Kapitel 25 ~Changing~

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„Mami? Welches Spiel ist das? Das gefällt mir nicht...", kam es ganz kleinlaut von meiner Tochter.
Ihre Körperhaltung war ängstlich, die Schulter eingefallen und sie traute sich augenscheinlich kaum, Rael in die Augen zu sehen, was man ihr wohl kaum verübeln konnte.

Ich konnte ihr nicht antworten; meine Schmerzen waren zu groß.
Physisch sowie psychisch.
Sie schienen mich langsam vollends einzunehmen, regelrecht nach meinem Bewusstsein zu greifen.
Meine Kehle war trocken, mehr als ein erbärmliches Krächzen würde ich wohl sowieso nicht herausbekommen...
Trotzdem hatte ich das dringende Bedürfnis dieses spanische Monster anzuschreien.

Ich wunderte mich über mich selbst.
Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass ich unter diesen Schmerzen nicht längst zusammengebrochen war.
Dass ich noch immer bei Bewusstsein war und all meine Willensstärke gegen dieses Monster stellen zu wollen.
In mir war ein regelrechter Kampfgeist erwacht, den ich mir nur dadurch erklären konnte, die letzten Jahre bei Brandon und seinen zwielichtigen Machenschaften verbracht zu haben.

Ich wusste selbstverständlich noch lange nicht über alles Bescheid, doch die Lebensweise hatte deutlich auf mein Unterbewusstsein abgefärbt.
Es würde mir im Traum nicht einfallen, jetzt aufzugeben. Ihn zu verraten. Meine gesamte neue Familie in den Ruin zu treiben.
Dieser Kampfgeist war spätestens erwacht, als dieser Bastard mir meine Tochter gewaltsam genommen und mir meinen besten Freund auf die schrecklichste Weise entrissen hatte.
Und doch schien er langsam nachzulassen...
Mit jedem Tropfen Blut, das meinen Körper verließ, mit jedem Messerstich, mit jedem Schlag, der Schmerzsignale über meine Nervenbahnen durch meinen gesamten Körper leitete.

Und dann waren da Miras glasige Augen, die mich wie so oft an die ihres Vaters erinnerten.
Der Gedanke an ihn schmerzte fast noch mehr als all die physische Qual, die ich erleiden musste.
Ich hatte mich ihm widersetzt, würde ihn mit meiner Aktion noch tiefer in die Scheiße reiten als es sowieso schon der Fall war.
Ich vermisste ihn so sehr.

Ich wünschte mir nichts mehr, als zu hören, wie die verdammte Tür hinter mir aufsprang. Er würde ein tiefes wütendes Knurren von sich geben, was seinen Hass und seine unbändige Wut nur vermuten lassen würde.
Es würden Schüsse fallen.
Rael würde er aber nicht sofort töten.
Für ihn würde er sich etwas Besonderes einfallen lassen.
Und dann würde er in meinem Blickfeld erscheinen.
Der Blick in seinen tiefbraunen Augen würde von purem Hass zu einer Sanftheit wechseln, die ich nun schon viel zu lange vermissen musste.
Er würde mich von diesen Fesseln befreien und ich würde Erleichtert in seine Arme sinken.
Er würde mir Halt und mich beschützen.
Und Rael würde seine gerechte Strafe bekommen...

Raels hinterhältiges Lachen riss mich aus meinen Halluzinationen zurück in die grausame Realität.
Hier war kein Brandon.
Die Situation war aussichtslos und ich hätte mich wohl langsam mit dem Gedanken abfinden sollen, Brandon nie mehr wiederzusehen.
Mein Kopf spielte so langsam wirklich verrückt.

Jeder meiner Musklen spannte sich an, als Rael sich wieder meiner Tochter zuwandte.
Er sollte seine dreckigen Finger gefälligst von meiner unschuldigen Esmira lassen!

„Weißt du, deine Mutter, sie lügt mich an. Und man darf nicht lügen, das weißt du doch, oder?", säuselte Rael mit aufgesetzter Freundlichkeit und fixierte Esmira mit seinem erbarmungslosen Blick.
Im Gegensatz zu allen anderen Personen im Raum war er völlig entspannt.
Er kostete seine Macht voll und ganz aus und genoss jeden seiner Spielzüge.
Ich war so unfassbar wütend auf ihn.
Ich hatte ihn und seine Spiele sowas von satt.
Wie konnte ich nur immer wieder in seine Spielfelder tappen und es ihm so leicht machen?

„Mami lügt nicht", kam es selbstsicher von Mira und ich hätte sie für diese Worte so gerne in die Arme genommen.
„Oh doch!", schnaubte Rael und hatte plötzlich ein zweites Messer in der Hand.
Wo zur Hölle kam das jetzt bitte wieder her?
Ich machte mich innerlich bereit für seinen nächsten Wurf, doch zweifelte ernsthaft daran, ob ich den Schmerzen noch lange standhalten könnte.
Meine Atmung ging nur noch ganz flach und es fiel mir immer schwerer, den Kopf aufrecht zu halten, während der Rest meines Körpers schon völlig ohne Spannung in den Fesseln hing.

„Bitte nicht nochmal", meinte mein kleiner Engel und Rael hielt tatsächlich inne.
Was hat er jetzt wieder vor?
Sein Blick fixierte meine Tochter für meinen Geschmack deutlich zu lange.
„Nicht sie", krächzte ich schwach, „bitte nicht sie!"
Der Klang meiner Stimme war noch erschreckender, noch erbärmlicher als ich angenommen hätte.

Doch zwischen all der Panik überkam mich plötzlich ein Gefühl, das dort nicht hingehörte.
Ein Gedanke bahnte sich seinen Weg durch meinen Kopf und ich war schockiert von mir selber.
Ich war sauer auf meine eigene Tochter.
Auf dieses unschuldige kleine Wesen, das mit dieser Situation nie etwas hätte zu tun haben sollen.
Aber sie war hier...
Und sie war meine Schwäche.
Sie machte mir alles kaputt. All mein Widerstand der letzten Stunden und Tage könnte allein durch ihre Anwesenheit zunichte gemacht werden.
Wer weiß, vielleicht wäre dieser Bastard Rael schon längst tot. Vielleicht hätte ich es tatsächlich über mich gebracht, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, wäre Mira nicht dazwischen gekommen.
Als ich bemerkte, dass Rael ganz langsam auf mich zukam, während sein eiskalter Blick mich fixierte, schüttelte ich meine schockierenden Gedanken so schnell wie möglich ab und konzentrierte mich wieder auf das Monster mir gegenüber.
Wo waren diese völlig abwegigen Gedanken überhaupt hergekommen?

„Keine Angst, Babe, wir kümmern uns heute nur um dich!", erwiderte Rael, riss mich somit vollends aus meinen abstrusen Gedanken und kam mir plötzlich ganz nah.
Mit dem Messer fuhr er an meiner Kehle entlang und fixierte meine Augen mit seinem eiskalten Blick.
„Wäre es nicht schade, wenn deine Tochter dieses Blutbad weiterhin miterleben müsste? Weißt du, normalerweise bin ich ein sehr geduldiger Mensch, doch du machst mich langsam wütend, Babe. Du bist nicht so einfach zu Händeln, wie ich gedacht hatte. Also gib mir meine Informationen und ich werde euch beide verschonen.", behauptete Rael ganz leise, sodass nur ich ihn hören konnte.
Seine raue Stimme jagte mir einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter.

Stille Tränen liefen über meine Wangen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Niemals würde ich Brandon verraten, aber ich wollte auch meine Tochter nicht weiter in Gefahr bringen.
Und Rael wusste das.
Er kannte meine Situation und nutze sie aus. Vielmehr hatte er diese Situation bewusst herbeigeführt, um mich ausnutzen zu können...
Niemals hätte ich gedacht, in meinem Leben jemals eine solche Wut und eine solche Abscheu gegenüber eines Menschen zu entwickeln.

„Ich muss zugeben, deine Loyalität ist faszinierend, aber vertrau mir, Babe, du wist mir meine Informationen sowieso früher oder später geben, also rück doch einfach jetzt damit raus und erspar dir diese Schmerzen", erklärte Rael, während er langsam um meinen schlaffen Körper herum ging, wobei die Spitze seines Messers meine Haut permanent berührte.
Er würde nicht von mir ablassen, bevor er nicht seine Informationen bekommen hätte. Das machte er mir mit jeder Sekunde mehr als bewusst.
Nun stand er hinter mir.
Ich spürte den heißen Atem dieses Monsters an meiner Schulter und der Fakt, in jetzt nicht mehr im Blick zu haben, trug nicht sonderlich zu meiner Beruhigung bei.
Ich hatte Angst vor seiner nächsten Tat, fragte mich verzweifelt, welche Stelle meines ohnehin schon völlig zerschändeten Körpers er wohl als nächstes mit seiner Klinge durchbohren würde.

Ich konnte diese Schmerzen nicht mehr aushalten. Ich war völlig am Ende, ich wollte, dass endlich alles vorbei ist.
Von all dem Kampfgeist, den ich mir eingebildet hatte, schien nichts mehr übrig zu sein.
„Tu es", zischte ich kraftlos und ließ den Kopf hängen.
„Sicher nicht, bevor ich meine Informationen habe, Babe", kam es seelenruhig zurück.
Die Eiseskälte in seiner Stimme ließ mich aufs Neue erschaudern.
Dieser Mann war wirklich ein Monster.
Und ich war ihm ausgeliefert...
Alleine.
Auf Hilfe hoffte ich schon gar nicht mehr.
Er könnte mit mir alles tun und es würde niemanden interessieren.
Diese Erkenntnis traf mich tiefer als das Messer, das immernoch in meinem Bein steckte.
„Bitte...", flehte ich regelrecht, was der Kehle dieses Monsters nur ein kratzendes Lachen entlockte.


Wer ist noch dabei?
Und was haltet ihr von den neuen Kapiteln?
Ich gehe hier bewusst etwas mehr auf Lyanas Emotionen und ihren Charakter ein, auch wenn dadurch die Handlung selbst ein bisschen in den Hintergrund rückt.
Ich finde das nämlich unheimlich wichtig für die Geschichte, ich hoffe, ihr versteht das :)

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