Kapitel 17 ~Oh Hello~

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Ich war nun wieder zurück in meiner Zelle.
Die linke Hälfte meines Gesichts schmerzte höllisch und ich saß weinend auf meiner Pritsche.
Nachdem ich das Wasser ausgetrunken hatte, war ich aufgestanden und auf meinen Widersacher zu gegangen.
Ich hatte all mein Selbstbewusstsein zusammengekratzt und verlangt meine Tochter zu sehen.
Damit hatte sich der Spanier mit all seinen Muskeln vor mir aufgebaut und bevor ich irgendwie hätte reagieren können, war mein Kopf mit voller Wucht zur Seite geflogen.
Mein schockierter Blick hatte ihn zufrieden Schmunzeln lassen und das hatte meine Wut nur weiter entfacht.
Ich hatte mich nicht mehr zusammenreißen können und hatte mir die nächste Ohrfeige eingefangen. Er hatte mein Auge nur knapp verfehlt und nun hoffte ich, dass die Wunde wenigstens einigermaßen gut verheilen würde.

Tränen flossen unaufhaltsam meine Wangen hinunter. Ich hatte unfassbare Schmerzen und fühlte mich so unglaublich allein. Ich wünschte mir nichts mehr, als in Brandons Armen zu liegen und ihm alles zu erzählen. Ich wollte ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe. Wollte ihm sagen, wie unbeschreiblich leid es mir tat, einfach weggelaufen zu sein.
Die Tatsache, dass ich das alles im Moment nicht konnte und dass ich mir nicht sicher war, ob ich das überhaupt je wieder tun können würde, zerbrach mich innerlich.
Es war das wohl schlimmste Gefühl seit dem Tod meines Vaters, was ich jemals erleben musste.
Auch damals hatte ich mich unfassbar alleine in der Welt gefühlt. Die Trauer hatte mich komplett im Griff gehabt und ich hatte tagelang geweint.
Doch irgendwann war ich an diesen Punkt gekommen, an dem scheinbar keine Tränen mehr übrig waren. Ab diesem Punkt fühlte ich mich einfach nur leer und nutzlos. Als wäre jegliche glückliche Emotion für immer verschwunden.

An diesem Punkt war ich nun auch angelangt.
Die Leere breitete sich in meinem Körper aus und ich saß regungslos auf der Pritsche.
Ich kann nicht sagen, wie lange...
Und dann begannen meine Halluzinationen...
Ich hörte ein leises, unbeschwertes Lachen, das langsam lauter zu werden schien.
Es kam von draußen.
Das war meine Tochter!
Wie in Trance stand ich von der Pritsche auf und stolperte Richtung Tür.
„Esmira!!!", schrie ich hysterisch und begann, wild gegen die Tür zu klopfen.
Immer wieder schrie ich ihren Namen und hämmerte auf die Tür ein.
„Mami?" Ganz gedämpft drang ihre niedliche Stimme zu mir durch und ließ mich nur noch lauter schreien.
Und dann öffnete sich plötzlich die Tür...
Und mein kleiner Engel kam zu mir gestolpert.
Völlig überfordert mit der Situation ging ich in die Hocke und nahm sie in den Arm.
Mein kleiner Engel war endlich wieder bei mir.
Es war unglaublich.
Wie konnte das möglich sein?

„Mama wo warst du die ganze Zeit?", fragte meine Tochter völlig unwissend und schaute mich mit großen unschuldigen Augen an.
Es war fast schon ironisch, dass sie mich das fragte und ein trauriges Lächeln legte sich auf meine Lippen.
„Ich habe dich gesucht mein Engel! Was haben sie dir angetan? Geht es dir gut?", wollte ich sofort wissen und streichelte ihr sanft über den Kopf.
„Lyana?"
Wieder war da diese Stimme, die mich damals beim Kampf gegen die Wachmänner abgelenkt hatte...
Doch dieses Mal war sie viel näher.
Verwirrt schaute ich auf und blickte in verdammt bekannte, vor Energie strotzende grüne Augen.
Überrascht schnappte ich nach Luft.
Das konnte nicht wahr sein.
„Marcel?"
„Hey Hübsche!"
Ich konnte es nicht glauben.
Ich löste mich von meiner Tochter und ging auf Marcel zu.
Immernoch völlig überrumpelt fiel ich ihm um den Hals.
„Was zur Hölle machst du hier?", fragte ich leise.
Das war unmöglich...
Wie kam Marcel hier her?
Und wieso war meine Tochter bei ihm?
„Lange nicht gesehen, Hübsche. Oh Scheiße, wie sieht denn dein Gesicht aus? Lass mich mal sehen!", meinte Marcel und schien äußerst schockiert von meinem Aussehen zu sein.
Er inspizierte meine linke Gesichtshälfte ganz genau und war alles andere als begeistert.
„Scheiße", murmelte er, „was hat er nur mit dir gemacht?"
Dann zog er plötzlich sein Tshirt aus, was mich mehr als verwirrte.
„Was hast du vor?", fragte ich leicht angespannt.
„Wir müssen das kühlen", antwortete er knapp und ging zum Waschbecken, um das Tshirt dort in kühlem Wasser zu tränken und es mir dann vorsichtig an die Wange zu halten.
„Danke... Aber was tust du hier Marcel?", fragte ich eindringlich, setzte mich auf die Pritsche und nahm Esmira auf meinen Schoß.
Ich war so erleichtert, dass es ihr gut ging.
„Er passt auf mich auf, Mama! Da waren böse Männer im Wald, die waren ganz gemein zu Sam aber jetzt passt Marcel auf mich auf. Er ist genauso witzig wie Sam, ich mag ihn, aber Onkel Sam kann viel besser verstecken spielen! Marcel findet mich nie; und verstecken kann er sich auch nicht!", brabbelte die Kleine vor sich hin und ihr Unwissen und ihre Naivität machten mich innerlich sehr traurig. Andererseits war ich froh, dass sie noch nicht alles verstehen konnte. Um genau zu sein, verstand sie gar nichts an dieser absolut schrecklichen Situation...
Aber vielleicht war das gut so, denn so blieben ihr sicherlich einige psychische Schmerzen erspart...
„Spielst du mit mir verstecken, Mama?", fragte mein kleiner Engel und schaute mich hoffnungsvoll an.
„Später vielleicht, mein Schatz. Ich muss kurz mit Marcel reden", versuchte ich sie abzuwimmeln.
„Och Mama! Bittööö!" quengelte meine Tochter und brachte mich kurz zum Schmunzeln. Sie war so dickköpfig.
Doch ich hatte eine Idee, wie ich sie vielleicht ablenken könnte.
„Soll ich dir die Haare flechten?"
Begeistert nickte sie und drehte sich sofort so, dass mit dem Flechten beginnen konnte.
„Warst du glücklich in all den Jahren? Ging es dir gut?", fragte Marcel vorsichtig nach ein paar Sekunden Stille.
„Das sollte ich wohl eher dich fragen... Mein Leben war nahezu perfekt. Ich habe endlich ein Zuhause gefunden. Aber du wurdest vertrieben. Meinetwegen...", erwiderte ich bekümmert und es tat mir im Herzen weh, daran zu denken.
„Gott, ich hab dein wunderschönes Gesicht in all den Jahren vermisst... Das letzte Mal war es voller Tränen... Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Lyana. Das habe ich damals schon aber da warst du schon weg... Und dann kam Brandon. Nicht dass ich Angst vor ihm hätte, aber er war so verdammt wütend, das hättest du sehen sollen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich je wieder sehe...", erklärte Marcel und sein sonst so energiegeladener Blick lag ruhig auf mir.
„Wie bist du hier gelandet, Marcel? Wie kannst du es deinem Bruder antun, dich mit dem Feind zu verbünden? Du bist ein guter Mensch, du solltest nicht hier sein!", meinte ich vorwurfsvoll.
„Naja wenn man einfach so wegen einem Mädchen von seinem Boss auf die Straße verbannt wird, muss sich eben etwas anderes suchen. Und obwohl ich allen Grund hätte, über dich hinwegzukommen, vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denke! Und als ich gehört habe, dass du tatsächlich hier bist, wusste ich , dass meine Hoffnung nicht umsonst war... Also wenn dein Herz dir irgendwie sagt, dass es uns noch eine Chance geben will, wenn du denkst, dass da immernoch was zwischen uns ist, dann sag es mir bitte!", flehte Marcel schon fast und schaute mich eindringlich an.

Oh Hello, haven't seen you for a long time...
Das denkt ihr euch vielleicht auch.
Ein paar Kapitel habe ich in den letzten Wochen ja schon stillschweigend gepostet, aber davor war ganz schön lange Funkstille.
Ich hätte Lust, die Geschichte langsam aber in regelmäßigen Abständen zu einem Ende zu bringen.
Die Frage ist nur, ob sich das noch lohnt; also: wer ist noch dabei?

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