Leid zufügte?
Er war neben Sam mein bester Freund gewesen und nun hatte ich sie beide verloren...

„Was haben wir denn hier?", riss mich Raels Stimme aus meinem Gedanken.
Mit einem Ruck hatte er mein sowieso schon mitgenommenes Tshirt noch weiter zerrissen und ich zuckte zusammen.
Er schob den Stofffetzen zur Seite und legte meine Schulter frei.

„ Ist das Blackeyls Wappen? Damit hat er dich markiert, Babe? Ich muss schon sagen, die Idee gefällt mir. Aber da du hier nie wieder rauskommen wirst, musst du auch sein Zeichen nicht mehr tragen...", säuselte dieses Monster mir direkt ins Ohr und im nächsten Moment bohrte sich sein Messer in meine Schulter.
Ich schrie vor Schmerz auf, doch hatte mich meiner Tochter zuliebe relativ schnell wieder im Griff.
Als ich hörte, wie meine Tochter aufschluchzte und sah, wie sie ihr Gesicht weinend in Marcels Hosenbein vergrub, zerriss es mir das Herz.
Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ein Mensch so viel mentalen und körperlichen Schmerz gleichzeitig spüren könnte...

„Hör auf", hauchte ich kaum hörbar, doch der Schmerz ließ nicht nach.
„Hör auf!", schrie ich mit einer Kraft, von der ich selbst nicht wusste, wo sie plötzlich herkam, „ich sage dir, was ich weiß, aber bitte bring sie hier raus!"

„Wieso sollte ich? Wenn du mir die Wahrheit sagst, hast du nichts zu befürchten, da kann sie auch hierbleiben", meinte Rael kalt und erschien nun wieder in meinem Blickfeld.

„Ich werde nichts sagen, solange sie hier ist! Ich möchte, dass Marcel sie in Sicherheit bringt!", forderte ich energisch.
„Sie ist hier überall in Sicherheit, solange zu keine Dummheiten machst, Babe! Hast du das etwa immernoch nicht verstanden? Sie war nie mein Ziel; du warst es von Anfang an. Sie ist einfach nur der perfekte Köder. Eltern tun unüberlegte Dinge, um ihre Kinder zu beschützen und du warst dumm genug, allein hierher zu kommen. Du hättest es mir wirklich nicht einfacher machen können."

Raels Worte trafen mich unglaublich tief im Inneren.
Warum hatte ich das nie gesehen?
Er war schon seit Jahren nur hinter mir her und nun hatte er mit Mira das perfekte Druckmittel gefunden.
Aber diese Erkenntnis weckte etwas in mir auf.
Vielleicht könnte ich seine Spielzüge doch irgendwie gegen ihn anwenden.
Ich müsste nur konzentriert sein und mich geschickt anstellen.

„Sie hat genug gesehen. Ich werde nichts sagen, solange sie hier ist!", legte ich also selbstbewusst nach; meine innere Stimme hatte mich aufgeweckt.
Ich wollte mich wenigstens in diesem Punkt gegen diesen Bastard durchsetzen, koste es, was es wolle.
Rael schien über seinen nächsten Spielzug nachzudenken.
Mit einer blitzschnellen Bewegung war er wieder bei mir und hatte das, was noch von meinem Tshirt übrig geblieben war, komplett mit dem Messer zerschnitten und der Stoff fiel schlaff auf den Boden.

Nun fühlte ich mich diesem Monster erst recht hilflos ausgeliefert. Ich hasste es, wie seine Blicke meinen Oberkörper regelrecht abscannten und ich ihn keines Wegs vor dieser Gier schützen konnte.
Meine Abscheu ihm gegenüber wurde noch größer als ich sah, wie ein bisher ungeahntes Glänzen in seinen sonst so eiskalten Augen aufflammte und seine Mundwinkel einige Millimeter nach oben zuckten.

Auch Marcels Blick war nicht länger abgewandt sondern auch seine Augen waren nun auf all die nakte Haut gerichtet, die das Tshirt freigegeben hatte.
Das gab mir wirklich den Rest.
Hatte er denn gar keinen Respekt mehr vor mir?
Mir war natürlich klar, dass er auf mich stand und das schon seit so vielen Jahren, aber in diesem Moment hätte ich ihm am liebsten nochmal in die Eier getreten.
Und das hätte bei dem Ständer, der sich durch seine Hose abzeichnete, wohl richtig wehgetan.
Hatte er sich denn wirklich gar nicht im Griff?!

„Mira geh sofort weg da", befahl ich meiner Tochter streng und sie machte zu meiner kurzen Erleichterung tatsächlich verwirrt einen Schritt von Marcel weg.
Von Sams kleinen Bruder war ich trotzdem mehr als schockiert; ich ekelte mich fast schon vor ihm.

„Okay Marcel, du kannst die Kleine jetzt rausbringen", meinte Rael und sein heimtückisches Lächeln war mir gegenüber provozierender denn je.

„Fass sie nicht an!", zischte ich drohend.
Mein Blick fixierte sein erbärmliches Dasein und ich entwickelte Gefühle, zu denen das nette, naive Mädchen vor einigen Jahren nicht in der Lage gewesen wäre.
Sie hätte dafür nicht einmal ansatzweise beschreibende Worte gefunden.

„Komm Mira, wir gehen", meinte Marcel in einer Tonlage, die ein unfassbar breites Emotionsspektrum transportierte und Mira folgte ihm tatsächlich mehr oder weniger freiwillig aus dem Raum.

Sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, fiel all meine Kraft wieder von mir ab und ich ließ den Tränen freien Lauf.

„Du hast mir etwas zu sagen, Babe", erinnerte mich Rael und zwang mich mit dem Messer an meiner Kehle, ihn anzusehen.
Wach auf!
„Stimmerkennung", murmelte ich nur, denn ich hatte einen Plan.
„Das kann niemals der einzige Weg sein. Du hast doch sicher ein Passwort für mich, oder?", kam es sofort zurück.
Ich schüttelte nur wortlos den Kopf.
Ebenfalls wortlos zog er mir das erste Messer aus dem Bein.
Fuck das hatte ich schon fast wieder vergessen.
Ich spürte, wie immer mehr Blut aus der Wunde quoll und die Schmerzen langsam überhand nahmen.
Sie waren mittlerweile so stark, dass ich Mühe hatte, die Augen offen zu halten.
Alles wirkte bereits verschwommen, mein Blick vernebelte sich immer weiter.
Mein Körper zeigte mir mit allen Mitteln, dass er nicht mehr konnte, dass es langsam zu viel wurde.

„Ich weiß keine Passwörter!", schrie ich panisch, als der Spanier zum nächsten Stoß ansetzte, „sie werden regelmäßig gewechselt und ich komme nur mit meiner Stimme überall hin"

„Du verarschst mich doch!", kam es wütend zurück, „du willst nur, dass ich dich zu einer Lagerhalle Schleppe, damit du da abhauen kannst. Das kannst du vergessen!"
Ich wusste genau, dass er langsam mit seiner Geduld am Ende war.
Er war so viel Widerstand von einem vermeintlich schwachen Mädchen nicht gewöhnt.

„Ich habe keine anderen Informationen", log ich.
„Was ist mit Fingerabdrücken? Einen Finger von dir kann ich mir ausleihen, ohne dass du diese Festung verlassen musst...", wollte Rael wissen und in seinen Augen lag die Freude über meinen verängstigten und angeekelten Gesichtsausdruck.

„Genau deswegen zu unsicher, sagt Brandon", antwortete ich knapp.
Und das war die Wahrheit.
Das schien auch Rael einzusehen.
„Gut, wer hat noch eine Stimmfreigabe? Ich werde dich als meinen absoluten Ehrengast sicher nicht hier rauslassen, soviel steht fest.", hakte der Spanier nach.
„Brandon und Layla", war meine knappe und unvollständige Antwort.
„Damit gebe ich mich nicht zufrieden!"

Okay, langsam wurde er wirklich wütend...

Bin gespannt auf eure Reaktionen :)

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