Kapitel 27 ~Wrecked~

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I'm a wreck without you here

Ich war wieder in meiner Zelle.
Mein ganzer Körper schmerzte höllisch.
Ich hatte noch keine Position gefunden, in der ich ausharren konnte, ohne irgendwo diesen aufdringlichen stechenden Schmerz zu spüren.
Er war überall; schien jede Sehne, jeden Muskel, jeden Nerven meines Körpers eingenommen zu haben.

Rael hatte irgendwann tatsächlich nachgegeben, die verdammten Fesseln gelöst und immerhin die tiefen Schnittwunden an den Beinen versorgt.
Wie das nun wieder in sein Spiel passte, hatte ich noch nicht rausgefunden.
Vielleicht hatte selbst er gemerkt, dass ich lebend nicht mehr viel ausgehalten hätte.
Wenigstens hatte ich die leise Hoffnung, dass meine Tochter nichts zu befürchten hatte, wenn für Rael alles nach Plan lief.

Ihm lag nichts an ihr, das war klar, und wenn es sein müsste, würde er ihr sonst was antun, damit hätte er sicher keine moralischen Schwierigkeiten, doch im Moment nutzte sie ihm unversehrt mehr und das war ihr großer Vorteil.

Ganz anders war meine Situation.
Er dachte offenbar immernoch, dass ich ihm wichtige Informationen liefern könnte, doch das würde so schnell nicht passieren.
Bisher hatte ich bewusst nur Dinge freigegeben, die er entweder schon gewusst hatte, oder die ihm aktuell nichts nützten.
Ich würde die Gang niemals verraten.
Jeder einzelne von ihnen würde mich schützen, und so war es nun meine Pflicht, sie unter keinen Umständen zu verraten, auch wenn sich alles in mir allein bei dem Gedanken, diese Schmerzen erneut ertragen zu müssen, zusammenkrampfte.

Es war schlimm genug, dass ich mich überhaupt in diese Situation begeben hatte.
Wie dumm war ich eigentlich?
Oder war ich vielleicht verflucht?
Hatte ich vielleicht auf meiner Stirn stehen: Ich bin ein leichtes Opfer und möchte entführt werden?!
Das wäre eine Erklärung dafür, warum Brandon vor nun schon über fünf Jahren damit angefangen hatte, Jax und Phil nachgelegt hatten, ich dann bei Wayne gelandet war und mich nun in dieser Hölle befand...
Doch dieses Mal war es wirklich meine Schuld und deshalb würde ich nun stark bleiben und keine Fehler mehr machen.
Das könnte ich Brandon nicht auch noch antun.

Brandon...
Wie gerne würde ich gerade in seinen starken Armen liegen und mich wie so oft in seinen braunen Augen verlieren...
Ich sah sie ganz klar vor mir.
Diesen liebevollen Blick, den er nur seinen engsten Vertrauten schenkte.
Diese muskulösen Arme, die scheinbar alles Unheil dieser Welt abhalten konnten, solange sie mich hielten.
Dieses Lächeln, das sich auf diese vollen Lippen schlich, sobald er mich sah.
Ich hörte diese raue aber dennoch mir gegenüber äußerst sanfte Stimme, die mich in fast jeder Situation beruhigen könnte.
Dieses herzhafte Lachen, das ihm manchmal entwich, wenn ich etwas leichtfertiges oder tollpatschiges tat.
Ich spürte seine Berührungen, seine starken Hände überall an meinem Körper.
Diese Geborgenheit, die mich umgab, wenn ich bei ihm war.

Als ich aufwachte, waren die Schmerzen bereits etwas abgeebbt.
Sie waren definitiv noch da, doch sie waren erträglich.
Trotzdem fühlte ich mich unglaublich schwach, da ich in den letzten Tagen nichts gegessen und viel Blut verloren hatte.
Mein Kreislauf sackte immer wieder ab und ich hatte wirklich Mühe, aufgrund meiner körperlichen Situation nicht in Panik zu verfallen.
Irgendwann kamen dann ein paar Wachmänner herein und brachten mir einen Apfel und einem Müsliriegel.
Oh wie gütig...
Ich sollte mich wohl nicht zu schnell regenerieren und geschwächt bleiben...
Trotzdem war ich dankbar für diese Nährstoffzufuhr und aß den Apfel tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben mit Gehäuse, da ich absolut nichts übrig lassen wollte.
Woher sollte ich schon wissen, wann ich das nächste Mal etwas zu Essen bekam?

Diese Sorge blieb unbegründet.
Ich bekam nun in regelmäßigen Abständen ein paar Kleinigkeiten, die mich einigermaßen in der Spur hielten.
Ich habe keine Ahnung, wie lange das so ging, mein Zeitgefühl hatte mich in dieser tristen Zelle komplett verlassen.
Ich wurde langsam zu einem seelischen Wrack.
Ohne Brandon, der mir sonst immer wieder neue Kraft gab, war es nicht so einfach, stark zu bleiben.
Niemand sprach auch nur ein Wort mit mir oder blieb lange.
Sie kamen immer mindestens zu zweit in die Zelle, stellten meine Nährstoffversorgung ab und gingen wieder. Ein wenig amüsierte es mich, dass ein einzelner Wachmann nach meiner ersten Fluchtaktion wohl nicht mehr auszureichen schien.
Nach dieser Erkenntnis klopfte ich mir innerlich leicht stolz auf die Schulter.
Vielleicht hatte all meine Widerstand doch etwas bewirkt und icv wurde wenigstens nicht als völlig hilflos abgestempelt.
Trotzdem machte mir die Einsamkeit zu schaffen und schien mein neu gewonnenes Selbstbewusstsein wieder verdrängen zu wollen...

Meine Tochter bekam ich ebenfalls nicht mehr zu Gesicht.
Rael wollte mich offenbar abschotten, aber  zunächst war ich einfach nur froh, nicht mit diesem Monster in einem Raum sein zu müssen. Und die ganze Situation ließ mit viel Zeit zum Nachdenken.

Darüber zum Beispiel, wie ich mich am besten an diesem Bastard rächen könnte.
Er machte mich von Tag zu Tag wütender und mein Hass gegenüber ihm und seiner armseligen Bande wuchs von Stunde zu Stunde.
Wieder waren da diese Gefühle wie dieser starke Hass und die Abscheu, die sich tief aus meinem Inneren nach oben kämpften.
Ich veränderte mich, das konnte ich selbst nicht leugnen.
Ich wurde zu allem, was ich früher gehasst hätte.
Aber wenn mir diese Änderung das Überleben sichern und mich wieder zu Brandon bringen würde, war das für mich völlig in Ordnung.
Eine weitere Veränderung war, dass nicht mehr weinte. Meine Augen schienen völlig ausgetrocknet zu sein.
Selbst wenn ich an Brandon dachte, was natürlich sehr oft vorkam, waren keine Tränen mehr übrig.

Gleichzeitig dachte ich natürlich über Fluchtpläne nach, doch keiner davon schien wirklich brauchbar zu sein.
Das warf in meinem Kopf wiederum die Frage auf, wann Brandon und die anderen denn endlich etwas unternehmen würden, um mir zu helfen.
Mir war klar, dass sie einen ausgeklügelten Plan brauchen würden, doch ich wusste nicht, wie lange ich in diesem Drecksloch noch überleben würde.
Mittlerweile machte mich die absolute Einsamkeit langsam verrückt.
Es fiel mir immer schwerer, Träume von der Realität zu unterscheiden und hatte regelmäßig mit kleineren Panikattacken zu kämpfen.
Immer wieder sagte ich mir selbst und zu den Halluzinationen: „Ich werde dich wiedersehen, mein Liebster"
Ich ging in dieser Hölle, die ich mir selbst eingebrockt hatte, einfach immer weiter kaputt.

Eines Tages stand Rael dann persönlich in der Tür und alles sollte noch schlimmer werden.
„Hey Babe", grinste mir sein hämisches Lächeln entgegen, „Zeit aufzustehen"
Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Reflexartig erhob ich mich von der Liege und stellte mich aufrecht vor ihn, um ihm zu zeigen, dass er mich nicht gebrochen hatte.
Ohne weitere Reaktion deutete er mir, ihm zu folgen, was ich auch tat.
Ich musste dringend aus dieser Zelle raus, völlig egal, wo er mich hinbrachte.

„Ich habe endlich einen Nutzen für dich gefunden, Babe. Du musst meine Gastfreundschaft nicht länger umsonst ausnutzen; ich habe einen Weg gefunden, wie du dich bei mir revanchieren kannst", erzählte er fast schon stolz und ich schnaubte verächtlich.
Seine Wortwahl ekelte mich an, genau wie seine abartige Überheblichkeit, die meinen Hass immer weiter schürte.

„Den Stolz werden wir dir schneller austreiben, als dir lieb ist, du wirst schon sehen!", entgegnete der Spanier nur siegessicher und war dann still, bis wir an seinem Ziel angekommen waren.

Spekulationen?

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