Kapitel 8 ~Monsters in my Head~

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Nach dem Abendessen brachte Sam die Kleine ins Bett und ich machte mit Brandon den Abwasch. Wieder eine Situation, die ich vor ein paar Jahren wohl kaum für möglich gehalten hätte.
Der große, mächtige Gangboss half mir beim Abwasch.
Als wir fertig waren und ich gerade die Teller wieder zurück in den Schrank stellen wollte, schlang Brandon von hinten seine Arme um meinen Oberkörper und drückte mich fest an sich heran.
Ich stellte die Teller ab und drehte gleichzeitig meinen Kopf in seine Richtung, um ihn zu küssen.

Vom ersten Tag an, war ich ihm völlig hilflos ausgeliefert gewesen...
Und auch heute wusste ich, dass ich mich niemals gegen ihn wehren könnte. Er hatte mich vollends im Griff. Gegen seine Muskeln konnte ich nicht das Geringste ausrichten und er wusste auch ganz genau, was er sagen musste, um mich sofort um den Finger zu wickeln.
Aber an diese Wehrlosigkeit hatte ich mich gewöhnt. Um ehrlich zu sein, gefiel sie mir sogar ganz gut. Denn ich wollte mich ja eigentlich gar nicht mehr wehren und ich wusste, dass ich Brandon vertrauen konnte.
Ich vertraute ihm jeden Tag aufs neue mein Leben an...
Er war mein sicherer Hafen, ohne den ich mir ein Leben kaum noch vorstellen konnte...

Ein eigentlich vertrautes Geräusch ließ mich zusammenzucken und riss mich aus meinen verträumten Gedanken.
Seufzend ließ Brandon mich los und ging an sein Handy.
Sobald er abgehoben hatte und der Stimme am anderen Ende lauschte, verhärteten sich seine Gesichtszüge.
Das konnte nichts Gutes bedeuten...
Gedankenverloren griff ich wieder nach den Tellern, um sie weiter einzuräumen.
Eine automatische Reaktion um mich abzulenken...

"Bleib wo du bist! Du gehst da auf gar keinen Fall alleine rein! Nein! Ich bin unterwegs!! Ich warne dich!"
Sofort flog mein Blick wieder zu Brandon, der gerade auflegte und mich entschuldigend ansah.
Sanft legte er seine große Hand an meine Wange.
Sofort schmiegte ich mich daran und versuchte verzweifelt, diese Berührung aufzusaugen und zu Zeit einzufrieren...
"Es tut mir leid, Prinzessin... Layla braucht mich. Ich bin so schnell ich kann wieder zurück!", erklärte Brandon und küsste mich.
Ich versuchte, all meine Gefühle für ihn in diesen Kuss zu packen und meinen Mann vielleicht doch zum Bleiben zu bewegen, obwohl ich wusste, dass es keinen Sinn hatte.
Layla brauchte Hilfe...
Schweren Herzens ließ ich also zu, dass er seine Lippen wieder von meinen löste.
"Ich liebe dich, Prinzessin...", meinte er ehrlich und schaute mich liebevoll an.
"Ich liebe dich auch...", hauchte ich und sah nur noch verschwommen, wie er sich umdrehte und verschwand, weil meine Tränen mir die Sicht verschleierten.
Erst jetzt als er weg war, schien ich die Katastrophe zu realisieren.
Er war weg...
Schon wieder.
Ich war wieder allein.
Scheppernd knallten die Teller auf den Boden und zierten ihn mit tausend Scherben.
Ein ohrenbetäubendes Piepsen ließ mich aufschluchzen.
Die Sorgen und Ängste nun wie Monster über meinen Verstand herzufallen...
Überwältigt von meiner Verzweiflung ließ ich mich langsam am Kühlschrank heruntergleiten.
Am Boden schlang ich die Arme um meine angewinkelten Beine und konnte den Heulanfall nicht länger zurückhalten.
Ich hasste diese abrupten Abschiede.
Jedes mal aufs Neue brach meine Welt dabei zusammen.
Ich brauchte Brandon. Ich brauchte ihn so sehr und wollte nicht von ihm getrennt sein.
Es war als hätte man mir ein Teil genommen. Und nur Brandon konnte mich wieder vervollständigen...
Er war mein Zuhause...
Mein sicherer Hafen...
Ich fühlte mich so verloren ohne ihn...

"Lyana?! Was ist los?!"
Sams besorgte Worte drangen dank des anhaltenden Piepsens nur gedämpft zu mir durch.
Erst als er neben mir hockte und mir vorsichtig über die Schulter strich, realisierte ich, dass er wirklich da war.
"Er ist weg!", schluchzte ich und fiel sofort in den nächsten Heulkrampf.
Und wieder war es Sam, der mich auffangen musste. Wieder war er es, der dafür sorgte, dass ich nicht an meiner Verzweiflung erstickte.
Sam war es, der die Monster in meinem Kopf wieder vertreiben konnte.
So war es immer.
Tröstend nahm er mich in den Arm und streichelte mir beruhigend über den Rücken.
"Er wird zurückkommen, Lyana. Es wird alles gut. Er ist ja nicht für immer weg. Er lässt dich nicht alleine. Und wir auch nicht. Wir sind alle für dich da. Beruhige dich!", redete Sam ruhig auf mich ein und meine Atmung normalisierte sich langsam wieder.

"Was würde ich nur ohne dich machen, Sam... Ich wäre hoffnungslos verloren, wenn du mir nicht jedes Mal helfen würdest...", schniefte ich und schaute ihn dankbar an.
"Du bist Familie, Lyana! Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst! Vergiss das nicht...", erwiderte Sam, packte mich sanft unter den Achseln und stellte mich auf meine Beine.
Im ersten Moment musste ich Halt bei ihm suchen, da meine Beine zu zittrig und mein Körper zu schwach waren, um mich aus eigener Kraft gerade zu halten.
Doch er hielt mich fest, sodass ich meine Hände wieder von ihm lösen konnte.
Erschrocken schaute ich auf Sams Tshirt.
Es war blutbefleckt.
Langsam drehte ich meine Hände und begutachtete meine Handflächen.
Sie waren mit Schnitten übersäht aus denen langsam aber sicher die von mir gefürchtete dunkelrote Flüssigkeit quoll.
Panisch riss ich die Augen auf und merkte, wie sich meine Atmumg verschnellerte.
Sam wusste sofort was los war.
Er packte mein Gesicht mit seinen Händen und drehte meinen Kopf so, dass ich direkt und seine blaugrauen Augen und nicht länger auf meine blutenden Hände blickte.
"Shhhh... Es ist alles okay. Bleib ruhig, Lyana! Atmen... Wir kriegen das wieder hin. Es sieht schlimmer aus, als es wirklich ist. Keine Panik, ich bin da! Du bist nicht alleine!", redete Sam immer weiter auf mich ein, bis ich meine Atmung langsam wieder in den Griff bekam.
Stattdessen füllten sich meine Augen wieder mit Tränen.
Was war nur los mit mir?
Mir kam es so vor, als würde ich allen nur zur Last fallen... als würde ich nichts alleine hinbekommen, weil ich einfach so zerbrechlich war.
Normalerweise hatte ich kein extremes Problem damit, Blut zu sehen.
Doch bei eigenen Schnittwunden war das aus irgendeinem Grund anders.
Wenn ich mich selbst geschnitten hatte, bekam ich sofort Panik und war alleine nicht in der Lage, diese zu bekämpfen...
Es war so ähnlich wie das schreckliche Gefühl, das mich heimsuchte, wenn ich mich von Brandon verabschieden musste.
Es fühlte sich an, wie tausend Schnitte, an denen ich zu verbluten drohte.

Ohje...
Jetzt geht es langsam richtig los...

Das nächste Kapitel kommt am Mittwoch.
Wer freut sich?

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